2 - Exkurs: Der Handykonsum und seine Folgen für menschliche Interaktionen

Für "Gerne-leser/innen" und Diskussionsinteressierte 

Wer kennt diese Situation nicht? Man schaut sich die Menschen in Restaurants oder im Zug an und sieht, dass fast alle Menschen auf das Handy starren und mit ihren Fingern umherwischen. Es gibt noch unzählige andere Momente, in denen man mal innehält, sich die Umgebung um sich herum anschaut und merkt, dass ein Großteil der Menschen mit ihren Handys beschäftigt sind. Die Anziehungskraft, die von diesem Gerät ausgeht ist enorm. Auch ich erwische mich immer wieder dabei, wie ich ohne nennenswerten Grund in das Handy starre. Egal, wo ich in dieser Welt unterwegs bin (mit wenigen Außnahmen): das Handy dominiert die Menschen, wie wohl kein zweites Medium zuvor. Entgegen der Meinung der Erwachsenen, spielt es meist keine Rolle, ob alt oder jung: ist das Handy längere Zeit weggelegt oder erlebt man Momente des Nichtstun oder der Stille, greift man automatisch zu. Gar keine Frage, das Potential, welches aus diesem hervorgeht ist enorm. Es bietet schier unendliche Möglichkeiten. Auch ich kann mir dieses Gerät mittlerweile nur schwer aus meinem Leben wegdenken, auch wenn ich dazu teilweise auch gezwungen werde, da das Teilhaben am öffentlichen Leben daran gebunden ist (Bankkonto, Buchungsportale, Identifikationen, Ticketkäufe, Menükarten, etc.). Trotzdem möchte ich heute einmal auf die großen Schatten eingehen, die der Handykonsum auf uns und uns als Gesellschaft ausübt.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie auf meiner ersten großen Fahrradreise mit Pedro 2016 es vor allem die Kinder waren, die meist draußen spielend auf uns zugekommen sind und ihr Interesse an uns Reisende bekundet haben: Mal nur staunend da stehend, mal nach bestimmten Funktionen unserer Ausrüstung fragend, mal ihre Englischkenntnisse zeigend, oder auch mal bettelnd. Nicht selten sind es dann anschließend die Erwachsnene gewesen, die dieser erste Kontaktaufnahme der Kinder genutzt haben, um mehr über uns und unserer Reise zu erfahren. Dieser analoge Austausch ist meiner Meinung nach unglaublich wichtig, das er Ängste vor dem Anderen reduziert, das Kennenlernen des Anderen fördert und somit ein Faktor zum friedlichen Zusammenleben darstellt. Auch Verhaltensweisen des jeweils Anderen werden beobachtet, verarbeitet und  in sein bestehendes (Welt) Bild eingeordnet. Durch die eigenen Verhaltensweisen im  Austausch mit dem Anderen wird wiederum das eigene Verhalten reflektiert und je nach Reaktion des Anderen eingeordnet. Jede analoge Interaktion mit einem anderen Menschen hat tendenziell  das Potential, die eigene Menschenkenntniss, die Empathie und somit ein friedliches Zusammenleben zu fördern. Eines folgender zweier Faktoren muss dafür vorhanden sein: Reflektionsgabe oder friedlichen Interaktion.

Ist die Interaktion keine friedlichen, kann natürlich auch eine analoge Interaktion das Gegenteilige bewirken und mögliche Vorurteile gegenüber dem Fremden/Anderen sogar bekräftigen. Wären wir z.B. in einem der Roma-Dörfer in Rumänien tatsächlich beklaut (wovor uns andere "Nicht-Roma-Dörfer" gewarnt haben) und nich zum "Schweineferkel-Grillen" eingeladen worden, wäre meine Einstellungen gegenüber dem Fremden (den Roma) natürlich negativ behaftet (ohne dabei natürlich diese Erfahrungen auf alle Roma zub übertragen und tatsächliche Problematiken mit Roma-Clans ins Rumänien auszuklammern). Eine friedlichen Interaktion ist also Grundvoraussetzung dafür, dass die eine analoge Interaktion auch friedensfördernd ist. Trotzallem können auch Interaktionen, die nicht harmonisch verlaufen u.U. friedensfördernd sein. Dies kann aber nur dann geschehen, wenn eine Reflektionsgabe des eigenen Verhaltens vorhanden ist.

