Was erwartet mich hinter dieser Straße? Was erwartet dich in den folgenden Artikeln? Lassen wir uns überraschen...
Die Reiseform des Reiseradelns ist sicherlich nicht für jedermann/-frau gedacht. Körperliche und geistige Anstrengungen gehören zum Alltag, auch wenn man teilweise individuell entscheiden kann, wie stark die Ausprägungen der Anstrengungen sein sollen und wieviel „Luxus“ man sich auf der Reise gönnt. Nichtsdestotrotz wird man immer wieder mit Situationen konfrontiert, die Körper und/oder Geist vor ungeahnte Herausforderungen stellen. Doch was ist am Schwierigste an so einer Reise? Es ist weder die abendliche Suche nach einem Schlafplatz noch das Nächtigen in freier Natur oder die tagtäglichen körperlichen Strapazen. Das Schwierigste an so einer Form des Reisens ist die Überwindung. Die Überwindung „Ja“ zu sagen und auf das Fahrrad zu steigen. Die Überwindung bereit zu sein, die Komfortzone zu verlassen und weitreichende Sicherheiten aufzugeben. Die Überwindung das schöne Gefühl von der Familie und von Freunden umgeben zu sein temporär hinter sich zu lassen. Und auch die Überwindung hinter seiner Entscheidung zu stehen und mit konventionellen Lebenslaufbahnen zu brechen.
Nachdem ich nun mein Studium und meine Ausbildung abgeschlossen habe, wäre der „logische“ Schritt der Eintritt ins Berufsleben gewesen. Ich aber habe mich aus diversen Gründen für ein Abenteuer in Südamerika entschieden. Obwohl ich mich von Herzen dafür entschieden habe, ist natürlich der letzte Schritt ein schwieriger. Um mich herum geht alles seinen gewohnten Lauf. Viele meiner Studien- oder Ausbildungsfreunde beginnen jetzt ihren Alltag im Lehrer/innen-dasein. Familien werden gegründet, Zukunftspläne geschmiedet, finanzielle Sicherheiten geschaffen und einen längerfristigen Wohnungssitz festgelegt. Diese Sicherheiten nicht in Anspruch zu nehmen bedarf einer gehörigen Portion Überwindung. Auch ich verspüre das Gefühl in mir zu wirken, Geld zu verdienen, Sicherheiten zu schaffen. Doch gleichzeitig will ich mich aus dem Kokon des hier herrschenden Lebensstandard befreien, Menschen treffen, die weit weg von hier herrschenden Bedingungen leben, und die Natur in ihrer Kraft erleben. So sind die Menschen und die Natur meiner vergangenen Reise mein Antrieb, die mich abseits des Stromes schwimmen lassen, um zu neuen Erkenntnissen zu kommen. Die Entscheidung abseits des Stromes zu schwimmen kostet viel Überwindung, jedoch kostet das Schwimmen abseits des Stromes weitaus weniger Kraft als angenommen. Mögen die ersten Tage auf dem Fahrrad auch gewöhnungsbedürftig sein, der Körper und der Geist adaptieren schnell die neuen Begebenheiten.
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"Freddy, nimmst du dein Fahrrad mit nach Südamerika? Geht das denn so einfach?" Diese Fragen wurden mir vor meiner Reise sehr häufig gestellt und so will ich kurz darüber berichten, wie ich meine Fahrrad von Konstanz nach Buenos Aires bekommen habe.
Der Fahrradtransport ist heutzutage bei fast allen Airlines möglich, bedeutet aber in meinem Fall einen etwas größeren Aufwand. "Komplett verpackt, am Besten in Fahrradkoffern" sollte das Fahrrad laut der Airline Condor sein. Da ein Fahrradkoffer aber für mich nicht in Frage kommt (teuer + auf meiner Tour unbrauchbar), muss ich auf ein Fahrradkarton zurückgreifen, den ich mir schon 2 Wochen vor meinen Flug kostenlos in einem Fahrradgeschäft in Konstanz geholt habe. Der Karton ist groß (2 m) und schwer (6 kg) und es stellt sich natürlich die Frage, wie ich diesen mitsamt Gepäck und Fahrrad im Zug von Konstanz zum Flughafen bekomme. Kein leichtes Unterfangen, wenn man den Travelspirit des Verzichts auch schon hier anwendet. Denn sicherlich gibt es Möglichkeiten, das Fahrrad relativ bequem an den Flughafen zu bekommen:
Möglichkeit Nummer 1: Ich verpacke das Fahrrad schon In Konstanz, sende das Fahrrad zum Frankfurter Flughafen und hole es dort bei der Gepäckaufbewahrugsstelle ab (Kosten ca. 100 Euro)
Möglichkeit Nummer 2: Ich bestelle mir einen Karton am Frankfurter Flughafen und verpacke dieses dann dort (Kosten 25 Euro)
Sicherlich ist vor allem die zweite Möglichkeit eine sehr attraktive, jedoch lehnte ich diese aus folgendem Grund ab. Auf einer Fahrradreise, wie ich sie unternehme, geht es auch darum, durch den Verzicht auf Dinge verschiedener Art eine größere Wertschätzung für die Gegebenheiten unseres Lebens zu erlangen und somit im Lebensalltag unserer Überflussgesellschaft den Blick auf das Wesentliche nicht zu verlieren.
Ich habe das Gefühl, dass die Kinder heutzutage kaum mehr auf Dinge verzichten müssen, sondern schon früh ein "Rundumsorglos-Paket" bekommen. Gerade in der Mittelschicht müssen Kinder oft selbst wenig "leisten", um sich etwas zu verdienen bzw. müssen auf nur wenige Dinge verzichten. Schon als Kinder bekommen sie so viel Spielzeug, welches sie tagtäglich vor die großen Herausforderung stellt, aus den hunderten von Spielsachen auswählen zu müssen. Kommen sie in die 5. Klasse gibt es ein Smartphone, beim Klassenausflug gibt es einen Zwanziger mit dazu, damit das Kind auch nicht verhungert. Sicherlich gibt es auch Kinder, die nicht mit diesem Sorglos Paket aufwachsen (Stichwort: Ungleichheit), jedoch verspüre ich schon eine gewisse Tendenz hinzu einer Generation, die die "Wohlfühlsituation" als gegeben ansieht, für die nicht viel geleistet werden muss. Heutzutage muss der Lehrer den Schülern etwas bieten; der Schüler muss belohnt werden; der Klassenausflug muss eine "Full-Entertainment" Aktivität sein und ja keine Qualveranstaltung wie Wandern. Das die Schule und die allgemeine Lebenssituation heutiger Kinder ein Privileg darstellen, wird nur selten gesehen. Dabei geht es nicht darum , zu sagen "früher war alles besser" (das war es bestimmt nicht!), jedoch davor zu warnen, dass die Kinder durch das seltene Erleben von Verzicht, die Existenz ihrer Privilegien schwieriger erkennen lässt, was Folgeprobleme mit sich bringt.
Doch nun zurück zu meinem Fahrradtransport. Mit einem mir selbst auferlegten Budjet von 10 Euro am Tag, kommt für mich die Möglichkeit 2 (s.o.) nicht in Frage, da dies 2,5 Tage meiner Reise bedeuten würde. Somit muss ich es also schaffen, Fahhrad, Gepäck und Karton über die öffentlichen Verkehrsmittel nach Frankfurt zu bringen. Der Fahrradkarton wird durch knicken und anschließendes Festbinden auf 1/3 der Originalgröße gebracht. Immer noch groß, doch mithilfe eines Gürtels kann ich diesen über meine Schulter hängen, um somit meine beiden Hände für das Fahren bzw. Schieben des Fahrrad frei zu haben.
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Gerade im Feierabendverkehr ist der Transport etwas umständlich, doch nachdem ich durch die Frankfurter Innenstadt fahrend und in Frankfurt bei Domi und Rieke schlafend (Merci! :) ) am nächsten Morgen, etwas verschwitzt am Frankfurter Flughafen ankomme, bin ich froh es geschafft zu haben. Nach etwa 2 Stunden ist das Fahrrad in den Karton verpackt und die Reise kann losgehen. Ab zum Check-Inn Schalter! Doch dort angekommen:
"Bitte Karton aufmachen! Wir wollen kontrollieren, was Sie im Karton transportieren"! "Nicht dein Ernst", denke ich mir und versuche vergeblich sie darauf hinzuweisen, dass ich gerade 2 Stunden damit verbracht habe das Fahrrad zu verpacken und diesen eigentlich nicht öffnen und wieder verpacken will. Keine Chance! Sie kontrolliert-Alles gut-Ende gut! Noch einmal die deutsche Gründlichkeit zu spüren bekommen (damit ja keiner auch noch etwas Zusätzliches in den Fahrradkarton reinmacht...) und ab gehts in den Flieger.
Auch wenn mich der Fahrradtransport auch noch während meiner Reise einiges an Nerven kostet (In Brasilien musste ich auch als Transitpassagier einreisen; ganzes Gepäck abholen; wieder einchecken nachdem 2 Stunden fraglich war, ob sie mein Fahrrad mitnehmen können, weil angeblich das Flugzeug zu klein sei?!?!?; und wieder aus Brasilien ausreisen) bin ich nun froh mit meinem Fahrrad bei einem überragenden Host Hugo angekommen zu sein.
Buenvenido a Argentina!
Warum ich lieber auf dem Boden als in einem 5-Sterne Hotel übernachte...
Schon in Deutschland kümmerte ich mich um meine ersten Übernachtungen in Buenos Aires. Im Gegensatz zu vielen anderen Reisenden schaute ich mich nicht nach Hostels, Hotels oder Pensionen um, sondern um einen Schlafplatz in der extra für Fahrradreisende gegründete Platform "warmshowers". Diese Platform ist explizit von Fahrradfahrern für Fahrradfahrer und soll u.a. den gemeinsamen Geist der Reiseradler(insbesondere das Erleben von Gastfreundschaft) verbreiten. Schon früh und gleich bei meiner ersten Anfrage fand ich Hugo aus Buenos Aires, der mich für die ersten Tage gerne bei sich zu Hause aufnahm. Dies sollte sich als Glücksfall herausstellen.
Nachdem ich schon um 5 Uhr früh in Buenos Aires ankomme, stellt sich für mich erst einmal die Herausforderung mich und das Fahrrad in die Innenstadt von Buenos Aires zu bekommen. Mit 3 Millionen Menschen in der Kernstadt und 13 Millionen Menschen in der Region Buenos Aires kein leichtes Unterfangen. Doch überraschender Weise läuft alles ohne große Probleme ab und so bin ich schon 8 Uhr in der Gegend um Hugos Haus. Da er jedoch bis 15 uhr arbeitet, muss ich noch einige Stunden in der Stadt verbringen, mitsamt Gepäck, großer Müdigkeit und mitten in einer großen Stadt voller Leute ohne viel Platz für Rückzugsmöglichkeiten. Ich bin müde und suche den nächsten Park auf. Dabei beobachte ich ersteinmal meine Umgebung: Wie in jeder Großstadt gilt als offensichtlicher Tourist ersteinmal die Sicherheitslage um mich herum zu bewerten. Da es sich bei diesem Park um ein Erholungspark für Einheimische zu handeln scheint, bewerte ich die Lage nach ca. 10 Minuten als einigermaßen sicher. Ich bin totmüde, da die Reise bis hierher sehr mühsam war. Zusätzlich knurrt der Magen. Ich will mich ersteinmal ein wenig schlafen legen, doch der ier überall im Park verbeitete Hundekot, macht dies nicht möglich. Nachdem ich auch das Viertel um den park erkundet habe, stelle ich fest, dass ich mich auch nicht in ein Cafe bzw. Restaurant sitzen kann, da es aus Platzmangel in der Stadt kein Außenbereich(ich muss mein Fahrrad mit dem Gepäck beobachten können) gibt und somit als Überbrückungsort wegfällt. Der Magen knurrt weiter. So beschließe ich mein Fahrrad kurz aus den Augen zu lassen und in einer Panaderia (eine Art Bäckerei) süße Stückchen zu holen. Alles geht gut und der erste Hunger ist gestillt. Noch immer gilt es jedoch 6 Stunden zu überbrücken. Ich will einfach nur schlafen...und so beschließe ich im nächsten Park mein Glück zu suchen. Dort gelingt mir ein 15 minütiges Nickerchen. Da mir die Gegend jedoch als nicht so sicher erscheint, ziehe ich weiter. Auf die Toilette könnte ich auch, aber ich will mein Fahrrad mitten in der Stadt nicht unbeaufsichtigt lassen. In solchen Situation zeigt sich der ganz klare Vorteil mit einem Partner/in zu reisen. Diesn habe ich zur Zeit jedoch nich nicht und so schaffe ich es irgendwie die Zeit bis um 15 Uhr zu überbrücken und dabei viele neue Eindrücke zu sammeln.
Bei Hugo fühle ich mich schnell wohl. Er spricht kaum Englisch und ich kein Spanisch, aber man lacht viel und die gemeinsame Leidenschaft für das Reiseradeln verbindet sofort. Obwohl er gesundheitlich angeschlagen ist und vor 2 Tagen einen Fahrradunfall hatte, nimmt er sich bei süßen Stückchen und Maté viel Zeit, um mir viel über die argentinische Kultur insbesondere der Folklore zu erzählen. Als er nach 2 Stunden erwähnt, dass er nun gerne eine Siesta machen würde, kann ich mein Glück kaum fassen. Das ist das richtige Land für mich: Siesta um 18.00 Uhr :). ich falle totmüde in meine Isomatte und werde erst nach 2 Stunden wieder geweckt. Es folgen Gespräche,Essen und Musik, welches durch immer wieder aufkommenes Lachen begleitet wird. Als wir am nächsten Abend zu einer Pe~na (hier werden folklorische Lieder und Tänze aufgeführt) gehen, bei der auch Hugo und seine "Bombo"-Trommel zum Einsatz kommen, fühle ich mich nach nur 2 Tagen in Argentinien im Reise(radler)-Modus. Nach den ersten 2 Tagen mit viel kulturellem Input, sollte in den nächsten Tagen ein historischer hinzukommen: die "Desaparecidos" (= die Verschwundenen)
Kleiner Gedankenanstoß: Wie würde sich dein Leben sich verändern, wenn dein Gehalt innerhalb von 4 Monaten nur noch halb so viel wert ist? Dies ist in Argentinien in den letzten 4 Monaten passiert.
"Desaparecidos"
2 Tage bei Hugo waren sehr bereichernd, jedoch zog es mich weiter in den Norden Buenos Aires zu Janina und Alejandro. Durch Zufall erfuhr ich kurz vor meiner Reise, das sich Janina, eine Freundin aus Konstanzer Tagen, mittlerweile in Buenos Aires niedergelassen hatte. Ich konnte mich glücklich schätzen mit ihr eine Person zu haben, die mir eine Einführung in argentinische Sitten und Bräuche, sprachliche Besonderheiten und argentinische Gerichte gegeben und mir bei organisatorischen Dingen weitergeholfen hat. Neben der tollen Gastfreundschaft von Alejandro und Janina, prägte mich besonders ein Ereignis: Der Besuch der ehemaligen "Meschanikerschule der argentinischen Marine" in Buenos Aires (ESME-Escuela de Mecánica de la Armada). Warum mich eine ehemalige Mechanikerschule besondern prägte? Diese Schule diente während der Militärdiktatur von 1976-1983 nicht nur als Ausbildungsort von Offizieren der Marine, sondern gleichzeitig auch als Folterzentrum des Regimes. Etwa 5000 Menschen wurden hier gefangen gehalten, gefoltert und für die Todesflüge vorbereitet. Nur 200 Menschen kamen aus diesem Folterzentrum lebend heraus. Das Perverse an diesem Verbrechen gegen die Menschlichkeit: die Menschen wurden mitten in einem Wohngebiet festgehalten; Die Offiziere wohnten mit den Gefangenen unter einem Dach (während die Gefangenen oben im Dachgeschoss 24 Stunden mit verbundenen Augen an Füßen und Händen gefesselt waren, spielten die Offiziere zwei Etagen darunter Pool. Der General lebte sogar mit Frau und Kinder im Haus). Mindestens 30 Kinder wurden hier von gefangenen Frauen geboren. Nach ihrer Geburt wurden die Frauen wie auch andere Gefangen für den sog. "Transfer" vorbereitet. Dabei wurden ihnen eine Verlegung in ein "besseres" Gefängnis versprochen, danach betäubt und wehrlos über den Rio de la Plata oder im Ozean mit Hilfe von Flugzeugen abgeworfen. Das ESME war nur eines unter denen im ganzen Land verteilten Foltergefängnissen und zeugt von der systematischen Ermordung politischer Oppositioneller. Mehr als 30.000 Menschen wurden Opfer dieser Militärdiktatur, welche, wie auch andere Militärdiktaturen in Lateinamerika, von der USA(CIA) im "Kampf gegen den Kommunismus" unterstützt wurde. Eine wichtige Rolle nahmen die Mütter(madres) der "Desaparecidos" ein: Noch während der Militärdiktatur und bis heute demonstrieren sie für Aufklärung in diesem dunklen Kapitel der argentinischen Geschichte. Je nach politischer Führung wurden und werden die Täter mal stärker mal weniger stark verfolgt bzw. Aufklärung unterstützt. Der jetzige Präsident Macri versuscht die Aufklärung dieses dunklen Kapitels zu behindern. Traurig! Erst vor ein paar Tagen wurde ein Arzt, der bereit war gegen ehemalige hochrangige Militärs auszusagen, einen Tag vor der richterlichen Anhörung tot aufgefunden: nach ersten Gutachten starb er eines unnatürlichen Todes.