Die Reflektion des eigenen Verhalten ermöglicht es dem Menschen, mögliche Fehler im Umgang mit dem Anderen zu erkennen und schließlich beim nächsten Austausch positiv zu verändern. Auch hier möchte ich wieder ein Beispiel aus meiner ersten großen Fahrradreise erwähnen. So habe ich Tölpel, beeinflusst durch das Aufwachsen in einem der reichsten Länder der Welt, bei einer Familie in Myanmar, das als Trinkwasser in einer großen Tonne aufgefangene Wasser dazu benutzt, um mir meine Hände darin zu waschen. Dieses Verhalten (ich habe das Trinkwasser der ganzen Familie verunreinigt) hätte dazu führen können, dass eine Interaktion nicht mehr so harmonisch verläuft (was es aber schlussendlich nicht tat, da die Gastgeber das richtigerweiße als Unwissenheit und nicht als bewusste Untat gesehen haben). Reflektiere ich nun mein Verhalten ("ich sollte meine Hände nicht mehr in Trunkwasser-Regentonnen waschen") und verändere dieses zum Positiven, kann ein Lerneffekt stattfinden, der zukünftige Konfliktpotentiale verringert. So kann ich auch an den Reaktionen des Gegenübers erkennen, ob ihn zum Beispiel meine Aussagen in irgendeiner Form verletzt haben und, falls Empathie und Reflektionsgabe vorhanden ist, zukünftig unterlassen und somit das friedliche Zusammenleben fördern.

Nachdem ich soeben versucht habe klarzustellen, dass eine analoge Interaktion bei dem Vorhandensein von Reflektionsgabe oder friedlicher Interaktion, das friedliche Zusammenleben einer Gesellschaft prinzipiell fördert, so möchte ich nun darauf eingehen, warum dies bei digitalen Medien schwerer der Fall ist bzw. durch den Handykonsum verringert wird und im schlimmsten Fall sogar Hass gefördert wird.

Wenn ich heute mit dem Fahrrad unterwegs bin, sehe ich vor allem in den westlichen Ländern, nur noch wenig Kinder auf der Straße spielen. Auch in anderen Ländern nimmt die Anzahl der "Straßenkinder" meiner Erfahrung ab. Immer öfter sieht man dagegen draußen sitzende Kindern, die mit gesenkten Blick auf ein Gerät starren, das jeglicher Aufmerksamkeit bedarf. Ein vorbeifahrender Reiseradler wird hier nicht mehr wahrgenommen. Auch bei Besuchen innerhalb des Hauses sitzen mittlerweile die Kinder wie im Bann gezogen vor einem digitalen Endgerät und lassen sich berieseln. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Interaktion kommt und somit zu einem Lerneffekt über das Leben und Verhalten des Anderen, nimmt also ab. Diese Interaktionsverringerung ist dabei nicht nur auf das Verhalten der einheimischen Bevölkerung zurückzuführen, sondern auch durch das Verhalten der Reisenden selbst, die durch das ständige zur Verfügung stehende, nahezu unendliche Informationspotential im WWW, meinen, keine Hilfe/Interaktion mit den Einheimischen mehr zu benötigen. Das Medium "Handy" steht also zwischen der Interaktion der beiden Menschen. Diese Interaktionsverringerung betrifft nicht nur das Leben auf Reisen, sondern auch das alltägliche Leben in meiner Gemeinschaft. Einkäufe, Informationen, Tickets, etc. können übers Internet besorgt werden und bedürfen nicht mehr einem zwischenmenschlichen Austausch. So geht uns die Kenntniss über den jeweils anderen und somit auch über die Gesellschaft, in der wir leben, verloren. Aber habe ich durch die sozialen Medien nicht die Möglichkeit, tausendfach mit meinen Mitmenschen, ja sogar mit Menschen aus der ganzen Welt zu interagieren und uns über diese zu informieren? Ermöglicht uns dieses Medium nicht erst weltweit in Verbindung miteinander zu treten, uns besser zu verstehen und somit ein friedliches Miteinander zu fördern? Diese Fragen möchte ich im folgenden Abschnitt versuchen zu beantworten.

Es ist richtig, dass durch die sozialen Medien die Kontaktaufnahme zu Menschen weltweit erleichtert wird. Vor allem quantitativ kann der analoge Bereich nicht mit dem digitalten Bereich mithalten. Nicht selten haben Menschen Tausende von "Freunden" auf den sozialen Netzwerken. Doch qualitativ kann das Digitale nie mit dem Analogen Mithalten! Die Interaktion sind meist auf ein Minimum beschränkt und so oberflächlich, dass ein profunder Austausch kaum möglich ist. Immer wieder fällt mir eines bei Gesprächen auf: Viele Menschen haben das Bedürfnis, das ihnen jemand zuhört. Bei so viel Austausch in den sozialen Medien dürfte es eigentlich nicht der Fall sein, es sei denn, dass den Menschen in den sozialen Medien eigentlich gar nicht zugehört wird bzw. kein wirkliche profunder Austausch über sich und seine Gefühle möglich ist.  Darüber hinaus fehlt in der digitalen Welt die wichtige visuelle oder auditive Rückmeldung des Gegenübers bei Verhaltensweisen der Gesprächspartner. Auch hier ist es eben eine Unterschied, ob unter einem Kommentar ein Daumen gesetzt wird oder der Gegenüber lächelnd zustimmt. Oder ob man einen Hasskommentar absetzt und keine Reaktion vom Gegenüber erfährt oder in der Folge in das traurige, weinende Gesicht des Gegenübers blicken muss. Dies macht es den Partizipanten in den sozialen Medien einfach, Menschen zu beleidigen und somit Hass zu verbreiten. Die Interaktion auf dem digitalen Feld ist also oberflächlich und emotionsblind.

Prinzipiell ist es möglich durch die sozialen Medien die Kulturen anderer Länder kennenzulernen ohne diese bereisen zu müssen. Auch durch meinen Blog vermittle ich ein gewisses Bild des Landes und der Leute. Auch wenn es natürlich immer am besten ist, sich selbst ein Bild von einem Land zu machen, kann hier das Digitale Vieles leisten. Das Problem ist nur, das sich in den letzten Jahren gezeigt hat, dass Menschen, die das Trennende zwischen den Kulturen und den Menschen suchen, digital die Oberhand gewonnen haben. Oftmals mit Mitteln, die auf Falschinformationen, Populismus und Radikalismus basieren, scheinen sie die Menschen so stark zu beeinflussen bzw. manipulieren, dass diese bereit sind, die Demokratie, die ein Garant für ein überwiegend friedliches Zusammenleben war, wieder selbst abzuschaffen. Die sozialen Medien können also derzeit nicht als Förderer des gemeinsamen, friedlichen Miteinanders angesehen werden. Es ist schwierig ein Spiel zu gewinnen, in dem andere Spieler sich nicht an Spielregeln halten und die ganze Zeit schummeln, während man selbst sich brav an Regeln hält bzw. die Regelverstoßer nicht sanktioniert und in die Schranken weist. Was aber nicht heißt, dass sich dies in Zukunft wieder zum Positiven verändern kann (es besteht Hoffnung und liegt schließlich in den Händen der Nutzer!).