Nach dem prägenden Besuch dieser Gedenkstätte, die gleichzeitig immer noch als Tatort für Beweise benötigt wird (weshalb man nichts berühren darf !), bin ich bereit die Stadt Buenos Aires zu verlassen und mich aufzumachen in die Weiten der Pampa.
Nun ist es wieder so weit. Nicht einmal 2 Jahre nach meiner letzten großen Fahrradtour soll es heute also wieder auf meinen Drahtesel gehen. Der größte Unterschied zu der letzten Reise: Ich beginne die Reise alleine. Was wird mich dieses Mal auf meiner Reise erwarten? Ich bin gespannt!
Ich habe großen Respekt davor mich per Rad aus der Metropole Buenos Aires zu begeben. Kaum Fahrradwege, wenig Respekt vor Fahrradfahrer und viel (LKW-)Verkehr sind für jeden Radler ein Alptraum. Ich habe immer wieder mit dem Gedanken gespielt mich per Zug aus dem Stadtzentrum zu befördern, doch irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich es auch so schaffen werde. Und irgendwie habe ich Glück: Auf kleineren Straßen finde ich meinen Weg aus der Stadt und immer wieder werde ich von Menschen aus dem Auto oder LKW motiviert. Selten verstehe ich, was sie sagen. Doch ich schüttele an der ein oder anderen Ampel die Hand mit anderen und bekomme von einem aus der Uni zurückkomenden Fahrradfahrer wertvolle Tipps auf Englisch für die Weiterfahrt: " Neben der Schnellstraße gibt es eine Nebenstraße, welche du bist Lujan (meine Zielstadt) befahren kannst. Doch pass auf: in Moreno gibt es einen Streckenabschnitt von ca. 5 km. Gib Gas und halte nicht an. Die Gegend ist gefährlich. Die meisten Fahrradfahrer fahren hier nur in Gruppen durch!" Gesagt, getan und fahre mit 25km durch die Gegend.
Mit Rückenwind und relativ wenig Verkehr spule ich sehr schnell viele Kilometer ab und so entscheide ich mich weiter als das von mir gesetzte Ziel zu fahren. Eine sehr gute Entscheidung, wie sich zeigen wird. Obwohl ich die ersten Stunden mit sehr wenig Kraft fahre, spüre ich schon wieder ein Ziehen und Stechen am linken Oberschenkel. Die Verletzung trage ich schon seit 4 Monaten mit mir und trotz langer Ruhepause bekomme ich die Schmerzen einfach nicht in den Griff. Ich vermute eine Tendinitis der Quadricepssehne, doch kann ich andere Verletzungen nicht ausschließen. Sicher bin ich mir darüber im KLaren, dass diese Verletzung meine Reise ernsthaft in Gefahr bringen kann: Wie soll ich die Anden überqueren, wenn ich schon bei Rückenwind und gerader Strecke Schmerzen verspüre. Meine Stimmung ist am Tiefpunkt, auch deshalb, weil Kräftigungsübungen im Vorfeld und Ruhepausen anscheinend keinen positiven Effekt hatten. Und das schon am ersten Tag! So fahre ich mit eher hängendem Kopf gegen 17.00 Uhr in das Dorf Jauregui ein und suche verzweifeld nach Essbarem. Das Dorf macht einen tristen Eindruck und esrt spät finde ich die kleine Panedaria (Bäckerei) "Pan y miel" (Brot und Honi). Ich trete ein: "Buenas Dias" kommt es mir entgegen. " Buenos Dias", antworte ich. Der Bäcker, Mitte 50, spricht weiter auf mich ein, doch ich antworte ich nur, dass ich kaum Spanisch spreche und weise mit Händen und Augen darauf hin, dass ich mich umsehe. Ich zeige auf die "facturas" (süße Stückchen), die ich zu haben wünsche und bezahle. Innerhalb von Sekunden komme ich zu der Entscheidung, dass es ganz nett wäre, doch die süße Stückchen hier in der Bäckerei zu essen. Alleine unterwegs und mit nur wenige Leuten sprechend tut mir diese bestimmt gut und so frage ich, ob ich mich an den Tisch mit den 2 Stühlen setzen darf. "Selbstverständlich" (oder so ähnlich) antwortet mir der Bäcker und bietet mir sofort einen Maté -Tee an. Und beginnt die erste wertvolle Bekanntschaft schon an meinem ersten Tag. Nachdem ich PLatz genommen habe, wird per Telefon sofort die Frau des Bäckers angerufen: Sie solle doch herüber kommen, hier sitzt ein Fahrradfahrer der durch Argentinien bis nach Usuaia und weiter über Chile nach Peru und sogar bis nach Bolivien Fahrrad fahren will. Keine 5 Minuten später kommt seine Frau in die nicht einmal 15m^2 große Bäckerei. Als nächstes wird der Sohn, Martin angerufen. Auch dieser gesellt sich keine 5 Minuten später zu uns. Immer wieder wird unser "Gespräch" von Kunden unterbrochen, denen der Bäcker ganz aufgeregt von meinen Plänen berichtet. Nachdem ich ihm erzählt habe, dass ich vor 2 Jahren nach China gefahren bin, wird auch diese Neuigkeit jedem Kunden weitererzählt. Martin, 25 Jahre, Touristikstudent, packt mir 10 facturas ein und reicht sie mir. Der Maté-Tee wird rumgereicht und so verweile ich 1,5 Stunden in der Bäckerei. Als es schon dunkel wird frage ich nach einem Zeltplatz und werde von Martin zu einem Zeltplatz geführt. Nachdem er mir auch geholfen hat das Zelt aufzubauen bietet er mir an, in seinem Zuhause zu duschen. Ich nehme dankend an und lasse all meine Wertsachen im Zelt zurück. "Es sei sehr sicher hier und ich brauche keine Angst zu haben", versicherrt mir Martin. Die warme Dusche tut gut und nachdem mir Martin noch ein Milanesa-brötchen mitgibt ( Schnitzel im Brötchen), finde ich mein Zelt ohne Verlust im Dunkeln des Waldes wieder. Schon bei meinem ersten Fahrradreisetag hat es sich also wieder gezeigt: Durch Mensch oder Natur werde ich jeden Tag belohnt! Im Stillen den Waldes schlafe ich erschöpft und glücklich ein.
Nachdem mich am nächsten Morgen die Vögel des Waldes wecken, begebe ich mich noch einmal zur Bäckerei "Pan y Miel". Wieder verbringe ich fast 2 Stunde in der kleine Bäckerei. Das Spiel von gestern wiederholt sich dabei: Maté trinkend wird meine Story jedem Kunden erzählt. Gerade mit Martin tausche ich mich immer wieder erfolgreich in einem Mix aus Englisch-Französisch-Spanisch-Italienisch (da ich Spanisch kaum beherrsche, versuche ich es, mit einem Mix aus diesen 4 Sprachen) aus. Das warme "pan y miel" verlassend geht es dann aber wieder aufs Rad. Was wird mich heute erwarten? Es wird die Geschichte einer denkwürdigen Begegnung mit Gustavo alias Philipe.
Nach nicht einmal 10km spüre ich den Schmerz in der Quadrizepssehne wieder aufkommen. Mist! Während der Fahrt überlege ich mir, wie ich diesen Schmerz lindern kann und komm auf den Gedanken meine Fahrposition zu ändern. So stehe ich ab Kilometer 15 nun überwiegend auf dem Fahrrad. Ich habe zumindest das Gefühl, dass es nicht schlimmer wird. EIn gutes Zeichen. Notfalls stehe ich halt die ganze Fahrt über auf dem Fahrrad. Doch leider werden die Straßenbedingungen schlechter: Ein LKW nach dem anderen rast an mir vorbei. Ich habe kein PLatz auf der rechten Seite und es ist eine einspurige Straße mit Gegenverkehr. So muss ich immer wieder auf die Wiese ausweichen und den Verkehr sowohl im Rückspiegel als auch der Entgegenkommende im Auge behalten. Wird es eng, fahre ich schon vorbeugend auf die Wiese, denn die LKWs bremsen nicht. Das ganze geht ganz schön auf die Nerven und meine Laune ist so ziemlich im Keller. Da ich stehend wesentlich unstabiler als sitzend bin, muss ich mich immer wieder hinsetzen, um den Verkehr im Auge behalten zu können und sicher zu manävrieren. So macht das Fahrradfahren kein Spaß und ich spiele mit dem Gedanken zumindest eine Teilstrecke per Zug zu überbrücken. Als ich dann auch noch an einer Unfallstelle vorbeifahre (ein LKW ist komplett auf die Gegenseite und hat sich dabei 180 gedreht?!?!) steht mein Entschluss fest: Ich nehme einen Zug. Doch das Blatt wendet sich. Auf einmal habe ich Glück. Aufgrund der Unfallstelle können nach mir nur noch wenige Autos passieren. Auf einmal kommt kein Verkehr mehr hinter mir nach. Das ist meine Chance: Ich gebe Vollgas und fahre durchgängig im Stehen: Nur noch 30 km bis Chivilkoy. Ich drehe mich wieder um: immer noch kein Auto in Sicht: Freddy, trete in die Pedale. Es sind nur noch 20km! Nur noch 10km! Dann sehe ich eine lange Auto-/LKWschlange hinter mir. Ich lasse den Verkehr passieren und warte. Der Himmel ist düster und ich bin etwas spät dran. Die letzten 10km sind noch einmal anstregend, denn der Tacho weist schon 105 km auf. Jetzt brauche ich Glück. Als ich bei einer Tankstelle um eine Übernachtsunmöglichkeit bitte (das ist hier Usus-->siehe Video), wird mir diese verwehrt. Auch sonst kann ich in der Stadt keine Campingmöglichkeit finden. Es wird langsam dunkel. Als ich anhalte, merke ich auch noch, dass ich einen meiner neuen Flip-Flops verloren habe. Scheiße! What a shitty day! Was nun? Es wird dunkel und ich bin mitten in einer Stadt im Niemandsland. Menschen schauen mich an und beobachten den Fremden. Ich beschließe kurzerhand bei einem Gemüsehändler zu halten bei dem ich zuvor eingekauft habe und ihm um Hilfe zu bitten. Als er hört, dass ich von der Tankstelle zurückgewiesen wurde, ist er außer sich vor Wut. "Unerhört", sei dies (das habe ich jetzt mal wohlwollend und frei übersetzt) und er ruft bei der Polizei an. Nach einigen Telefonaten steht klar: Ich kann in einem Park 10km außerhalb der Stadt übernachten. Zwar sind es noch 10km und es ist dunkel, doch ich bin froh, dass ich mich wieder auf die Menschen verlassen konnte. Und so streife ich durch Chivilkoy bis ans Ende der Stadt. Immer wieder werde ich von streunenden Hunden verfolgt, die es hier haufenweise gibt. Es ist nun stockdunkel als ich in den Park einfahre. Mein Fahrrad ist komplett verdreckt und ich bin nach 120 km total am Ende. Ich steige vom Fahrrad. Ein Hund kommt sofort und bellt. Als ich ihm etwas zum Essen gebe, ist er ruhig und lässt sich von mir streicheln. Dann begutachte ich ein Haus, das auf diesem Gelände steht. Es brennt noch Licht. Als ich eine Tür öffne entdecke ich verlassene Toiletten. Kann ich nachher bestimmt gut gebrauchen. Vielleicht gibt es sogar Duschen. Ich schließe die Tür wieder und kehre zu meinem Fahrrad zurück. Gerade werfe ich die Zeltplane auf den Boden als plötzlich ein Mann mit 3 Hunden neben mir steht: es ist Gustavo-alias Philipe der Clown!
Gustavo ist 38 Jahre alt. Seitdem er 14 Jahre alt ist, ist er auf Reisen bzw. besser gesagt: "homeless" (ich finde diesen Begriff passender als den deutschen Begriff Obdachlos). Von seinen Adoptiveltern aufgezogen und schlecht bzw. mit Gewalt behandelt, hat er eine schwere Kindheit. Nachdem sich die Adoptiveltern trennen, wird er vom Adoptivvater verstoßen. Von jetzt auf gleich befindet er sich auf der Straße. Ohne Essen. Ohne Obdach. Ohne Schutz. Von nun an ist er auf sich alleine gestellt. Er erlebt schwere Zeiten, lebt in gefährliche Gegenden, doch einzelne Menschen helfen ihm immer wieder aus lebensbedrohlichen Situationen zu entkommen. Ohne Ziel reist Gustavo durch Argentinien: Auf dem Fahrrad. Er ist ein trauriger Mensch und kennt nur wenig Freuden. Als er 25 Jahre alt wird, wird eine neue Person in ihm geboren: Philipe- der Clown. An Ampeln stehend, versucht er als Clown den Menschen ein Lächeln in ihr Gesicht zu zaubern. Obwohl (oder gerade deshalb) er eine schwere Kindheit erfahren hat, will er den Menschen positiv entgegentreten und ihnen in den oft tristen Alltag etwas Wärme vermitteln. Die Kinder lieben ihn und die Liebe dieser Menschen gibt ihm die Kraft andere zu lieben und seinem Leben etwas Positives abzugewinnen. Zwar reist er immer noch ohne festes Zuhause durch Argentinien, doch in der Rolle des Philipe vergisst er seine Sorgen. Nur wenige Menschen kennen Gustavo, doch die gante Stadt kennt Phillipe. Trotz der schlechten wirtschaftlichen Lage, stecken ihm die Einwohner während seines Clowntreibens immer wieder ein paar Pesos zu. Gustavos Alltag ist dagegen sehr triste: Seit Mai übernachtet er in der Dusche eines Parks und darf die kleine Küche im Nebenzimmer benutzen. Horassio, ein etwa 60 Jahre alter Hausmeister, kommt fast täglich vorbei und bringt ihm ab und zu etwas zum Essen vorbei. Seine 3 Hunde, Camillo, Gina und Chico sind wie Kinder für ihn. Gustavo hat eine gute Seele, doch ist ihm seine schwere Vergangenheit anzumerken. Während des Sprechens, das er teilweise für mehr als eine Stunde nicht unterbricht, kommen immer wieder ernste Gesichtszüge in ihm auf. Sein sehnlichster Wunsch: irgendwann, irgendwo sesshaft zu werden. Er ist des Reisens müde.
Ich habe 2 Tage mit Guistavo verbringen dürfen. Ich habe dabei einen hochintelligenten Mann kennengelernt, der sich sowohl in der weltweiten Politik auskennt, Englisch spricht und vielerlei technische Fähigkeiten mit bringt. Er hat ein gutes Herz und es war sehr interessant ihm und seine Weltansichten zuzuhören, auch wenn es teils anstregend war, da er über Stunden alleine philosophiert hat. Ich glaube er war sehr froh jemanden zu haben, dem er sein Wissen preisgeben konnte. Zugleich habe ich aber auch einen Menschen kennegelernt, dem das Leben schwer mitgespielt hat. Doch selbst er hat sein weniges Essen (Reis mit Ei) und seinen Maté Tee geteilt und mir beim Suabermachen meines verdreckten Fahrrads und bei der Reperatur geholfen. Auch wenn die hygienischen Bedingungen für mich während der 2 Tage schwierig waren, war diese Begegung mit diesem Menschen eine große Bereicherung.
Nach 2 Tagen bei Gustavo zieht es mich weiter. Aufgrund der Tatsache, dass der Zugservice aufgrund von Bauarbeiten eingestellt wurde, bin ich gezwungen mit dem Fahrrad weiterzuziehen. Zwei Fragen sind für den weiteren Verlauf der Reise von großer Bedeutung:
1. Werden die Bedingungen für Fahrradfahrer besser (weniger (LKW-) Verkehr)?
2. Ist bzgl. meiner Verletzung Besserung in Sicht?
Da ich an einem Sonntag mich von Gustavo verabschiede, ist kaum Verkehr. Die Sonne scheint und der Wind bläst günstig. Auch in den nächsten Tagen ist es wesentlich ruhiger auf den Straßen als die Tage zuvor. Das liegt aber auch daran, dass ich nun auch verstärkt auf Nebenstraßen (Provinzstraßen) unterwegs bin. Da es die letzten Tage nicht geregnet hat, sind auch die ungeteerten Wege für mich befahrbar, auch wenn der oft sandige Untergrund das Fortbewegen erheblich erschwert und ich gezwungen bin des Öfteren zu schieben. Es gibt keine perfekten Bedingungen, wie wir sie mit Fahrradwegen in Zentraleuropa kennen. Entweder wenig Verkehr und schlechte Straßen oder gute Straßen und viel Verkehr. So arrangiere ich mich mehr oder weniger mit den Bedinguunge vor Ort auch unter der zu erwartenden Besserung in Westargentinien.
So bleibt die große entscheidenen Frage nach der körperliche Verfassung. Schon während meiner eintägigen Pause bei Gustabo probiere ich neue Dehnübungen aus, nehme Vomacur (Danke Marlene und Andreas :) ), versuche durch Massagen meine Muskeln zu entspannen, verstelle den Sattel und habe auch das Gefühl, dass der Mate-Tee mit irgendwie gut tut. So passiert etwas außergewöhnliches: Meine Schmerzen nehmen in normaler Fahrposition auch bei Gegenwind ab! Täglich fühle ich mich stärker und die Schmerzen werden weniger. Ich will diese Reise unbedingt und mein Körper lässt mich wieder einmal nicht im Stich. Ich liebe meinen Körper. Überhaupt ist der menschliche Körper ein Wunderwerk.
Es geht nun vorwärts . Mal mit Rückenwind, mal mit Gegenwind. Mal werden weniger mal mehr Kilometer gefahren. Täglich treffe ich Menschen, die mir sehr behilflich sind, wie z.B. Juan (wieder ein Mann der unteren Klasse, der wenig hat, aber viel gibt):
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Ich bin fast nur noch auf Provinzstraßen unterwegs und komme in immer verlassendere Gegenden. Die Menschen werden noch hilfsbereiter und sind immer sehr freundlich zu mir. Was mir jedoch auffällt: Das Land müsste sehr reich sein, doch irgendwie befinden sich große Teile der Bevölkerung in einer schlechten ökonomischen Lage. Zum (tragischen) politischen System und seinen Auswirkungen jedoch in einem separaten Beitrag zum späteren Zeitpunkt mehr.
Bisher übernachte ich immer an öffentlichen Campingplätzen/Parks in Städten/Dörfer. Trotz der großen Hilfsbereitschaft ist es jedoch schwierig in die Häuder der Menschen eingeladen zu werden. Ein Gastfreundschaft, die ich besonders in der muslimischen Ländern erfahren durfte. Langsam gehen mir die argentinischen Pesos und ich benötige eine krze Pause, um meine Kleider zu waschen und einige kleine organisatorische Dinge zu erledigen. So habe ich mir 1 Tag bevor ich in die Stadt "General Pico" eintreffe vorgenommen, unter einem argentinischen Dach untezukommen. So begebe ich mich auf die Platform "warmshowers", um nach einer Übernachtungsmöglichkeit zu fragen. Ich weiß zwar, dass meine Chance aufrgrund der Spontanität gering sind, doch ein Versuch ist es wert. Stündlich checke ich auf meinem Weg nach General Pico nun mein Handy. Keine Antwort auf zwei Anfragen! Ich benötige unbedingt einen Stop, da ich nur noch 40 Pesos habe (1 Euro). Doch auch als ich in General Pico eintreffe, habe ich immer noch keine Antwort bekommen. Was macht man in so einem Fall: erst einmal anhalten und die Lage vor ort abklären: Hotels-zu teuer; Campingplatz?-ausgerechnet jetzt scheint es keinen zu geben. Während ich die Karte betrachte, um neue Optionen erkundlich zu machen, hält auf einmal ein rotes Auto an. Ein Ehepaar steigt aus und fragt, ob sie mir helfen können. "Wo finde ich hier einen Campingplatz?", frage ich sie. "Dieser liegt weit außerhalb, aber wenn du willst kannst du zu uns kommen Mate trinken und auch bei uns übernachten", antwortet mir die Frau. Der Mann zeigt mir die Straße, in der er wohnt, auf der Karte. Wow! Keine 5 Minuten in der Stadt und mein Plan scheint wieder voll aufzugehen. Danke Universum! Und so fahre ich keine 3 Kilometer zu besagtem Ort. Ich fahre einmal um den Block. Ungeteerte Straßen, die Häuser etwas verwahrloster. Menschen betrachten mich teils freundlich, teils argwöhnisch, teils überrascht. Ich fahre ein zweites Mal die Straße entlang. Immer noch kein Anzeichen vom Auto des Ehepaars. Ich fahre noch ein drittes und ein viertes Mal die Straße entlang und um den Block. Die Sache wirkt irgendwie ein bisschen komisch und so entscheide ich mich eine andere bisher noch nicht angewandte Möglichkeit in Betracht zu ziehen: Ein Tankstelle. Und tatsächlich: Hier darf ich sobald die Dämmerung einsetzt, das Zelt aufschlagen. Nur um 7 Uhr morgens soll ich wieder weg sein. So steht mein Zelt um 19.00 Uhr abends an einer Shell-Tankstelle. Doch ich benötige immer noch eine Übernachtungsmöglichkeit! So probiere ich für den nächsten Tag eine Übernachtungsmöglichkeit zu bekommen und schreibe einer der beiden Personen auf dem Handy an (warum ich darauf nicht früher gekommen bin?!?!?): Keine Minute später eine Antwort: Kein Problem! Morgen früh um 10 Uhr! Yeahhhhhhhh. Denn ich merke nun auch das Wochenende ist und die Banken geschlossen haben. Ich brauch also für mindestens 2 Tage eine Übernachtungsmöglichkeit. Es ist dunkel und ich freue mich auf mein Schlaf. Auf einmal kommen 2 Bedienstete der Tankstelle auf mich zu: "Hast du einen Freund in der Stadt? Martin Azamora? Er kommt dich jetzt abholen." " mmmm. Ich kenne eigentlich keinen Freund hier. Aber vielleicht ist es das Ehepaar, das mich zuvor eingeladen hat und mich sucht", antworte ich, indem ich mit Händen und Füßen und Wörterbuch ihnen von der Begegnung mit dem Ehepaar erzähle. Ich glaube sie verstehen nicht viel, was ich sage. Was soll ich machen? Ich warte. Nach ca. 10 Minuten trifft ein Mann bei der Tankstelle ein. Er kommt auf mich zu. Ich reiche ihm die Hand, doch er umarmt mich und küsst mich auf die Wange. Es ist nicht der Mann vom Ehepaar. Es ist auch nicht einer der beiden Fahrradfahrer aus der Warmshower commmunity. Es ist Martin- El Loco!
Was nun passieren wird ist eine einzigartige, neue Bekanntschaft und ein plötzlicher Begebenheitswechsel, der in dieser Form nur bei Reiseradler vorkommt. Ich werde mich 4 Tage in General Pico aufhalten
Das Zelt wird eingepackt und dann geht es los. Immer Martin hinterher. Durch die Straßen von General Pico rauschen die Eindrücke einer Kleinstadt am Abend vorbei. Noch eine Abzweigung dann ist es soweit. Wir erreichen das Haus von Martin, stellen die Fahrräder in den Hof und gehen ins Haus. Ein eigenes Zimmer für mich. Ein Traum! Als dann noch die warme Dusche kommt, bin ich wunschlos glücklich. Eigentlich würde ich jetzt gerne schlafen, doch Martin schlägt vor, zu einem öffentlichen Konzert der Stadt General Pico zu gehen und so sitze ich - eine Stunde zuvor war ich noch im Zelt an einer Tankstelle - etwas "underdressed" in kurzer Hose in einem argentinischen Konzert Mitten in der (Provinz) Pampa. Zwar bin ich müde, doch dieses Ereignis bringt mir Argentinien noch ein Stück näher. Nachdem wir dann auch noch eine leckere Pizza im Restaurant essen, falle ich müde aber glücklich in meinen wohlverdienten Schlaf.
Argentiniens weltweite Berühmtheit für das leckere Fleisch ist auch mir bekannt. Schon seit ich in Argentinien bin, spiele ich mit dem Gedanken mal so richtig lecker Fleisch auf den Grill zu legen (sorry Vergetarier :( , wenn ich zurück bin, dann reduziere ich den Fleischkonsum auf ein Minimum). Am Wegesrand war immer wieder das Wort "Parilla" (~ Grill) zu sehen, doch irgendwie bin ich dann doch nicht angehalten. Vielleicht spürte mein Inneres, dass ich auf ein "richtiges" Parilla Essen warten müsse. So kündigt Martin am nächsten Morgen an, dass wir heute einen Parilla Nachmittag machen. Ich habe keine Ahnung wie dies ablaufen wird, doch bin ich dann doch überrascht als nach und nach immer mehr Fahrradfahrer dazustoßen. Manche holen wir am Haus ab, andere stoßen während dem Fahren dazu. So sind wir 15 Fahrradfahrer, die etwa 15 Kilometer außerhalb der Stadt General Pico ein Feuer mitten in der Pampa legen. Nach und nach wird die Glut mit einer Schaufel unter den mitgebrachten Grill gelegt und die Chorizo Würste und die Fußgroße Steaks bruzzeln vor sich hin. Im Schatten der Bäume genieße ich Wurst und Steak in vollen Zügen. Es stört mich einzig und allein, dass ich fast ständig im Mittelpunkt der Gesellschaft stehe. "El Aleman" kann auch nur wenig Spanisch und versteht nicht viel, strengt sich aber an, möglichst viel zu verstehen. Am Ende der 4 Tage sollte sich das bezahkt machen: Ich kann den Diskussionen (teils politische) folgen und kann über Wortbrocken meine Meinung kundtun. Der enge Freundeskreis: Gabriel, Botscha und Martin scherzen sogar, dass ich nach weiteren 4 Tagen in General Pico wohl perfekt Spanisch sprechen könne. Leider zieht es mich 4 Tage weiter und mein Spanisch wird einrosten.
Am Parilla-Tag geht es dann noch am Abend zu Gabriel nach Hause(bis 3 Uhr). Was gibt es? Fleisch-Hühnchen. Natürlich kritisiert das der Herr Fritz in hurmorvoller Art und Weise, worauf es dann am nächsten Tag bei Martin nur Gemüse (ohne jegliche Beilage) gibt. So war das natürlich nicht gemeint ;). Am selbigen Tag geht es dann nochmal mit Gabriel, Botscha und Martin auf ein Open-Air Konzert und am Abend kehren wir bei Botscha zu Hause ein. Was Gabriel, Botscha und Martin für eine Gastfreundschaft an den Tag gelegt haben ist einzigartig. Jeden Abend haben sie zu Feier des Tages ein großes Essen organisiert und mich eingeladen. Um einen Eindruck der ökonomischen Situation zu vermitteln, möchte ich kurz mal meine Beobachtungen während der Essen schildern:
Schon bei dem Grill-Nachmittag wurde am Ende auf einmal Geld eingesammelt. Leider konnte ich zu diesem Zeitpunkt nichts dazu beitragen, da ich kein argentinisches Geld zu Verfügung hatte(sie hätten mich sowieso nicht zahlen lassen). Es war nicht viel, doch zahlte jeder ca. 3 Euro in die Kasse. Dies ist erstmal nichts Außergewöhnliches, doch bei Männern und Frauen mit einem Durschnittsalter von 40-50 Jahre dann doch ein bisschen. Als wir am Abend bei Gabriel(ca. 60 Jahre alt) eingeladen waren, wiederholte sich das Spiel jedoch wieder: jeder zahlte Gabriel einen kleinen Beitrag. Als ich dann auch noch realisierte, dass zwei Parteien sogar ihr eigenes Geschirr mitbrachten, war ich doch etwas überrascht und fragte einfach nach. Tatsächlich kann es sich der Normalbürger in Argentinien nicht einmal leisten, Freunde zu sich nach Hause einzuladen ohne auf Dauer größere finanzielle Löcher zu verursachen. Das Spiel wiederholte sich übrigens auch bei dem Abend bei Botscha und am letzten Abend bei Martin. Ich war natürlich an jedem Abend von den Kosten ausgeschlossen, was mich störte, da ich den Beitrag gerne gezahlt hätte. Ich konnter dieser Form der Solidarität jedoch auch etwas Gutes abgewinnen: Es schafft Zusammenhalt!
Diesen Zusammenhalt durfte auch ich erfahren. Ich war in diesen Tagen Teil ihrer Gemeinschaft. Auch wenn ich nur 4 Tage in General Pico war, wurde am Ende aus der doch eher zufälligen Bekanntschaft eine Freundschaft. Botscha und Martin begleiten mich mit dem Fahrrad sogar aus der Stadt. Auf mich warten weitere Abenteuer!
Doch bleibt abschließend noch eine Frage zu klären: Woher wusste Martin, dass ich an einer Tankstelle mein Zelt aufgeschlagen hatte?
Die ganze Geschichte klärte sich für mich erst Tage später auf. Gabriel hatte meine "warmshowers" Nachricht gelesen und beantwortet, jedoch kam die Mail bei mir nicht an, da er nicht verstanden hatte, sich dafür zuerst bei der warmshowers Platform anzumelden. In dieser Mail kündigte er an, dass er selbst mich nicht empfangen könne, jedoch Martin " ein exzellenter Typ und ein Fahrrad Fanatiker" mich abholen würde ( ich glaubte übrigens bis zum Mittag des zweiten Tages, dass Martin Gabriel sei). Da ich die Mail aber nicht empfangen hatte, wusste ich davon nichts und konnte auch nicht antworten. So war für Martin nur klar, dass ein Deutscher, der kaum Spanisch spricht, an dem Freitag Abend irgendwo in der Stadt ankommen wird. Als ich dann, nachdem ich mein Zelt aufgeschlagen hatte, Kontakt mit Seba, einem anderer warmshower-user, aufgenommen hatte, meldete dieser sich bei Martin und teilte ihm mit, dass ein "Deutscher" an einer Tankstelle zeltet. Sofort nahm Martin das Telefon in die Hand, rief die Tankstelle an und düste los, um mich willkommen zu heißen.
Ein Bericht über die Person Martin-El Loco folgt demnächst...
Martin ist 54 Jahre alt und lebt in der Provinsstadt General Pico. Nach schwerer Kindheit auf dem Lande, in der ihm der Vater mit gewalt erzog , zieht es ihn mit 15 Jahren in die Stadt. Er lernt den Beruf des Frisörs, gründet eine Familie mit 3 Kindern (2 Söhne und eine Tochter) und beginnt durch viel Arbeit für ihrem Lebensunterhalt zu sorgen. Er arbeitet immer mehr - bis zu Stunden am Tag. Als Ausgleich beginnt er viel zu essen, obwohl er sowieso schon sehr einfach und schnell zunimmt. 2006 realisiert er, dass es so nicht weitergehen kann. Er wiegt inzwischen fast 150 kg und das viele Arbeiten ohne Pause bringt ihn an seine Belastungsgrenze. Er kehrt in sich, auch mit Hilfe von philosophischen Büchern des Dalai Lamas und anderen Philosophen, und überlegt , was er wirklich zum Leben braucht: Das ist essen und trinken. Von nun an reduziert er seine Arbeit, achtet auf seine Ernährung und weißt, worauf er verzichten muss: Konsumartikel. Immer stärker entfremdet er sich von dieser Form des Kapitalismus, das ihn "zwingt" viel zu arbeiten, um sich neue Konsumartikel zu kaufen. Er verkauft den Fernseher und weitere Artikel, für die es sich seiner Meinung nach zu arbeiten lohnt. Warum sollte er soviel mehr arbeiten nur um sich diese Dinge leisten zu können? Seine Frau konnte dieser Form der Transformation nichts abgewinnen und so ging die Ehe aufgrund unterschiedlicher Lebensphilosophien in die Brüche. Seine zweite Partnerschaft ging erst vergangenen Monat in die Brüche, nachdem ein tragisches Ereignis aus dem Jahr 2016 die Beziehung schwer belastete: die beiden Töchter und der Ex-Ehemann der damaligen Lebensgefährtin kommen bei einem Autounfall um Lebens. Von dieser Vergangenheit spürt man auf den ersten Blick wenig. Martin ist ein sehr sozialer und stets lustiger und freundlicher Mensch. Den Beinamen " El Loco" trägt er, da er diese Offenheit, Herzlichkeit und gute Laune immer nach Außen trägt, oft einen witzigen Spruch auf Lager hat, mit seinem Fahrrad und Anhänger durch die Stadt und mit fast jeden ins Gespräch kommt ( bei einem Besuch einer praxis eines Freundes beginnt er ersteinmal mit jedem Patienten ein Gespräch anzufangen, macht Mate-Tee und reicht diesen herum). Oder ist es deshalb, weil er dem Kapitalismus widersagt und eine andere Lebensform sich erwählt hat? Denn Martin ist ein harter Kritiker des vorherrschenden Kapitalismus und setzt sich für einen starken Sozialismus (nicht Kommunismus!) ein. Seine vielen Argumente für ein anderes Zusammenlebensmodell kann ich aufgrund der Sprachbarrieren leider nicht wiedergeben. Er lebt jedoch eine Form des Zusammenlebens vor, die es zu würdigen gilt. Anstatt des Geldes tritt der Mensch für ihn in den Mittelpunkt des Zusammenlebens. Für ihn ist es gar keine Frage armen Menschen gratis die Haare zu schneiden.