Schlussendlich schwingt in der Frage nach dem Konsum von digitalen Medien und der Zeit, die wir am Handy verbringen, auch immer die Frage mit, wie wir in unserer Gesellschaft zusammenleben wollen und welche Zeit wir als "quality" Zeit sehen. Ich persönlich glaube, dass kein soziales Medium das gemeinsame, analoge Miteinander ersetzen kann. Ich ziehe es also immer prinzipiell vor, mich mit Menschen persönlich zu unterhalten. Und wenn ich mich mit Ihnen unterhalte, bin ich auch zu 100% bei ihnen und teile meine Aufmerksamkeit gleichzeitig nicht noch mit fünf weiteren Freunden auf den sozialen Plattformen. Erst dann meiner Meinung auch ein gehaltvoller und würdiger Austausch stattfinden.

Wenn wir uns zum Schluss nun einmal auf ein Gedankenexperiment einlassen wollen, in dem jegliches Materielle nicht vorhanden ist und uns gleichzeitig selbst die Frage stellen, worauf es am Ende im Leben wirklich ankommt, so komme ich auf eine simple Antwort. Als soziale Lebenwesen, ist es unser aller Ziel, mit anderern Menschen gemeinsam Zeit zu verbringen. Egal ob mit Freunden, der Familie oder sonst Menschen, die uns gut tun. Am Ende sehnen wir uns, neben ruhigen, einsamen Momenten, immer wieder nach der Gemeinschaft, um zu lachen, zu diskutieren, zu trauern oder einfach nur Momente gemeinsam zu teilen. Alles andere "drum herum" hat nur eine dienende Funktion. Hindert uns dieses "Drumherum" daran, sich analog zu treffen und auszutauschen, ist es meiner Meinung nach in Frage zu stellen. Das gilt für das Hamsterrad ebenso, wie für das Handy.

So bleibe ich weiter ein Kritiker der digitalen Welt ohne mich von ihr zu verabschieden (ohne sie geht es nur mit sehr, sehr großen Hürden). Trotzdem habe ich ihr Schranken gesetzt (z.B. habe ich bis heute keine Handyvertrag, der es mir ermöglicht, zu jeder Zeit online und empfangsbereit zu sein), um nicht in die digitale Welt zu versinken, die für mich nie der Zweck an sich darstellt, sondern immer Mittel zum Zweck (nämlich das gemeinschaftliche, friedliche, analoge Miteinander)  bleiben sollte.

Die Schattenseiten der Digitalisierung könnten von mir noch weiter ausgeführt werden. Dies würde an dieser Stelle jedoch den Rahmen sprengen. Gerne dann mal in einem analogen Gespräch :)

1 - Hitze

Es ist heiß, sehr heiß hier. Immer wieder dusche ich mich tagsüber, um meinen Körper eine Zeitlang abzukühlen. Der Ventilator an der Decke läuft ununterbrochen. Nachmittags über liege ich oft nur im Bett, lese, schaue TV oder schlafe. Der Körper ist zu anderem nicht in der Lage und fühlt sich ständig platt an. Wir befinden uns jetzt im subtropischen Norden Argentiniens. Die Fahrräder bzw. das Fahrrad von mir (das andere wurde ja leider gestohlen) ruht nun einigen Monate, während wir uns nach Argentinien begeben haben, um überwiegend Freunde und Familie zu besuchen.  