Martin arbeitet heute nur noch 5 Tage in der Woche und maximal 8 Stunden am Tag. Er macht Yoga, meditiert und fährt mindestens eine Stunde Fahrrad am Tag, achtet auf seine Gesundheit und hat 2012 angefangen mit dem Fahrrad zu reisen. Das Besondere an ihm: er schließt jeden Menschen in sein Herz ist offen zu allen Menschen. Er lebt eine Leben vor, in dem das gemeinsame, fröhliche Leben in einer (Stadt-)Gemeinschaft als zentrale Bedürfnis des menschlichen Lebens angesehen wird.
Ein Zwischenstand
Nun heißt es wieder "Auf Wiedersehen" zu sagen. Ich lasse die Stadt General Pico und ihre liebevolle Menschen zurück und mein Blick richtet sich wieder gen Westen (Ziel: die weltberühmte Straße "routa 40". Die nächsten Tage verlaufen sehr unspektakulär. Nachdem ich es ruhig und gelassen in General Pico habe angehen lassen, heißt es jetzt wieder "Meter machen". So fahre ich immer geradeaus, die gleiche Landschaft für hunderte Kilometer. Gerade wenn man alleine fährt, gibt es sicheres Schöneres. Seitdem ich losgefahren bin, verändert sich die Landschaft nur marginal. Ich werde wieder positiv überrascht durch die Freundlchkeit der Menschen eines kleinen Dorfes und gelange am Folgetag in eine Region, die als Ankerpunkt für Reisende bekannt ist. Sofort ist der Unterschied der Menschen zu spüren. Hier interessiert sich kaum jemand mehr über meine Reise. Von Santa Isabel aus geht es nun daran, meine weitere Reise zu planen und nach einem 130 km Abschnitt im Niemandsland kurz durchzuatmen. Nachdem mir Seba aus Gernal Pico empfohlen hat eine Route durch eine fast menschenverlassende Gegend zu nehmen, da sie wunderschön sei, entscheide ich mich für die harte, aber verkehrsberuhigte Route. So breche ich am nächsten Morgen auf und verlasse im Dorf Algaborro del Aguila die asphaltierte Straße für einen über 300 km langen Abschnitt. Das nächste Dorf ist nur ca. 80 km entfernt. Nachdem ich von Seba gehört habe, dass die Straßen sehr schlecht sein sollen, stell ich mich darauf ein in 1,5 Tagen das Dorf La Humada zu erreichen.
Am Horizont kann ich eine kleine bergige Erhöhung erkennen. Nach über 1000km auf dem Sattel ohne Landschaftsveränderung ein echtes Highlight. Frohen Mutes bringe ich die ersten 10km hinter mir und erklimme die erste Erhöhung, Mit etwa 10 km/h komme ich auch für die Straßenverhältnisse ganz ordentlich vorwärts. Noch schnell ein Foto und dann kann es weiter gehen:
Doch nun beginnen die Straßen schlechter zu werden. Immer wieder bin ich gezwungen das Fahrrad zu schieben. Da es zur Mittagszeit ist , benötige ich auch sehr viel Wasser. Die Landschaft: bisher eine Enttäuschung. Rechts und links von mir ist alles flach soweit das Auge sehen kann und das Landschaftsbild ist dem der zuvor gefahrenen 1000km sehr sehr ähnlich. Was für eine Enttäuschung denke ich mir. Mit jedem Meter mit dem ich mein Fahrrad schiebe, wird meine Stimmung schlechter. Die Sonne prallt auf mein Haupt. Kein einziger Baum am Wegesrand könte für eine Pause Schatten bieten. Als ich wieder gerade daran bin mein Fahrrad zu schieben, merke ich auf einmal, dass ich eine Flasche Wasser verloren habe. Jetzt beginnt die ganze Sache etwas aus dem Ruder zu laufen. es ist schon 17 Uhr und noch immer sind es 60 km Strecke zum nächsten Dorf und somit nächster Wasserquelle. Noch habe ich 2 Liter Wasser, doch ich weiß nun, dass es eng werden wird. das Kochen heute Abend fällt auf jeden Fall aus. Jetzt fehlt nur noch eines: einen Platten. Und als hätte ich es geahnt, stelle ich keine 30 Minuten später einen Platten am hinteren Reifen fest. Es ist der vierte Platten am vierten nachdem ich General pico verlassen habe. Jetzt hilft nur noch eines: Fluchen, sich auskotzen und dann zur Ruhe zu kommen. Noch immer ist es um die 30 Grad warm. Ohne Schatten flicke ich mein Rad. Wäre die Landschaft doch nur wunderschön, dann würde ich die ganze Sache etwas lockerer nehmen. So muss ich meine Umgang mit dem Wasser für die nächsten 55 km genau bedenken. Jetzt bräuchte ich mal wieder Hilfe von den Menschen. Doch dieser bleibt aus. Normalerweise kommt in diesen Momenten immer ein Engel aus dem Nichts. Aber wenn mal ein Auto vorbeifährt wird vielleicht kurz gehupt und oder gewinkt. Kein Auto hält an und fragt, ob ich etwas benötige. Lässt mich das Universum heute im Stich? Die Straßenbedinungen werden nicht besser. Im Sand das Fahrrad zu schieben kostet viel Kraft. Nun gilt es sich Ziele zu setzen und den Wasserkonsum einzuteilen. Bis 30 km vor dem nächsten Dorf will ich es schaffen, um am nächsten Morgen mit einem Liter Wasser das Dorf zu erreichen. Ich zähle nun jeden Kilometer auf meinem Tacho. Ich zähle die Schlücke aus meiner Trinkflasche ab und erwische mich dann doch immer wieder vor Durst einen Schluck mehr zu nehmen. Die Dämmerung beginnt. Dann tatsächlich: ein Auto hält an und fragt ob ich etwas benötige. Das ist meine Chance: "tennes Aqua?" ( Hast du Wasser?). Der Mann schaut im Auto nach-kein Wasser. Dann steigt er aus dem Auto und schaut auf der Ladefläche - kein Wasser. "Universuuuuuuuum- wo bist du???", denke ich mir. Dann weist der Mann mich daraufhin, dass nicht weit von hier ein Haus steht, in dem sich ein Junge befindet. Ich solle einfach vorbeigehen. Das spornt mich an. Die Aussicht auf Wasser!Ist sogar eine Dusche drin? Ich trete was das Zeug hält. Dann links am Horizont kann ich eine Hütte erkennen. Es wird schon langsam dunkel. Ich nähere mich dem Haus. Es sieht menschenleer aus. Ich steige von Rad, wiel ich vermute, dass es Hunde gibt, wie üebrall hier in Argentinien. Und ich sollte Recht behalten. Keine 10 Sekunden später kann ich zwei Hunde auf mich zu rennen sehen. Es sind große Hunde. Die gleiche Huderasse, wie die Hunde von Gustavo. Diese sind superschnell und sehr wendig. Ich habe aber Glück. Sie scheinen nicht zu aggressiv zu sein. Nichtsdestotrotz lassen sie mich nur ungern dem Haus nähern. Ich kann beide Hunde nur schwer im Auge behalten. Ein der beiden Hunde zeigt sich wenig schüchtern, schmiegt sich an mein Fahrrad und scheint dort verweilen zu wollen. Ich schiebe ihn weg. "Buenas Tardes", rufe ich laut. Doch es antwortet mir keiner. Die Lichter sind aus. Heute hilft mir das Universum nicht. Enttäuscht drehe ich mich um und stelle keine 50 Meter neben dem Haus und direkt neben der Straße mein Zelt auf. Da ich Durst habe, trinke ich mehr als gewollt. Für den morgigen Tag bleiben mir´0,5 Liter Wasser. Halb hungrig und durstig lege ich mich schlafen und nehme mir vor früh morgens aufzubrechen, um nicht in der Hitze fahren zu müssen. Schon nachts um halb 4 wache ich das erste Mal auf. Der Magen knurrt, doch Essen würde nun nur noch mehr Durst hervorrufen. Als versuche ich mich wieder schlafen zu legen. Um 6 Uhr wird es dann langsam hell. Es ist noch sehr kalt draußen und der Schlafsack ruft eine Wärme hervor, die ich nur schwer verlassen will. Doch ich muss raus. Ich kann nicht in der Hitze fahren! Ich ziehe mich warm an, packe meine Sachen ein und steige aufs Rad. Kopfschmerzen und wenig Kraft begleiten mich. Noch sind es 30km. Immer wieder bin ich gezwungen zu schieben, doch die Route ist nicht ganz so schwer wie zuvor. Ich nehme mir vor alle 5 Kilometer ein paar Schlücke aus der Flasche zu nehmen. Es klappt erstaunlich gut, dennoch wünsche ich mir, dass ich fliegen könnte. Wie schön wäre es nun über dem sandigen Untergrund zu schweben. Mein Mund ist ausgetrocknet, aber es sind nur noch 5 km. Die letzten 2 km gibt es dann kein Vorrankommen per Radeln mehr. Ich schiebe das Fahrrad in das Dorf La Humada. Vor mir kann ich ein Gemüse- und Obstladen sehen. Ich stelle das Fahrrad ab und schleiche mich in den Laden. "Tennes Agua ?". Leider nein. Das gibts doch nicht. Ich habe keine Lust noch weiter nach Wasser zu suchen und durchforste den Laden nach einer Frucht mit viel Wassergehalt. Und was finde ich? EIN WASSERMELONE! Ich möchte die Hälfte der 6 Kilo schweren Wassermelone, zahle meine 5 Euro und stehe mit einer 3 Kilo schweren Wassermelone im Laden. Da ich keine Lust habe mein Gepäck nach meinem Löffel zu durchsuchen, bitte ich um einen Löffel und setze moich noch im Laden auf einem Stuhl. Erschöpft, aber glücklich esse ich 3 Kilo Wassermelone. Noch nie hat eine Wassermelone so gut geschmeckt.
Anmerkung:
Ich gehe nicht bewusst in solche Situationen hinein, doch kann es bei dieser Form der Reise immer wieder zu schnellen Situationwechsel kommen, die nicht hervorsehbar sind. In diesem Fall haben mir das Fehlen von 1, 5 Liter Wasser das Leben erheblich schwerer gemacht. Hinzu kam noch, dass ich gerade in dieser Situation einen Platten bekommen habe. Diese Situationen sind nicht schön zu erleben und ich finde keinen Gefallen daran, mich in solche Situationen zu begeben. Hinzukommt, dass man das Leid beim Reisen alleine nicht mit jemanden teilen kann. Doch man wächst an solchen Situationen. Darüber hinaus habe mich für den nächsten Abschnitt, bei dem es nur 37 km bis zum nächsten Dorf sind mit 12 Liter Wasser eingedeckt. Sogar eine Dusche sollte drin sein. Der nächste Abschnitt wird 180 km sein. Der Teufelskreis der Wasserproblematik: Je mehr Wasser ich transportiere, desto mehr Energie benötige ich und desto mehr Wasser wiederum benötige ich zum Trinken. Gerade wenn man das Fahrrad schieben muss ist das ein nicht zu unterschätzender Faktor. gGerade mache ich Pause im Dorf "Aqua Escondida" und decke mich für die nächsten 180 km mit 14 Liter Wasser ein. 3 Liter pro Tag (ich rechne mit 4 Tagen) plus 2 Liter als Reserve. Duschen ist für die nächsten Tage nicht drin. Ich nehme mir vor nur am morgen bis maximal 12 Uhr zu fahren und abends ab etwa 17 Uhr, da ich in den Tagen zuvor gemerkt habe, dass mein Wasservervrauch sich unter großer Hitze fast verdoppelt und ich zu viel Wasser benötige. Die Straßen sollen etwas besser werden. Ich hoffe, dass es dieses Mal keine Qual wird!
Diesen Mal sollte alles anders werden. Nachdem ich mich spontan entschieden hatte im 400 Einwohner Dorf Aqua Escondida zu übernachten und Kraft für den bevorstehenden Weg zu tanken, soll es heute morgen losgehen. Ich bin gut vorbereitet: 14,5 Liter Wasser, Essen für 4 Tage, Fahrrad geputzt und geölt, am Morgen 2 Teller Reis gegessen und mich am Tag zuvor viel ausgeruht. Auch die Straßenverhältnisse sollen nach Aussagen eines Busfahrers und von Motorradreisenden besser werden, wenn auch Passagen mit sandigem Untergrund immer wieder vorkommen werden. Morgens um 7 Uhr stehe ich in der Küche, um mir den Reis zu kochen. Im Gegensatz zum letzten Tag ist in dem Rathausgebäude, indem auch Reisende für 5 Dollar übernachten können, viel los. Etwa 20 Augen bestaunen, wie ich mich für die Weg nach Malargüe richte. Wie auch schon am Tag zu vor, bin ich etwas überrascht, wie passiv sich die Dorfbewohner mir gegenüber verhalten. Bis auf eine Ausnahme, spricht mich niemand an. Auch die Kinder, die in anderen Ländern sonst sehr schnell sich für Reisenden interessieren, sind eher schüchtern. In diese Gegend kommen kaum internationale Touristen und von der mir oft zuvor angespriesenen südamerikanischen Kontakfreudigkeit kann in dem argentinischen Dorf (wie auch in anderen Dörfern) nicht gesprochen werden. Dies ist zum einen von Vorteil, da man nach anstregenden Tagen seine Ruhe hat. Zum anderen erschwert es aber auch den Zugang zur Bevölkerung. Die Hilfbereitschaft und Freundlichkeit der Menschen ist jedoch von dieser Charaktereigenschaft nicht beeinträchtigt. Um 8 Uhr morgens geht es also los. Später als vorgehabt, denn heute soll es nicht so warm werden.
Puuuu! Als ich aufs Fahrrad steige merke ich die zusätzlichen 17 Kilo deutlich. Das wird anstregend. Doch ich weiß nicht woran es liegt: Die ersten Kilometer gehen irgendwie leichter als erwartet. Die Straßen sind bisher ganz in Ordnung ( d.h. ich muss nur wenig schieben) und ich habe Rückenwind. Dann passiert etwas unerwartetes! Ich schalte auf den dritten Zahnkranz! Dieses Gefühl hatte ich seit 4 Tagen nicht mehr! Wow, mit über 20km/h geht es die Straße leicht bergab. Über kleinere Sandstellen fege ich hinweg. Schon 19 km zeigt der Tacho an und ich bin gerade einmal 1,5 Stunden gefahren. Irgendetwas stimmt da nicht?!?!Und tatsächlich. Die Straße wird wieder etwas schlechter und ich nutze die Gelegenheit, um noch schnell ein Foto zu schießen. Da ich vorgstern schlechte Erfahrungen mit dem Wasser gemacht habe, will ich auch mein Wasservorrat begutachten. Was ist das? Meine Jacke ist nass?!?!Es regnet doch nicht. Als ich meinen Wassersack genauer anschaue, sehe ich, dass der 10 Liter Wassersack ein Loch hat. Das gibts doch nicht! Aber zum Glück habe ich das Loch frühzeitig bemerkt. Sekundenkleber und Tape drauf und schon ist das Loch übergangsweise geflickt.
Ich komme mir ein bisschen vor wie in einem "Western-Film": Sandige, steinige Lanschaft; um mich herum keine Zivilisation. Freddy auf seinem Drahtesel. Doch hätte ich nur ein Pferd...Geträumt werden kann nachts und so steige ich wieder aufs Rad und folge der abwechselnd sandigen, steinigen, holprigen Straße. besser als erwartet: nach 2,5 Stunden zeigt der Tacho 29 km an. Das ist in Ordnung. Dann stehe ich vor einer Abzweigung. Links oder rechts? Kein Schild, um mir den richtigen Weg zu zeigen. Also hole ich mein Handy heraus und schaue auf meine Karte. Rechts ist der Weg um ca. 5 km kürzer und von hier aus sieht die Straße ganz in Ordnung aus(insgesamt 9km). Ich entscheide mich für rechts. Eine falsche Entscheidung! Wie eine Falle schlägt die Straße zu. Erst sind die Straßenverhältnisse verlockend gut, dann werden sie so lala, aber immer noch im Rahmen und dann beginnt das schieben. Und es ist tiefer Sand ohne die Möglichkeit auch nur ansatzweise zu fahren. Ich bin bei der Hälfte angelangt. Zurück bräuchte ich wieder eine Stunde. Vielleicht bessern sich ja die Verhältnisse?!!? Doch sie werden schlimmer. Ich schiebe und schiebe und schiebe. ich fluche und fluche und fluche. Und die 17 extra Kilo machen sich bemerkbar! Der Rücken schmerzt, doch das Ziel wieder auf die Verbindungsstraße zu kommen treibt mich voran. Der Wind wird immer stärker, doch er bläst von der Seite. Nach 2 Stunden kann ich am Horizont die Verbindungsstraße sehen. Yeah! Und der Belag sieht auch besser aus. Als ich aber ankomme, merke ich schnell, dass auch dieser Weg kein leichter sein wird. Ein heftiger Wind bläst mir entgegen. Eigentlich will ich eine Pause machen, doch weit und breit ist nichts zu sehen, das auch nur ansatzweise entweder Schutz vor dem Wind und/oder einläd zum Pause machen. Also versuche ich es doch noch einmal! Ich steige aufs Rad und breche nach 1 km ab. Der Wind ist zu stark! Vielleicht wird er ja schwächer? Und so nehme ich die 2 Sacktaschen von Rad, setze mich einfach 2 Meter neben der Straße auf einen etwas größeren Stein, ziehe meinen Hals-windstopper weit übers Gesicht, ziehe mir die Kappe über die Stirn und lege mich schlafen. Immer stärker peitscht der Wind um meine Ohren, doch ich finde wieder und wieder einen kurzen Schlaf. Wie soll es weitergehen? Egal, lass dich treiben Freddy....Und so schlafe ich weiter: umgeben von Sand, Stein und ein paar Sträuchern; Der Wind als ständiger Begleiter. Dann höre ich ein Auto kommen, welches neben mir annhält. Ein Mann steigt aus und kommt auf mich zu. Völlig verschlafen stehe ich auf, reiche ihm die Hand und bekomme gerade noch ein "Hola" aus dem Mund. " Ich sehe dich schon zum zweiten Mal. Das eine Mal habe ich dich auf der Straße überholt und das andere Mal bist du an meinem Haus, das Fahrrad schiebend, vorbeigelaufen. Soll ich dich mitnehmen?" Freddy lass dich treiben. Warum eigentlich nicht? " 50 Kilometros esta bien", antworte ich in meinem Mix-Spanisch und so geht das Fahrrad mit Gepäck und mir in den kleinen Schulbus. Carlos ist Busfahrer und Gaucho in einem. Im Auto sitzend rauscht er über Sand und Stein und klärt mich über die Besonderheiten der Umgebung auf: Lamas, Salzsee und einer von 3 Riesensatelliten der ESA fliegen an uns vorbei. Und es überrascht mich dann doch als er mir erzählt, dass wir uns schon auf einer Höhe von 1500m befinden (Ich bin auf Meereshöhe in Buenos Aires gestartet und hatte das Gefühl, dass es nur geradeaus geht).
Irgendwie ist es so gemütlich im Auto und aus den 50 km werden am Ende 120 km bis zur nächsten Stadt Malargüe. Ich bin angekommen auf der berühmten "Routa 40". Das Ziel meines ersten Reiseabschnitts.
Nun bin ich endlich angekommen auf der "ruta 40", der Straße der Reisenden. Ich bin nicht mehr der alleinige Reisende, sondern einer von vielen. Die einen reisen ohne Zeitvorgabe und verdienen sich ihren Lebensunterhalt auf der Reise. Die anderen (ein deutsches Lehrerehepaar) nehmen sich ein "Sabbatical" und reisen mit den Bus quer durch Südamerika. Wieder andere sind per Pferd als Lastenträger zu Fuß aus Mexico unterwegs. Doch es ist noch Nebensaison und so bleibt der ganz große Trubel aus, den ich schon befürchtet, aber irgendwie auch erhofft hatte. Denn mit dem Einschlagen des Weges auf der "cuarenta", war es auch eines meiner Wünsche mich ab und an anderen Fahrradfahrern anzuschließen. Doch dieses Erlebnis beibt erst einmal aus. Die Ruta 40 steht für mich die ersten 2 Wochen für eine gewisse Einsamkeit, die anfangs nicht leicht zu erleben, aber doch auch ihre vielen positiven und inspiredenden Momente in sich trägt. Da die Abstände zwischen Städten bzw. Dörfern größer werden und die dort ansässige Bevölkerung "den Reisenden" schon gewöhnt ist, lässt automatisch das Interesse und die Gastfreudlichkeit nach. So sind es nicht die Menschen, sondern die Natur, die ich nun intensiver erlebe. Die Natur steht hier im Westen Argentiniens vorerst für Berge und ganz, ganz, ganz viel Wind.
Es ist ein Glückspiel, in dem ich mich befinde. Mal bäst er von Süden, mal von Norden, mal von Osten, doch meistens von Westen. Der pazifische Ozean treibt ihn an und bläst ihn über die chilenische Anden hinweg nach Argentinien. Habe ich mich die ersten Tage noch auf dieses Glücksspiel eingelassen, versuche ich diesem durch Planung ein bisschen entgegen zu wirken. Denn wie in jedem Glücksspiel, so kann auch in diesem die Niederlage sehr schmerzhaft sein. Gegen den Wind zu fahren ist kein Spaß und wird spätestens nach einer Stunde zur mentalen Herausforderung. Der Tacho zeigt weniger als 10 km/h auf und die Windgeschwindigkeit nimmt meist im Laufe des Tages zu. Ein ohrenbetäubender Lärm beeinträchtigt die Fahrt, der einer entspannten Fahrt im Wege steht. Welche Kraft die Natur entfalten kann! Nicht gut für das Aufbauen eines Zeltes, denn als zusätzliches Aufbaukriterium benötige ich einen windgeschützten Platz. Es ist einfach zu sagen, dass der Weg das Ziel ist. Wenn es jedoch eine Distanz zu überbrücken gilt, um wieder an Nahrung bzw. Wasser zu kommen, kann ich eine 2 Tagesstrecke nicht beliebig weit ausdehnen. So bediene ich mich der Technik, um die Fahrt etwas angenehmer zu gestalten. Zumindest im Bereich des Möglichen passe ich meine Planung an den Windrichtungen an. Ist mit starkem Gegenwind zu rechnen, verweile ich lieber einen Tag länger in einem Dorf oder fahre schon früh morgens los. Dies bringt mir etwas mehr Erleichterung und Entspannung in der bergigen Landschaft. Denn die Landschaft ist von großer Schönheit, wenn auch eine große Veränderung der Landschaft innerhalb kürzerer Zeit ausbleiben.
Es fällt mir nicht immer leicht unter all den Anstrengungen die Lanschaftsbilder zu genießen. Es ist das erste Mal seitdem ich mit dem Fahrrad reisen, das ich denke, dass in dieser Gegend ein Motorrad das beste Fortbewegungsmittel ist. Die Gegend ist rau, die Distanzen weit. Je weiter man nach Süden kommt, desto rauer wird es, desto mehr Wind gibt es, desto weiter sind die Distanzen zwischen den Städten. Schon seit Tagen habe ich kein intensiveres Gespräch mit jemanden geführt. Die Nächste sind kalt und so läd der Abend auch nicht wirklich ein, noch vor dem Zelt gedankenverloren zu sitzen. Sobald die Sonne untergeht, sinkt die Temperatur innerhalb kürzester Zeit um 10 Grad, Wolken ziehen auf und bedecken den tagsüber oft klaren Himmel. Wenig Chance auf Sternenhimmel.
Nach fast 2 Wochen ist es Zeit wieder mit Menschen zu sprechen. Ich melde mich bei 2 Personen aus der warmshower community. Ich sehne mich nach Austausch. Es sind noch 3 Tage bis zur Ankunft in Junin de los Andes und ich habe immer noch keine Antwort. Als ich morgens den Campingplatz in Richtung Junin verlassen will, halten mich 2 Männer an. "Wohin geht deine Reise, amigo"? " ich fahre die cuarenta nach Junin de los Andes. Es sind 210 km ohne Stadt.Es wird sehr hart werden. Ich habe 15 Kilo Wasser dabei.", antworte ich ihnen in meinem gebrochenen Spanisch. "Warum die "cuarenta" entlang? Es gibt eine andere Straße nach Junin. Die ist zwar aus Schotter, aber dafür sehr schön. Mui, mui lindo!" Der Tag zuvor war nicht so anstregend, ich habe mich gut ausgeruht und fühle mich gut. Den Weg, den sie mir vorschlagen zeigt direkt nach Westen. Laut Wetterbericht habe ich mit starkem Gegenwind zu rechnen. Es ist kein perfekter Zeitpunkt zu starten, da es schon 12 Uhr ist, aber warum eigentlich nicht? Freddy, der Weg ist das Ziel! Es gibt sogar ein Dorf nach 110 km, was bedeutet, dass ich maximal 2 Tage ohne Stadt unterwegs bin. Da ich mich in den Bergen befinde, kann ich dort auch meine Wasserflaschen auffüllen. Für mich gibt es jetzt nur noch ein Ausschlusskriterium: Sand! Nie wieder im Sand schieben! So frage ich: " Es arena (Sand) a la ruta?" " No arena! Tierra (Erde)!", antworten mir diese. Nachdem ich mich noch zweimal davon vergewissert habe, werfe ich einen kurzen Blick auf die Karte, schütte mein Wasser aus und richte mein Fahrrad gen Westen den Anden zu. War es die richtige Entscheidung?
Während ihr in den nächste Tagen/Wochen eine Antwort auf diese Frage erhalten werden, dürft ihr ein paar Bilder der Natur begutachten. Der Blick wird sich von den Menschen nun etwas mehr in Richtung der Natur wenden. Anbei empfehle ich euch folgende Hintergrundmusik laufen zu lassen, um die Emotionalität der Bilder zu erhöhen :) ( ich habe leider unterwegs nicht die technischen Möglichkeiten dazu, euch Videos zu schneiden)
Ich richte mein Fahrrad also gen Westen, obwohl ich mir Tage zuvor noch geschworen hatte, mehr auf die Windrichtung zu achten. Doch warum sollte ich 100km einer eher langweiligen Landschaft folgen, wenn ich doch mit einem kleinen Umweg eine schönere Landschaft betrachten kann? Im Prinzip ist diese Einstellung richtig, jedoch kann bei zu großer Anstregung die Schönheit der Natur nicht mehr so gut genossen werden. Was wird die nächsten 3-4 Tage auf mich zukommen? Werden die Straßenverhätnisse so sein, dass ich diese halbwegs mit dem Fahrrad fahren kann?
Die Straße gen Westen ist vorerst besser als erwartet. Wenn auch der Wind voll gegen mich bläst, bläst er nur mäßig. Die Straßen sind bisher noch geteert und es herrscht kaum Verkehr. Mal wieder liegt eine größere Müllandschaft neben mir. Immer wieder wird die Schönheit der Natur durch Plastik in ihr abgeschwächt. Wie auch in vielen anderen Ländern ist die Sensibilität für PLastik in der Natur hier in Argentinien sehr gering. So schwimmen selbst in abgelegenen Flüssen Plastikteile. Traurig, aber die Konsequenzen wird der Mensch schon früher oder später zu spüren bekommen. Wohl erst dann ist er bereit seine Einstellung zu ändern.
Natürlich nimmt der Wind zu! Er wird stärker und die Steigungen auch. Am Horizont kann ich schneebedeckte Berge erkennen. Auch dunkle Wolken ziehen auf. Doch dieses Mal habe ich einen Vorteil: Ich habe genügend Essen dabei und auch meine Wasserreserven sind ausreichend. Trotzallem will ich heute eigentlich mindestens 70 km fahren, um einen Teil der zu fahrenden 260 km hinter mir zu lassen. Doch der Wind wird immer stärker und kam ich anfangs noch mit 14 km/h pro Stunde voran sind es erst 10 km/h und schließlich 7 km/h. Dazu fahre ich noch wie auf eine Wand aus dunklen Wolken zu. Die Beine werden schwer, das Wetter dunkler und so lässt meine Motivation weiterzufahren nach. Da ich auch einfach nicht mehr wirklich vorankomme, entscheide ich mich nach 50 km in einem menschenverlassenen Dorf mein Zelt zwischen den sonst wenig vorhandenen Bäumen aufzuschlagen. Ich befinde mich fast genau an der Grenze zwischen sonnigem, schönen Wetter und dunklen Wolken. Wird es heute Nacht schneien? Wird der Wind morgen früh nachlassen oder stärker werden? Ich weiß nie, was mir die nähere Zukunft bringen wird. Das bringt Spannung ins Spiel, man macht sich aber auch seine Gedanken. Der Wind wird gegen Abend wesentlich stärker und ich bin froh, dass ich diesen halbwegs windgeschützten Platz gefunden habe. Schon früh lege ich mich schlafen, um am nächsten Tag früh loszufahren, um möglichst wenig Gegenwind zu bekommen. Die Nachtruhe stört nur ein Hund, der ständig bellend durchs Dorf läuft. Straßenhunde haben die Angewohnheit vor allem nachts die (gefühlte) Kontrolle über Dörfer/Städte zu übernehmen. Zweimal gehe ich aus dem Zelt, um ihn um Ruhe zu bitten. Doch er wird erst spät nachts ruhig.
Der Himmel ist bedeckt, der Wind bläst und ich verlasse morgens um 7 Uhr nur ungern das Zelt. Aber mein Ziel ist klar: Ich will den Pass so früh wie möglich überqueren! Im Schlafsack sitzend esse ich Baguette mit Honig. Für einen Tee ist es mir zu früh und zu kalt, also trinke ich das kalte Wasser. Ich bin noch sehr müde als ich aufs Fahrrad steige. Der Wind ist stärker als erwartet. Ein Gruppe Argentinier, die per Auto in Richtung Berge unterwegs sind, feuern mich anfangs an, hupen, winken und rufen "fuerte". Danach bin ich wieder alleine mit dem Wind und den zu überwindenden Pass. Wie weit wird es noch nach oben gehen? ich weiß nicht warum, aber solche Pässe haben immer eine gewisse Unwirklichkeit: Ruhe und Lautstärke zugleich.Meist menschenleer und wenig Fauna und Flora.
ich komme langsam voran (7km/h) und bin noch müde so früh am Morgen. Die Wolken zeigen immer noch nicht eine klare Tendenz an, aber zumindest hat es heute Nacht hier nicht geschneit. So arbeite ich mich Stück für Stück nach oben. Dann bin ich am höchsten Punkt angekommen. Der Wind läst nach und ich kann endlich halbwegs gemütlich bergab fahren, wenn auch die Straße seit Beginn des Tages aus Schotter besteht.
Trotzallem ist nach 40 km wieder meine Entscheidungsfähigkeit gefragt: lieber den weiteren Weg und gegen den Wind fahren, dafür aber den anscheinend schöneren und besser befahrbaren Weg oder aber den kürzeren, weniger Wind (da gegen Süden), dafür eher unbefahrenen Weg? Für welchen Weg würdet ihr euch entscheiden?
Ich habe mich für den kürzeren Weg entschieden. ich bin einfach das gegen den Wind Fahrens müde. So geht es einen kleinen Weg entlang. Schon nach 5 km die erste Herausforderung: Die Straße ist durch einen kleinen Fluss überschwemmt. Ich steige vom Rad und überprüfe die Höhe des Wassers. Kann ich hier mit dem Rad durchfahren oder muss ich das Gepäck einzeln rübertragen? Wenn jetzt schon die Straße so schlecht ist, soll ich lieber wieder umkehren und den von den Autos befahrenen Straße benutzen? Ich fahre nur ungern zurück und so lasse ich mich auf ein Abenteuer ein.Ich versuche es auch mit dem Fahrrad durch den Fluss. Lieber Vollspeed oder doch bedacht? Ich kann mich für keines der beiden richtig entscheiden und so bleibe ich mitten drin stecken. Das Wasser steht kniehoch und ich hebe das Fahrrad schnell auf die andere Seite. Mist! Hoffentlich kam kein Wasser in die Taschen! Die nassen kleider stören mich erst einmal nicht, da die Sonne die dunkleren Wolken vorerst vertrieben haben. Der Weg ist mehr als schwer befahrbar, aber es fährt hier kein Auto und irgendwie genieße ich die Einsamkeit und die abenteuerliche Straße. Auch die Natur zeigt sich von ihrer sehr schönen Seite. Endlich mehr grün, mehr Bäume, mehr Leben. Mich stört es auch nicht, dass ich ab und an das Fahrrad schieben muss. Immer wieder ist der Weg überflutet. Ich lande noch einmal im Wasser, doch die Ruhe und die Schönheit der Natur entschädigt einfach für alles. Und vor allem: ich habe Rückenwind! Genieß Freddy, genieß. In 38 km und 3,5 Stunden Fahrt kommen mir nur 3 Autos entgegen. Ich halte nun öfters für ein Foto an. Außerdem treibt mich die heiße Dusche auf einem Campingplatz im Dorf Aluminé an, die ich mir als Belohnung gönnen will. Auch meine warmshower-Anfragen für den morgigen Tag will ich überprüfen.