So weit weg von der Heimat zu leben (Laura), ist nicht immer einfach. Der doch auch etwas kältere und distanziertere deutsche Alltag, macht das Einleben in einer fremden Kultur nicht einfacher. Sich wieder in der eigenen Sprache, in der gewohnten, mit ihren speziellen Eigenheiten behafteten Umgebung unterhalten zu können, gibt Sicherheit, Selbstbewusstsein und Lebensfreunde zurück. Gleichzeitig ermöglicht eine Reise zurück ins Heimatland auch, einen vergleichenden Blick auf das Leben der Menschen zu werfen: Das Leben der Menschen in Deutschland und eben jenes der Menschen in Argentinien. So lernt man Dinge wertzuschätzen, die man z.B. in Deutschland hat, kann aber auch sehen, was andere Länder/Kulturen subjektiv gesehen besser machen. Im Gegensatz zu kurzfristigen, touristischen Aufenthalten, erhoffe ich mir durch die starke Verwurzelung mit dem Land (über Freunde und Familie) in Verbindung mit einem längerfristigen Aufenthalt, einen tieferen Einblick. 
Das Wetter im Sommer in weiten Teilen Argentiniens (ausgenommend der Süden) macht mir zu schaffen. Es ist einfach sehr, sehr heiß hier. Dies ist mir z.B. in meiner ersten Reise in Argentinien mit dem Fahrrad nicht so aufgefallen, da ich mich zu dieser Zeit im kühlen Süden befand (so hat es z.B. in der südlichsten Stadt Usuaia im Dezember, hier der Sommer, geschneit). Meiner Meinung nach wird der Hitzeeffekt durch eine wenig durchdachte Stadt- und Dorfplanung verstärkt (im Übrigen ist das auch in Europa so. Erst in den letzten Jahren hat ein Umdenken stattgefunden). Anstatt hitzemildernden Grünflächen mit Bäumen, sind viele Orte in Argentinien überzogen mit Beton. Oftmals sind der zentrale Park und die "Fitnesswege" die einzigen Orte mit großflächig schattenspendenden Bäumen. Auch die Grundstücke von Häusern sind so konstruiert, dass Beton oder Stein nicht nur das Grundstück mit einer teils hohen Mauer umgibt, sondern auch der Boden damit versiegelt wird. So wird ein Mittagsspaziergang vor allen in den heißeren, wenig windigen Regionen, oftmals nahezu unerträglich. Wenig überrascht ist deshalb, dass fast alle Geschäfte zwischen 13.00-17:00 geschlossen haben: Siesta Zeit. Das deutsche Vorurteil "Menschen im heißen Süden würden weniger arbeiten" kann bezogen auf die "Siesta" aber widerlegt werden. Die Geschäfte öffnen wieder um 17.00 Uhr und haben dann meist bis mindestens 21:00 Uhr wieder geöffnet. Dies prägt schlussendlich auch den Rhythmus der Menschen: Je heißer die Gegend, desto stärker verschiebt sich das Leben in die Nacht. Abendessen fängt in argentinischen Familien sehr selten vor 20:00 an. So wurde bei uns an Heilig Abend erst um 23:30 und an Silvester erst um 0:00 Uhr zu Abend gegessen. Nicht gerade zur Freude meines Verdauungstraktes, der mit der späten Nahrungsaufnahme seine Probleme hat.  

Trotz der Hitze und den damit verbundenen Umständen, bin ich wieder gerne in Argentinien. Obwohl auch hier das arbeitsgeprägte Hamsterrad seine Runden dreht, habe ich das Gefühl, dass sich die Menschen mehr Zeit füreinander nehmen. Mal ist es ein kurzes Treffen am Mittag zwischen den beiden Mittagsschichten, mal eine gemeinsames Zusammensitzen im Park ausgestattet mit einem Mate und dem dazugehörigen heißem Wasser, dann mal wieder ein länger dauerndes "Asado" (Grillen). Man findet immer wieder Zeit füreinander, oftmals auch spontan. Lange im Voraus zu planende Termine, wie das teilweise bei uns der Fall ist, ist hier nicht vonnöten bzw. tlw auch kontraproduktiv, da sich Pläne auch wieder schnell ändern können. Diese Flexibilität und das unkomplizierte Zusammensein habe ich schon immer bewundert und fehlt mir ehrlich gesagt in Deutschland. In Deutschland habe ich oft das Gefühl, dass aus jedem Besuch gleich ein Staatsakt gemacht werden, welcher geplant und im Einklang mit dem wöchentlichen, gut strukturierten Arbeitsalltag gebracht werden muss. Sind auch noch Kinder mit im Spiel, wird es schnell sehr kompliziert. Ich wundere mich schon darüber, dass es Menschen in bestimmten Kulturen schaffen, sich spontan miteinander zu treffen ohne, dass dabei gleich alles aus dem Gleichgewicht gerät, und andere wiederum nicht. Ich persönlich glaube, dass uns ein etwas lockerer Umgang mit Besuch, dem sich Treffen oder etwas unternehmen ganz gut tun würde. Das "komm einfach mal vorbei" bzw. "ich komm heute mal auf ein Tee vorbei" könnte bei uns mehr vorhanden sein. Natürlich hat die argentinische Spontanität auch ihre Schattenseiten. Man kann hier nie sicher sein, dass ein geplantes Treffen auch wirklich stattfindet. Wie bei so Vielem ist ein gesundes Gleichgewicht (zwischen Spontanität und Verbindlichkeit) sicherlich ratsam.  