Nach 6,5 Stunden auf dem Fahrrad und fast 100km komme ich im Dorf Alumine an. Ich bin völlig erschöpft und suche den ersten Campingplatz auf: Es scheint keiner hier zu sein. ich warte noch 5 Minuten, doch ich habe Pech. Hier kommt erst einmal keiner! Es gibt noch einen anderen Campingplatz am anderen Ende des Dorfes. Ich beiße in den sauren Apfel und mache mich nochmal auf zu dem 5 km entfernten anderen Campingplatz. Es beginnt zu regnen und in einer Stunde wird es dunkel. Am anderen Campinplatz angekommen stehe ich vor verschlossenem Tor. Bitte nicht! Nicht heute! Ich habe keine Kraft mehr! Jammern hilft jetzt nicht, Freddy. Also fahre ich wieder zurück ins Dorf und gehe an die Tankstelle: Ich habe mich dafür entschieden außerhalb des Dorfes mein Zelt aufzuschlagen und am nächsten Tag früh aufzubrechen, um die 105 km bis zur nächsten Stadt Junin de los Andes zu fahren. Laut meiner Karte sollen es nur 200 Höhenmeter sein. An der Tankstelle kaufe ich noch Brot und Honig bzw. fülle meine Wasserflaschen auf. Dann steige ich wieder aufs Rad. Bitte lass jetzt schnell ein Zeltplatz finden. Die Straße ist zwischen den Bergen rechts und dem Fluss links eingebettet. Keine guten Vorausetzungen! Ich nehme die erstbeste Stelle und verstecke mein Zelt ca. 5 meter neben der Straße und Fluss. Der Tacho zeigt 7 gefahrene Stunden an. Das ist viel und leider bleibt die warme Dusche als Belohnung heute aus. Am nächsten Morgen sitze ich um 7 uhr morgens wieder auf dem Fahrrad!
Der Weg nach Junin de lso Andes ist wirklich sehr schön. Wenig Verkehr und eine grüne abwechslungsreiche Landschaft. Auch wenn ich doch etwas erschöpft bin, genieße ich es. Halte immer wieder an, um Bilder zu machen. Doch irgendetwas stört mich, es tut irgendwie weh. irgendetwas stört mich an dieser Landschaft! Ich habe es schon die zwei Tage zuvor gemerkt, doch esrst heute wird es mir bewusst: es ist der argentinische Zaun (über diesen wird bald ein extra Artikel veröffenticht). Außerdem merke ich, dass die Höhenberechnung meiner digitalen Karte nicht stimmen kann. Ich fahre wieder über einen Pass, der sicherlich mehr als 200 Höhenmeter hat. Einen Tag später erfahre ich per google maps, dass es fast als 1000 Höhenmeter waren, die ich an diesem Tag überbrückt habe. An den beiden Tagen zuvor waren es mehr als 1700 Höhenmter. Die letzte 10 km nach Junin de los Andes schwinden mir total die Kräfte. Ich muss noch zweimal anhalten. Esse meine letzten Essensreserven auf und suche dann die erste Tankstelle auf, um mir durch eine Pepsi neues Leben einzuhauchen bzw. mit Hilfe von WIFI meine warnshower inbox zu überprüfen. Habe ich eine Antowrt auf meine Anfragen erhalten? Und tatsächlich: Allesandro meldet sich: "Melde dich sobald du in Junin bist." Mit meinen letzten Akkureserven melde ich bei Allesandro, will aber erst am nächsten Tag bei ihm übernachten, da ich heute meine Ruhe und meinen Schlaf benötige. Auch heute war ich wieder fast 7 Stunden unterwegs.
Gerade heute, als ich früh schlafen gehen will, lerne ich einen weiteren Reisenden, Carlos, auf dem Campingplatz kennen, der mich am Abend zum Essen einläd. Irgendwie bin ich seit heute im "Alleine-Reisemodus" angekommen und freue mich über die Einladung, obwohl ich schrecklich müde und hungrig bin. Soll ich schon vorher was essen und dann mit weniger Appetit zum Essen kommer ? Denn die Argentinier essen sehr spät... Gibt es genügend zu essen? Es ist 19 Uhr....keine Spur vom Carlos. Es ist 20 Uhr...immer noch keine Spur vom Carlos....Es ist 21 Uhr....immer noch niemand da. Ich beginne nun meinen Reis zu kochen und die erste Hälfte mit Thunfisch zu essen. Erst um 22 Uhr treffe ich Carlos an und werde mal wieder "Opfer" einer meiner Meinung nach eher schlechten Angewohnheit hier in Argentinien: Es gibt kein Essen! Es ist mir nun schon des Öfteren passiert, dass Essen bzw. Termine für später oder den nächsten Tag "abgemacht" wurden, dann aber nicht eingehalten werden. So wird es natürlich schwierig bestimmte Dinge zu planen bzw. man fühlt sich schon ein bisschen vereppelt. Aber es herrscht eine andere, unverbindlichere Kultur hier. Ich habe trotzdem noch 2 sehr schöne Stunden mit Carlos und Luz, die mich durch gemeinsame Gespräche weitergebracht haben. Meine Verbitterung über das "warten lassen" und "nicht-Essen" verfliegt schnell. Für mich bedeutet das: andere Länder andere Sitten. In Zulunft muss ich mich darauf einstellen.
Am nächsten Tag stehe ich um 12 Uhr vor Alejandros Haus! Punkt 12, wie abgemacht! Ich bleibe pünktlich!
Alejandro ist 34 Jahre alt und arbeitet als Pharmazeut in einem Krankenhaus in Junin de los Andes. Er ist gerade dabei sich ein Haus in einem abelegenen Ort an einem See 20 km von Junin zu bauen. Übergangweise wohnt er bei seiner Mutter, die keine 2 Gehminuten vom Krankhaus entfernt wohnt. Alejandro ist ohne Vater aufgewachsen, empfindet dies aber nicht als belastend. Nur zweimal in seinem Leben war er ein bisschen deprimiert, dass er keinen Vater an seiner Seite hatte: Sowohl bei der Zeugnisausgabe nach der Grundschule als auch nach der Sekundarschule ist traditionell der Vater involviert. Bei Alejandros Zeugnisausgabe steht ihm kein Vater zur Seite. Sonst sieht er die Sache gelassen und macht sein Kindheit ohne Vater nicht als belastend an. Im Gegenteil sieht er darin auch positive Elemente, da er schon früh mit in die Verantwortung der 5-köpfigen Familie ( 2 Brüder, eine Shwester) gezogen wurde. Und überhaupt geht es anderen Kindern viel schlimmer (gewaltätige/drogenabhängige/alkoholabhängige/... Väter) Auch Alejandro macht regelmäßig Mediationsübungen und ist überzeugt, dass er durch seine Atemtechniken negative Energien vom Körper fernhalten kann.
Alejandro, leidenschaftlicher Kung Fu Kämpfer, ist ein langjähriger Gastgeber vor allem auf der Plattform couchsurfing (9 Jahre), aber auch auf der Plattform warmshowers ( 1 Jahr). Er hat bisher weit mehr als 100 Gästen ein Bett,eine Dusche, ein Essen oder ganz allgemein seine Zeit zur Verfügung gestellt. Warum lädt jemand regelmäßig Gäste, die er nicht kennt, zu Hause ein? Er mag das Reisen, das er trotz gut bezahltem Job in Argentinien ( ca. 1000 Euro im Monat-->Produkte sind teuerer als in D.!), außerhalb Argentiniens kaum wahrnehmen kann. Doch er selbst "geht doch nicht auf Reisen", wenn er Reisende einlädt!?!?! Es steckt mehr dahinter: Seiner Meinung nach igeln sich Menschen in seinem Alter in seiner Heimatstadt Junin de los Andes zu Hause ein. Gerade wenn sie eine Familie gründen, finden gemeinsame Aktivitäten kaum mehr statt. Nur in Ausnahmefällen wird man nach Hause eingeladen. Meist bleiben die Familien unter sich. Die Reisenden bringen also ein bisschen Schwung in seinen Alltag und gestalten in interessant. Dabei lernt er viele unterschiedliche Menschen kennen. Die meisten Erfahrungen sind positiv, nur wenige sehen in ihm ein "Ersatz-hotel". Jedoch unterscheiden sich die couchsurfing Gäste von den Fahrradreisenden. Letztere seien offener und sehen in ihm nicht nur eine kostenlose Übernachtungsmöglichkeit. Es entstanden sogar tiefe Freundschaften wie mit dem Schweizer Thomas, mit dem er sich jährlich (in Junin) trifft.
Anmerkung: Alejandro ist ein erfahrener Gastgeber, der weiß, was Reisende benötigen. In dem kleinen Haus seiner Mutter habe ich ein Zimmer zur Verfügung bekommen und jeglichen Zugang den Hausgeräten. Ich hatte meine Zeit für mich, aber auch gemeinsame Stunden mit Alejandro und seiner Mutter. Obwohl ich nach einem Tag vorhatte mich wieder auf den Weg zu machen ( u.a auch weil die Mutter im Haus rauchte), bin ich doch 4 Tage geblieben. Ich habe mich wohlgefühlt in seiner Gegenwart. Alejandro zeigte besonders am vorletzten Tag seine besondere Gastfreundschaft: Sein Cousin erhängte sich in Junin am Morgen dieses Tages, worauf ein Teil seiner Verwandschaft auch ihm Haus mit übernachtete. Ich bot ihm an sofort weiterzureisen und die Familie in Ruhe trauern zu lassen, doch er bestand darauf, dass ich wie abgesprochen noch eine Nacht im Haus übernachte. Es war für mich eine sehr schwierige Situation, doch er gab mir jederzeit ein unter diesen Umständen angenehmes Gefühl. Er forderte mich sogar auf aus meinem Zimmer zu kommen, nachdem ich mich nach dem Eintreffen der Verwandschaft in mein Zimmer zurücgezogen hatte. Während sich 6 Erwachsene und 1 Kind sich zwei Zimmer teilten, schlief ich weiterhin alleine im Zimmer. Das Bett neben mir blieb frei.
Ich hatte in meinem Bericht " Entscheidungen" erwähnt, dass mich während meiner bisherigen Reise etwas besonder gestört hatte: Ich nenne ihn mal "den argentinischen Zaun". Es ist ein Zaun, der abseits der Straßen quasi überall in Argentinien zu sehen ist. Er ist nicht hoch, vielleicht einen Meter hoch und mit wenig Mühen auch zu überwinden. Doch er stellt eine sichtbare Grenze zwischen der für die Gemeinschaft bereitgestellten Straße und dem nebenanliegenden Privatbesitz dar. Es ist nichts außergewöhnliches, dass Menschen im Besitz von Land sind, doch wurde mir dies optisch noch nie so bewusst wie hier in Argentinien. Wenn überhaupt findet man nicht abgegrenzte Bereiche nur in Nationalparks, doch selbst hier findet sich das Zeichen von "das gehört mir/uns". Ich spreche hier nicht von einem Gartenzaun, sondern von Zäunen die sich über zig Kilometer strecken. Als ich durch die argentinische Pampa gefahren bin hat dieser Zaun mich zwar gestört, jedoch gab es für mich in der kargen Landschaft wenig Motivation die Existenz dieses Zaunes groß in Frage zu stellen. Wenn ich aber hier im Westen Argentiniens unterwegs bin, so sehe ich es sehr kritisch, wenn Flüsse, Berge, ganze Landschaften sich im Privatbesitz befinden. Wer gibt diesen Menschen eigentlich das Recht einene Berg oder einen Fluss zu besitzen?
Machen wir doch einmal ein kleines Gedankenspiel: Du, ich oder wir betrachten die Welt von oben mit alle ihren verschiedenen Lanschaftsbildern. Wem gehört diese Welt? Darf sich ein Menschen das Recht erkaufen, große Landschaften zu besitzen? Wer überträgt diesen Menschen dieses Recht? Der Familie Benneton gehört allein in Argentinien Land, welches fast 4 mal so groß wie das Saarland ist. Darf ein Mensch so viel Land besitzen? Wer gibt diesen Menschen das Recht soviel Land besitzen zu dürfen? Gehört am Ende "den Reichen" das Land unserer Erde?
Ich weiß, dass es ist nicht einfach ist eine Grenze für ie Größe von dem Besitz von Land zu ziehen. Gerade auch hier in Argentinien haben Menschen durch harte Arbeit Land nutzbar gemacht. Auf die Landbesitznahme durch die europäischen Völker will ich hier nicht weiter eingehen, möchte aber trotzallem auf die teilweise von Statten gegangenen grausamen Bruatlität an die ansässigen Eingebohrenen v.a. im 18. und 19. Jh. hinweisen. Dieser Grausamkeit bedarf einem eigenen Artikel und soll an dieser Stelle nicht thematisiert werden. Wenn wir diese Ereignise ausklammern und zurück zu den Problemfragen kommen, so hege ich großen Respekt für die Menschen, die hier in sehr rauen Gegenden Land so nutzbar machen, dass die ganze Gemeinschaft daraus einen Nutzen trägt. Ob sich einer der Benneton Familie in Gaucho Montur auf einem Pferd reitend die schwere Arbeit auf dem Feld antun wird, bleibt fraglich. Sicher ist jedoch, dass wenige Menschen mit sehr viel Geld sich große Teile unserer Erde erkaufen können. Da der gegenwärtige Trend der finanziellen Ungleicheit keine Besserung erhoffen lässt und die Superreichen mit wenigen Ausnahmen nicht aus Eigeninitiative bereit sind, ihr Vermögen/Land, welches in diesem Ausmaß in keinster Weise mit getaner Arbeit zu rechtfertigen ist, dem Gemeinwohl zur Verfügung zu stellen, muss die Politik diesem (argentinischen Zaun) Grenzen setzen. Da man meiner Meinung nach das Gedankenexperiment nicht verlassen kann ohne zu dem Schluss zu kommen, dass die Welt entweder allen oder keinem gehört, muss das Prinzip des Landbesitzes überdacht werden. Eine adequate und realistische Lösung kann ich auf die Schnelle nicht liefern, jedoch steht für mich außer Frage, dass eine Familie nicht das Recht haben kann eine Landmasse, welche fast vier Mal so groß wie das Saarland ist, zu besitzen, dieses einzuzäunen und Flüsse, Seen und Berge sein Eigen zu nennen.
Ich hoffe, dass ich mich in Zukunft nicht als "Eindrinling" fühlen muss, wenn ich ein Schlafplatz in den Weiten Argentiniens aufsuche . Ich hoffe, dass in Zukunft Argentinien nicht nur wie im Zoo hinter einem Zaun betrachtet werden kann, sondern die große Schönheit dieser Landschaft in großen Teilen frei zugänglich für die Allgemeinheit gemacht wird. Ich hoffe, dass wir, die Völker dieser Erde bereit sind, die Welt als unsere gemeinsame anzusehen und (klimatische-) Weltprobleme, auch wenn sie vielleicht dem Geldbeutel erst einmal weh tun, ernsthaft als Gemeinschaft versuchen zu lösen. Denn es ist nicht deine Welt, es ist auch nicht meine Welt, es ist unsere Welt!
"Wenn ich nicht mindestens eine Stunde am Tag auf dem Fahrrad sitze, dann werde ich unruhig"
Miguel ist um die 60 Jahre alt, lebt in Bariloche und hegt eine Liebe zu Fahrrädern und Fahrradreisende wie wie wohl kein Zweiter. Als ich sein Haus betrete sehe ich an den Wänden und an den Decken ein Haufen antiker Rennräder hängen. Auch in seiner Werkstatt hängen bestimmt an die zwanzig Fahrräder. Meist sind es Fahrräder aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts, die entweder Original oder aber von ihm selbst restauriert wurden. Fast jedes Fahrrad hat seine eigene Geschichte und seine Einzigartigkeit. Bist Du schon einmal mit einem 2 -Gangfahrrad gefahren, welches beim Rückwärtstreten den niedrigeren Gang automatisch einschaltet? Nein? Dann gehe zu Miguel und fahre das aus den 20er Jahren stammende Fahrrad! Miguels Haus und Fahrradschuppen gleicht einem Musuem. Neben dem Schuppen hat er eigens für Fahrradreisende (gratis!) einen schön dekorierten Raum mit eigenem Bad und Küche hergerichtet. Warum vermietet er diesen Raum nicht und verdient daran Geld? Weil es auch einige Menschen gibt, die aus Liebe zum Mitmenschen ( in diesem Fall aus Liebe zum Fahrradreisenden) unendgeltlich Dinge bereitstellen. Miguel zeigt hiermit ein großes Herz und auch ein Vertrauen zu Reisende, welches seiner Meinung nach noch nie von diesen missbraucht wurde. Er hat bisher mehr als 100 Fahrradreisende in seinem Haus bzw. im "warmshowers"-Zimmer willkommen geheißen. Zwar konnte ich zu dem Zeitpunkt nicht in dieser Unterkunft übernachten, jedoch gab er mir ohne jegliche Zweifel nach keinen 2 Stunden des Kennenlernens die Schlüssel zu seinem Haus, in dem ich dann ohne ihn eine Nacht übernachten konnte. Mit seinem Schwiegergersohn Andres, der zu dem gegenwärtigen Zeitpunkt im "warmshowers"-Zimmer übernachtete, habe ich viele interessante Gespräche geführt, die mit viele Einblicke in das Leben in Argentinien und der Geschichte dieses Landes gegeben haben. Miguel und Andres halfen mir bei der Beschaffung eines Fahrrads für die 2- wöchige Reise mit Thommy und Miguel baute sogar eigens für Thommy einen Gepäckträger, nachdem der Fahrradverleiher einen sehr hohen Preis für das Leihen eines Gepäckträgers verlangte. Auch hier war ich wieder froh, Menschen gehabt zu haben, die mir helfen und ihre Zeit mit mir teilten. Danke Miguel und Andres!
Mentale und körperliche Grenzen
Jetzt spricht Thommy über seine Erfahrungen des "Reiseradelns" mit mir in Patagonien.
Perito Moreno zu erreichen war gar nicht so einfach. Durch teils starken Gegenwind kämpfend und mit halb verfrorenen Fingern kamen Thommy und ich völlig durchnässt und am Ende unserer Kräfte in einem Dorf mitten in der patagonischen Steppe am 21.11.2018 an. Das Dorf machte auf uns einen tristen Eindruck. Doch uns war es egal, wir ruhten uns nach 13 Tagen auf dem Sattel in einer warmen und mit WIFI ausgestatteten Cabana aus. Als Thommy zurück nach Deutschland fuhr und flog, lernte ich einen Tag nach Thommys Verlassen Conrado "den Goldsucher" kennen und damit auch die Gegend um Perito Moreno, die seit jüngere Zeit durch die Goldvorkommen in ihrer weiten Umgebung von vielen in der Goldmine beschäftigten Menschen wie Conrado bewohnt wird.
Die Goldmine "Cerro negro", in der auch Conrado arbeitet, ist momentan einer der größten Goldminen in Lateinamerika, wobei noch viel Gold unterhalb der Oberfläche zu erwarten ist. Wie fast alle anderen Goldvorkommen ist auch das Gold in der Goldmine "Cerro negro" für das menschliche Auge nicht sichtbar, sondern es ist Mikrogold, dass sich innerhalb von Quarzvenen meist unterhalb der Erdoberfläche befinden. Von elf vorhandenen Goldminen sind 10 in den Händen ausländischer Firmen, die aus Nordamerika, Europa oder China kommen. Die "Cerro negro" gehört der "Goldcorp", einer kanadischen Firma. Wie so vieles hier in Argentinien, wird auch der Goldmarkt von ausländischen Unternehmen beherrscht. Die Arbeitsbedingungen in der Goldmine sind gut. Momentan wird 9 Tage am Stück gearbeitet, worauf man dann 5 Tage frei hat. Menschen, die für die Goldmine arbeiten gehören zu den bestbezahlten und bestversorgten Arbeitnehmern in Argentinien. Gold ist in der ersten Kategorie (von hier in Argentinien vier vorhandenen Kategorien) der Mineralien klassifiziert, d.h. dass Landbesitzer ihr Land für die Goldgewinnung freigeben müssen. In der Praxis bedeutet dies, dass die (meist sehr reichen) Landbesitzer ihr Land den (ausländischen) Unternehmen verkaufen oder aber verleihen. Im Falle der Goldmine "Cerro negro" verkauften 3 Landbesitzer ihr Land, der vierte Landbesitzer bekommt eine monatliche Rate. Im Gegensatz zu anderer Ressourcengewinnung ist die Goldgewinnung mit relativ wenig Schaden für die Natur verbunden. Die Gewinnung anderer Mineralien, welche wir für Produkte unser täglichen Lebens benötigen ist weit umweltschädlicher. Das versichert mir Conrado, ein hundertprozentiger Natur- und Tierliebhaber, Vegetarier und Konsumressistant.
Argentinien ist das reichste Land, in dem ich bisher war (33 Länder). Es hat Ölvorkommen, Gasvorkommen, Goldvorkommen, riesiges Weideland für Rinder, Große Anbauflächen für die Landwirtschaft und eine große Diversität der Landschaft, welche jegliche Form des Tourismus anzieht. Doch trotzdem schafft es das Land nicht sein Reichtum gerecht auf die Bevölkerung zu verteilen. Noch immer kommt ein Großteil der Menschen gerade so über die Runden. Wenn man nun sieht, dass sowohl große Teile des Landes ausländischen Menschen oder Unternehmen bzw. reichen Argentinier gehört bzw. der Reichtum von diesen berherrscht wird, kann man das Land, die Menschen und ihre Bedürnisse besser verstehen ( so hat z.B. der amtierende Präsident Macri als eine der ersten Amthandlungen die Schulden, der seinem Vater gehörenden nationalen Post, an das Land Argentinien erlassen). Die Menschen sind enttäuscht von ihren Politikern. Für mich sind die hier gemachten Erfahrungen wichtig, um zu erkennen, wie gut unser politisches System funktioniert und dass die Politiker zwar keine Heiligen sind, aber doch im Großen und Ganzen einen sehr ordentlichen Job machen. Schon auf meiner ersten Reise nach China habe ich unsere in Deutschland herrschende Demokratie mit jedem Schritt, dem ich micht entfernte, ein Stückchen mehr wertgeschätzt. Gegenwärtige Tendenzen politischer Akteure in Europa, die dieses oft gut funktionierende und uns Wohlstand und Freiheit bringende System bekämpfen wollen und uns für komplexe Probleme einfache Lösungen präsentieren wollen, gilt es sich hierbei entgegenzustellen. Gleichzeitig erkenne ich im Ausland aber auch, dass ausländische Unternehmen (auch deutsche Unternehmen) die Unterlegenheit bzw. die Korruptheit eines anderen Landes ausnutzen, um daraus Profit zu erzielen. Dies wirkt sich vielleicht kurzfristig positiv auf unsere ökonomische Situation aus, wird aber langfristig zu großen/komplexen Problemen führen.
Nachdem ich mit diesem Artikel wieder einen eher politischen Artikel veröffentlicht habe, werden sich die nächsten wieder mehr mit denen in meiner Reise gemachten Erfahrungen mit Mensch und Natur widmen. Andere Meinungen sind auch immer gerne auf meiner Homepage oder auch in privater Mitteilungsform willkommen. Aus einer Diskussion geht man immer bereichernd hervor.
Argentinien bleibt für mich das reichste Land, das ich jemals bereist habe. Ich hoffe, dass der Reichtum des Landes sich in Zukunft gleichmäßiger auf die Bewohner dieses Landes verteilen wird.
Nein, Conrado schürft weder Gold mit Händen und einer Schale am Fluss noch hakt er mit einem Pickel in einem Schacht tief unten in einer Mine. Conrado ist Geologe und sucht an der Oberfläche mit modernen Methoden nach neuen Goldvorkommen in der Goldmine "Cerro negro" (Schwarzer Berg) naher dem Dorf Perito Moreno. Sein Ziel ist es, bis zum Ende des nächsten Jahres so viel Geld beisammen zu haben, um ohne Zeiteinschränkung auf dem Rad reisen zu können. Viel geld fürs Reisen braucht er nicht. Vor 2 Jahren brauchte er für 2 Monate auf dem Fahrrad gerade einmal 125 Dollar. "Zuerst will ich mein Heimatland Argentinien bereisen, danach sehen wir weiter. Aber schön wäre es, um die Welt zu reisen", erzählt er mir schon in meinen ersten Gesprächen von seinen Träumen, die er verwirklichen will. Conrado ist 28 Jahre, ist Natur-, Tier- und Menschenliebhaber, lebt in relativ einfachen Verhältnissen, ist konsumresistent und teilt das Wenige, welches er nach dem monatliche Sparen und der finanziellen Unterstützung seiner Eltern noch übrig hat, gerne mit anderen Reisenden. Er hat viel Menschenvertrauen und überlässt auch mal die Schlüssel seiner kleinen Cabana Reisenden, die er nie zu Gesicht bekommt. Weniger Vertrauen hat er in die gegenwärtige argentnische Politik und kritisiert einige Zustände wie z.B. die chinesischen und amerikanische Militärbasen ( "Warum haben diese beide Länder Militärbasen in Argentinien? Diese machen mir Angst!") Auch wenn er sich gegenwärtig in einer finanziellen guten Position befindet, kennt er auch die harten Seiten des Lebens. " Ich weiß was es heißt unendlich traurig und unendlich glücklich zu sein", teilt der an Multiple Sklerose erkrankte Conrado mir in einen der vielen geführten Gesprächen mit. Sehr scharf kritisiert er das System der Pharmaunternehmen, die Placeboprodukte als Heilmittel verkaufen und daran Millionen verdienen. "Ich selbst habe es am eigenen Leib erfahren, Freddy. Monatlich wurden mir wöchentlich 3 Spritzen injiziert, bis mir mein Nachbar, welcher für die Erlaubnis von Medikamenten auf dem argentinischen Markt zuständig war, sagte: " Die Spritzen sind ein reines Placeboprodukt. Leider müssen wir die Erlaubnis für dieses Medikament erteilen."" In seinem näheren privaten Umfeld konnten sich 4 Personen von Krebs auf nicht-konventioneller Art heilen, nachdem sie tlw. starke Nebenwirkungen der konventionellen Art erleben mussten (Der Schwiegermutter wurden z.B. neben einer Chemotherapie nach einer Brustkrebsdiagnose auch zwei Operationen vorgenommen. All dies brachte keine Besserung. Erst als sie anfing Tai Chi zu machen, ging der Krebs). Diese Erfahrungen haben ihn stark geprägt und zum Nachdenken angeregt. Er selbst versucht durch seinem stark ausgeprägten Positivismus und einem gesunden Lebensstil seiner Krankheit entgegenzuwirken. "Ich weiß, dass ich nach jeden Anfall die Möglichkeit habe mich wieder zurückzukämpfen. Das gibt mir die Kraft mit meiner Krankheit zu leben und sie zu akzeptieren." Gerne würde er während seine geplante Fahrradreise andere an Multiple Sklerose erkrankte Menschen besuchen und seine gemachten Erfahrungen mit ihnen austauschen. Wie viele andere Arbeiter auch, lebt Conrado weit weg von seiner Familie. Viele Menschen aus dem Norden arbeiten hier im besser bezahlten Süden, teils mehr als 4000 km von der Heimat entfernt. Nichtsdestotrotz ist das Leben hier in Perito Moreno bzw. in der Goldmine für ihn angenehm. Da ca. 1500 Menschen für die Goldmine arbeiten, haben viele das selbe Schicksaal wie Conrado. Die Arbeit in der Goldmine sorgt für ein Zusammenhalt unter den Arbeitern, der über die gemeinsame Zeit in der Goldmine hinausgeht. Oft unternimmt der "Freundeskreis der Goldsucher" gemeinsame Aktivitäten während der fünftägigen Pause. Besonders positiv wirkt sich neben dem gemeinsamen Schicksaal/Arbeitszeiten dabei auch das ähnliche (junge) Alter des Freundeskreises aus. Auch wenn Conrado nur temporär in diesem Geschäft arbeiten will (wie die meisten seiner Kollegen), ist er sich der glücklichen Lage seiner Arbeitssituation bewusst und genießt darüber hinaus auch die Zeit, die er gemeinsam mit denen teils zu engen Freunden gewordenen Arbeitskollegen verbringt. Doch fest im Blick hat er seinen Traum: Auf dem Fahrrad "sin tiempo" (ohne Zeiteinschränkung) zu reisen.
Ich habe 5 Tage mit Conrado verbracht. Drei davon wandernd und in sog. Refugios schlafend in einem Reservat, welches 40 Kilometer von Perito Moreno entfernt ist. Dabei konnte er mir nicht nur viel über die Flora und Fauna dieser Gegend erzählen, sondern auch seine Sichtweise über das Geschehen auf unserer Erde mitteilen. Auch wenn ich, tlw. auch von anderen Erfahrungen geprägt, nicht immer den Meinungen Conrados zustimme, bin ich doch beeindruckt von seinem Wissen und seiner Sicht auf die teils komplexen Vorgänge in unserer Welt. Conrado ist ein weiterer Mensch, der durch seine Sichtweise und seiner Lebenseinstellung viel Positives auf dieser Welt bewirken könnte. Mit interessanten Fragen (z.B. Warum werden Menschen, die sich für Frieden auf dieser Welt einsetzen, oft umgebracht?) hat er auch mein Gehirn zum Denken angeregt und durch die vielen Gespräche meinen Horizont erweitert. Dankbar den sehr intelligenten Conrado kennenlernen zu dürfen verlasse ich nach einer Woche die Kleine Stadt in den Weiten Patagoniens Perito Moreno und mache mich per Bus (der Wind setzt mir hier Grenzen auf, die ich bisher nicht kannte) auf zur nächsten Stadt "El Calafate", um von hier gen "Feuerland" zu fahren. Doch ich habe es im Gefühl, dass ich Conrado früher oder später wieder treffen werde. Vielen Dank für die geteilte Zeit, Gespräche unterm Sternenhimmel und dein großes Wissen, das du mit mir geteilt hast. Spectacular!
Es ist momentan einer der größten Goldminen in Lateinamerika, wobei erwartet noch viel Gold unterhalb der Oberfläche zu erwarten ist. Wie fast alle anderen Goldvorkommen ist auch das Gold in der Goldmine "Cerro negro" für das menschliche Auge nicht sichtbar und ist nicht zu vergleichen mit dem "goldenen Gold", welches wir aus Filmen kennen, sondern es sind eher Micropartikel innerhalb anderer Gesteinsvorkommen. Von elf vorhandenen Goldminen sind 10 in den Händen ausländischer Firmen, die aus Nordamerika, Europa oder China kommen. Die "Cerro negro" gehört der "Goldcorp", einer kanadischen Firma. Wie so vieles hier in Argentinien, wird auch der Goldmarkt von ausländischen Unternehmen beherrscht. Die Arbeitsbedingungen in der Goldmine sind gut. Momentan wird 9 Tage am Stück gearbeitet, worauf man dann 5 Tage frei hat. Menschen, die für die Goldmine arbeiten gehören zu den bestbezahlten und bestversorgten Arbeitnehmern in Argentinien. Gold ist in der ersten Kategorie (von hier in Argentinien vier vorhandenen Kategorien) der Mineralien klassifiziert, d.h. dass Landbesitzer ihr Land für die Goldgewinnung freigeben müssen. In der Praxis bedeutet dies, dass die (meist sehr reichen) Landbesitzer ihr Land den (ausländischen) Unternehmen verkaufen oder aber verleihen. Im Falle der Goldmine "Cerro negro" verkauften 3 Landbesitzer ihr Land, der vierte Landbesitzer bekommt eine monatliche Rate. Im Gegensatz zu anderer Ressourcengewinnung ist die Goldgewinnung mit relativ wenig Schaden für die Natur verbunden. Die Gewinnung anderer Mineralien, welche wir für Produkte unser täglichen Lebens benötigen ist weit umweltschädlicher. Das versichert mir Conrado, ein hundertprozentiger Natur- und Tierliebhaber, Vegetarier und Konsumressistant.
Argentinien ist das reichste Land, in dem ich bisher war (33 Länder). Es hat Ölvorkommen, Gasvorkommen, Goldvorkommen, riesiges Weideland für Rinder, Große Anbauflächen für die Landwirtschaft und eine große Diversität der Landschaft, welche jegliche Form des Tourismus anzieht. Doch trotzdem schafft es das Land sein Reichtum gerecht auf die Bevölkerung zu verteilen. Noch immer kommt ein Großteil der Menschen gerade so über die Runden. Wenn man nun sieht, dass sowohl große Teile des Landes ausländischen Menschen oder Unternehmen bzw. reichen Argentinier gehört bzw. der Reichtum von diesen berherrscht wird, kann man das Land, die Menschen und ihre Bedürnisse besser verstehen ( so hat z.B. der amtierende Präsident Macri als eine der ersten Amthandlungen die Schulden, der seinem Vater gehörenden nationalen Post, an das Land Argentinien erlassen).