Viel spannender und komplexer ist jedoch die Frage, wie stark wir die Natur im Namen des "Fortschritts" immer stärker zurückdrängen wollen. Auf meinen Reisen kann ich immer wieder erkennen, dass gerade indigene Bevölkerung einen ganz anderen Bezug zur Natur haben. Sie sehen sich als Teil dieser an und wollen diese, im Gegensatz zu europäischen Siedlerkultur nicht beherrschen und so effizient wie möglich wirtschaftlich(landwirtschaftlich) nutzen. Es besteht keinen Zweifel daran, dass die indigene Lebensweise eine viel nachhaltigere ist, aber im Gegensatz zur europäischen natürlich lang nicht diesen wirtschaftlichen Erfolg (=Wohlstand) vorweisen kann. Meine Forderung ist nicht, so zu leben, wie die indigene Bevölkerung, gleichzeitig sollten wir aber auch langsam erkennen, dass ein "Weiter so" im Bezug auf den "Eingriff in natürliche Lebensräume" langfristig mehr Schaden bringen wird als Nutzen. In Deutschland haben wir gesamtgesellschaftlich einen so hohen Lebensstandart erreicht, bei dem wahrscheinlich selbst die ärmeren Menschen (bezogen auf dem Lebensstandart) nicht mit einem König vor 200 Jahren tauschen würden (ständig verfügbares warmes Wasser, Hygiene, Behandlung von Krankheiten, etc.). Ist es nicht auch möglich diesen Fortschritt zu bewahren ohne dabei immer weiter in den natürlichen Lebensraum einzugreifen? Schaffen wir es, auch mal selbst unsere individuellen Bedürfnisse einzuschränken, um der Gesellschaft ein qualitativ höherwertiges Leben zu ermöglichen und um zukünftigen Generationen die Schönheit der Natur zu hinterlassen, die wir vorgefunden haben? Ehrlich gesagt, bin ich diesbezüglich in den letzten Jahren ein bisschen skeptischer geworden. Habe ich vor 5 Jahren noch "vom Guten im Menschen" berichtet, sehe ich, angetrieben durch eine nicht aufzuhaltenden Beeinflussung in den sozialen Medien, eine Welt, in der die Gier nach eigenem, schnellen und möglichst sich von selbst ergebenden  Wohlstand,  eine Welt, in der die Empathie aufgrund des fehlenden analogen Kontakts verloren geht, eine Welt, in der die Natur eine untergeordnete Rolle spielt, es sei denn, sie dient dem Instagram-Account.

Friedlich gestimmt haben mich jedoch zwei Momente, die ich in der letzten Woche gehabt habe. Zum einen einen Schriftzug, den ich an einer Mauer, eines noch von indigenen bewohnten Dorfes gesehen habe: "La tierra no es nuestra, somos de la tierra" (Die Erde gehört uns nicht, wir sind aus Erde)

Und zum anderen ein vor 50 Jahren im dichten Regenwald zur Erdölerkundung gebautes Haus (die Erdölförderung hat sich als nicht lohnenswert herausgestellt), welches sich die Natur wieder zurückgeholt hat.

 

Die Bilder sind aus verschiedenen Wanderungen, Ausflüge ausgewählt worden.

 
 

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