Einsam sitze ich mitten im Nichts in einem Bushäusschen. Es ist zwar erst 14 Uhr, doch ich habe mich dafür entschieden, die Nacht in diesem Bushäuschen zu verbringen. Ich habe mich für die sichere Variante entschieden, denn laut meiner neuen Lieblingshomepage "windy.com" soll es ab 18 Uhr Windgeschwindigkeiten von bis zu 50 Knoten geben. Da es auch hier auf der "Ruta del Fin del Mundo" kaum windgeschützte Stellen gibt, verbringe ich also einen langen Tag wartend und sitzend in einem Bushäuschen. Die Sonne geht hier früh auf ( ca. 5.30 Uhr) und spät unter ( Ca. 10 Uhr). Die Fassade aus Glas und Holz sorgt für ein warmes Klima, der ständige Wind sorgt dafür, dass ich die Umgebung in der ich mich befinde nicht vergesse. 14 km hinter der chilenischen Grenze und 46 km vor dem Feuerland saust jede 5 Minuten ein LKW an mir vorbei. Vor mir die großen Weiten der Steppe betrachte ich die Wolken an mir vorbeiziehen. Es wird ein langer Tag werden. Ich packe mein kleines Notizbuch aus, in dem ich einige spanische Vokabeln notiert habe. Jetzt habe ich endlich mal die Zeit hineinzuschauen. Wie konnte ich früher zu Schulzeiten nur so lange und schnell Vokabeln lernen? Mich hält es keine 10 Minuten vor dem Notizbuch. Vokabeln lernen ist echt langweilig. Ich hänge mein Wassersack draußen über dem Schild "Ruta del Fin del Mundo" auf und versuche die Pause der vorbeiziehenden Autos bzw. LKWs zu nutzen, um mich zu duschen. Erst ist der Kopf dran, dann der Oberkörper, beim Unterkörper werde ich durch Autos immer wieder unterbrochen, doch nach dem fünften Versuch ist auch dieser sauber. Der Wind wird stärker und ich bin froh in dem geschlossene Bushäusschen zu sein, welches bewusst für Reisende wie mich gebaut wurde. Heutiges Gericht des Hauses: Reis mit instant noodles. Ich durfte nur trockene und abgepackte Lebensmittel mit über die Grenze nehmen. Der Zoll ist in dieser Angelgenheit sehr streng. Ich habe es trotzdem geschafft den Bio-Honig, den ich erst vor kurzem für viel Geld gekauft habe, mit über die Grenze zu schmuggeln. Der Wind wird merklich stärker. man ist es heiß hier im Bushäusschen. Aber was soll ich draußen? Von weitem sind ein paar Schafe zu sehen. Wie halten diese wohl den ständigen Wind aus? Dämft das Schafsfell auch den Geräuschpegel? Morgen gehts gegen den Wind, immerhin nur 30 Knoten. Noch 500 km bis Ushuaia! Die südlichste Stadt der Welt! Ich kann dich kaum erwarten Ushuaia! Und dann gehts den ganzen Weg wieder zurück nach Norden. Freddy du bist verrückt! Ich mache mir den Reis mit den Instant noodles und einen Tee für den Genuss. Das Essen schmeckt nicht besonders überragend, aber ich bin zufrieden. Die Tür scheppert immer wieder. Ich genieße nach dem Essen meinen Tee. Dann hält vor dem Bushäusschen plötzlich ein Auto an. Action! Endlich was los hier! Ein Mann steigt aus einem Pick-up-Auto, die Mütze tief übers Gesicht gezogen läuft er um das Auto. Der Wind peitscht ihm ins Gesicht! Er überprüft, ob seine Ladung auch windsicher ist. Immer wieder zieht er an den Seilen! Die Ladung ist sicher! Erst jetzt sieht er mich im Bushäusschen sitzen. Wir winken uns freundlich zu, dann steigt er auch schon wieder ins Auto. Ich bin wieder alleine. Das Schild auf der gegenüberliegende Seite wird von Wind hin und her gerüttelt, das Wasser aus der kleinen Pfütze spritzt um die Gegend. Gut, dass ich hier im warmen und windgeschütztem Raum sitze. Man geht es mir gut! Eiggentlich will ich jetzt schon schlafen, aber die Sonne will einfach nicht unter gehen und richtig müde bin ich auch nicht. So lausche ich dem Wind. Nur ab und an wird das Geräusch von einem vorbeirauschenden LKW gestört. Es ist 23 Uhr und noch immer ist es hell draußen, obwohl die Sonne schon seit einer halben Stunde untergegangen ist. Ich ziehe meine Schlafmaske über die Augen. Die LKWs werden weniger, es wird langsam dunkler und ich schlafe nun endlich ein. Als ich in der Nacht aufwache, um mich zu erleichtern ist im mich herum ein riesiger Sternenhimmel zu sehen. Ich verweile ein bisschen länger als gemusst vor der Tür und genieße. Ach ist es schön hier! "Wie schön eine Nacht in einem Bushäuschen nur sein kann", denke ich mir und falle wieder in einen tiefen Schlaf.
Nun habe ich es also getan: Den Bus genommen! Die Entscheidung den Bus zu nehmen viel mir schlussendlich gar nicht so schwer. Zum einen war ich des Fahrens in den endlosen Weiten der Pampa müde, zum anderen wollte ich Mitte Dezember in Ushuaia sein und die Zeit lief mir etwas davon. Doch der ausschlaggebende Grund war der Wind. Immer wieder wurde ich zum Spielball des Windes, der mich und mein Fahrrad mal unterstützte, mal von der Seite in Richtung Autos drängte oder mir frontal entgegenpeitschte. Windgeschwindigkeiten von bis zu 100 km/h machten das Fahrradfahren an sich zu einer echten Herausforderung. Das Aufschlagen des Zeltes in den nicht windgeschützten Weiten der Pampa zur täglichen Grundproblematik. Doch das schlimmste war der ständige Geräuschpegel und die Kälte die ein solcher konstanter Wind mit sich bringt. Dies führte dazu, dass ich mich für 600 km in den Bus setzte. Und ich genoss es! Wohl wissend, dass ich zwei Hauptatouristenorte (Calafate, El Chalten) zu einem späteren Zeitpunkt besuchen würde, warf ich mich von El Calafate aus wieder auf meinen Packesel.
Die Kraft des Windes im Rücken zu spüren, ist ein gutes Gefühl. Ich fühle mich fast schuldig als mir ein deutsches Radler-Ehe-Paar entgegenkommt. Die Stimmung bei diesen beiden ist am Tiefpunkt, denn sie müssen sich noch 30 km bis nach El Calafate kämpfen. Während ich mit fast 40 km/h vorankomme, fahren diese fast 6 Mal so langsam und verbrauchen viel mehr Energie. "Ab Calafate nehmen wir den Bus!", sagt die Frau in einem kurzen Gespräch entschlossen.
Die Pause in Porito Moreno und die Busfahrt nach Calafate haben mit gut getan. Mit neuer Kraft fahre ich gelassen den ersten längeren Anstieg hinauf. Doch kurz nach dem Gipfel ändert sich die Windrichtung und ein leichter Gegenwind kommt mir entgegen. Wohl wissend, dass der Wind die nächsten Tage auf meiner Seite sein wird, entscheide ich mich schon früh das Camp aufzuschlagen. An einer alten Brücke und in einem Flussbett finde ich ein Zeltplatz, der mich halbwegs vor dem Wind schützt. Ein Guanaco (südamerikanische Kamelart, die einzig ursprüngliche! Bei den Lamas hat der Mensch interveniert) beäugt krtisch mein Treiben und das Eindringen in sein Territorium. Guanacos leben entweder in Herden oder Alleine. Dabei sind die Männchen entweder die Glücklichen oder die Einsamen, denn jede Herde hat nur ein Männchen. Kann ein Männchen keine Herde durch einen Kampf mit dem "Guanaco-Herdenführer" gewinnen, muss es alleine und einsam in der Steppe leben. Oder eben ein Männchen zum Kampf herausfordern. "Der argentinische Zaun" wird im Leben der Guanacos zum lebensbedrohlichen Objekt: Bei (gefühlter) Bedrohung können sie aufgrund des Zaunes zwischen der der Straße und den Weiten der argentinischen Pampa nicht leicht entkommen und hetzen dem Zaun entlang immer auf der Suche nach einer Lücke. Doch vergeblich! So bleibt ihnen nichts anderes übrig als über den Zaun zu springen. Das sieht meist auch sehr majestätisch aus, doch sichtbare Verletzungen und die Kadaver, die immer mal wieder über dem Zaun hängen, zeugen auch von anderen Geschichten. Geschichten, in denen Guanacos im Zaun hängen bleiben und Stunden, gar Tage qualvoll am Zaun verenden. Kein schöner Tod! Neben den Guanacos, werden auch Gürtelltiere, Hasen und Füchse oft zu Opfern des Menschen. Meist in Form des Autos. In regelmäßigen Abständen sind Kadaver oder Skelette zu beobachten.
Die nächtliche Stille in einem Zelt inmitten der Natur ist unbezahlbar, auch wenn die Nächte oft kalt sind. Eingepackt im Schlafsack, die frische und klare Luft der Natur einzuatmen ist für mich ein Privileg, zumindest solange der Regen oder der Wind einem in der nächtlichen Ruhe nicht stört. Morgens komme ich nur schwer aus dem Bett, denn ich schlafe morgens am Besten und genieße auch die Zeitlosigkeit des Reisens. Mein Körper sagt mir schon, wann er aufstehen will. Dafür brauche ich keine Uhr. Es tut gut sich Treiben zu lassen und der getackteten und klar strukturierten Lebensform des alltäglichen Arbeitslebens zu entkommen. Treiben lassen tue ich mich auch am folgen Tag- und zwar vom Wind. Ich habe vor, 330 km in 3 Tagen zu fahren- mit Hilfe der Windes. Und dieser lässt mich nur selten in diesen Tagen im Stich. Den Wind im Rücken rauscht die sich nicht zu verändern wollende Pampa rechts und links an mir vorbei. Nach 150km dann ein Dorf ( ca. 100 Einwohner). Wie fast überall ist die Tankstelle der Zufluchtsort aller Reisender. Der Tank oder auch der Magen wird aufgefüllt. Für mich gibt es meist eine Cola und Gratis-internet. Ich vergewissere mich noch einmal, dass der Wind auch am nächsten Tag mir hilft und breche dann nach 30 min. wieder auf. Auch heute baue ich wieder früh mein Zelt auf. Zwischen Hügeln gelegen, finde ich einen für die Pampa schönen, windgeschützen und etwas überraschend tierreichen Platz. Erst sind es Vögeln die mir beim Zelt aufbauen die Nötige Begleitmusik geben, dann wagt sich ein Pferd (meist sind diese sehr scheu hier), später ein zweites, immer näher ans Zelt und am Abend schaut dann noch ein Fuchs vorbei. Alle Sorgen und Probleme sind an einem solchen Ort weit, weit weg. Wie lange wird es diese Natur in dieser Form noch geben? Können wir unseren Nachfahren das Gleiche hinterlassen? Fast alle aktuellen Erkenntnisse würden diese Frage verneinen. Wir leben im Überfluss, verbrauchen, verbrauchen und verbrauchen, wollen höher, höher, höher, Wachstum, Wachstum, Wachstum! Die jetzigen Generationen machen sich schuldig. Wir alle sind ein Teil davon! Wir können den Schaden noch begrenzen, doch meine (Reise-) Erfahrungen lassen das gegenteilige erahnen. Schon jetzt müssen wir uns bei künftigen Generationen der Erde entschuldigen: „Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa.“ („Durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine große Schuld.“): Wir sind Gast auf dieser Erde, doch hinterlassen sie als hätten wir noch tausende andere Planeten zur Verfügung! Wir haben vergssen mit ihr zu leben. Am Ende brauchen wir sie mehr als sie uns!
So lausche ich den Vögeln, schaue den Pferd in die Augen und beobachte den Fuchs neugierig ums Zelt schleichen. "Tut mir leid liebe Tierarten, viele wird es von euch in Zukunft nicht mehr geben". Mein 5 Sterne Hotel wird nur durch das Schmatzen der Pferde gestört, welche sich nun immer näher ans Zelt wagen. Irgendwann falle ich auch hier wieder ein einen tiefen Schlaf.
Ich werde mal wieder zur Maschine zumindest fühle ich mich so. Ich trete und trete und trete, halte wenig an mit dem Ziel Rio Gallegos fest im Blick. Als ich schlussendlich nach heutigen 140 km in die Stadt einfafhre, fühle ich mich in eine vergangene Zeit versetzt. Alte, rostige Straßenlaternen beleuchten schon 20 km vor der Stadt die Straßenallee. Völlig überdimensionalisiert und ernergieverschwended wirkt dies auf mich. "Vielleicht ein Relikt der Militärdiktatur", denke ich mir beim Hinein-und Herausfahren.
Einen Tag später dann etwas Neues: Nach 3 Monaten endlich ein Staatenwechsel. Ohne größere Probleme fahre ich in Chile ein. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie wirkt die Umgebung bei einem Staatenwechsel sofort anders auf einen. Zwar ist die "Zaunpolitik" auch in Chile allgegenwärtig, aber dir Natur wirkt anders auf mich. Schön hier in Chile ist auch, dass es extra für (Fahhrad-) Reisende sog. "Refugios" in regelmäßigen Abständen gebaut wurden. Diese geschlossenen Räume bieten Windschutz und geben Wärme in der kalten, kargen und windreichen Region. Da im Süden des südamerikanischen Kontinents die Landfläche immer schmaler wird und auch die Andenkette flacher wird, fegt der von den Ozeanen kommende Wind kräftig übers Land und wird durch einen kalten und einen warmen Luftstrom zusätzlich angetrieben. Die Refugios werden zum Ort der Stille, der Geborgenheit und der kostenlose Fürsorge für Reisende.
Eines Abends komme ich vor einem dieser Refugios an. Als ich die Tür öffnen will, ist diese verschlossen. Ich rüttel weiter kräftig daran, wohl wissend, dass ich auf diesen windgeschützten Ort angewiesen bin. Doch die Tür will sich nicht öffnen. Als ich durchs kleine Fenster schaue, kann ich 2 Gestalten erkennen. Sie öffnen von innen und heißen mich willkommen. Es ist Jean-Pierre und Nathalie, die ich mitten in der Steppe des Feuerlands in einem einsamen Refugio treffe. Jean-Pierre ist 60 Jahre alt und schon 2 Mal um die Welt gereist (mehr als 100 000 km), Nathalie ( 54) hat vor 1,5 Jahren zum Reiseradeln gefunden. Gemeinsam wollen sie das restliche Leben reisend verbringen. Die Herzlichkeit Jean-Pierrre lässt mich seine große Reiseerfahrung spüren. Der 1,60 große Mann ist ein ganz Großer für mich! Ich freue mich über die abendliche Unterhaltung, den Austausch und den wichtigen Informationen für meinen weiteren Reiseweg. Um nur einen mittelstarken Wind zu bekommen, brechen sie schon morgens früh um 6 Uht auf. Entgegen meiner Richtung! "Buen vieaje!"
Mein Tacho zeigt 140 km an als ich in Rio Grand einfahre. Heute habe ich mir mal eine Übernachtung in einem Hostel, Campingplatz oder Hotel verdient. Als ich jedoch in der ersten "hospedaje" ankomme, vergeht mir meine Freude der gemachten Kilometer. Ohne Fenster, dreckig und wie in einem Käfig sind hier Zimmer an Zimmer gereiht. Ich gebe die Hoffnung nicht auf und gehe zur nächsten "hospedaje", die ich mir finanziell leisten kann. Als hier die gleichen Bedingungen sichtbar werden, bin ich schwer enttäuscht. 15 Euro für eine Übernachtung im Käfig? Ich sollte eine Entschädigung bekommen hier zu übernachten. Es ist zwar schon 19 Uhr, aber mein Willen ist stark. Ich werde hier nicht übernachten. Diese Stadt hat keine Herberge für mich. Lieber schlafe ich in meinem Zelt irgendwo im Nirgendwo. Doch die Sache hat eine Tücke: ich muss 10 km aus der Stadt fahren und das gegen einen Wind, besser gesagt gegen einen Sturm ( an 300 Tagen im Jahr hat der Wind hier Sturmgeschwindigkeiten). Doch ich fühle mich sark genug und nehme die Herausforderung an: Kilometer für Kilometer kämpfe ich mich aus der Stadt. Die Häuserbesiedlung wird dünner, der Wind wird stärker. Ich kann an der rechten Stelle einen graben erkennen, der einen windgeschützten Platz für mich haben könnte. Als ich das Fahrrad abstelle und den Platz begutachte merke ich schnell, dass auch hier der Wind wütet. Vor mir ist eine Tankstelle. Es ist 20.10 Uhr als ich an der Tankstelle ankomme, mich in das Bistro setze und ersteinmal ein Cola trinke und Empanadas esse. Nun gilt es kühlen Kopf bewahren und sich einen Plan zu schmieden: Ich werde noch 3 km gegen den Sturm fahren, danach habe ich den Sturm im Rücken. es wird noch bis um 22 Uhr hell sein, dh.h ich habe noch mehr als 1,5 Stunden zum Fahren. Das größte Problem wird das Aufschlagen des Zeltes sein: Ich brauche einen windgeschützten Platz. Ich bediene mich der App "I Overlander", die weltweit Campingorte anzeigt und entdecke dann folgendes: in 36 km Entfernung ist eine Estancia, in der der Besitzer "Thomas" Fahrradreisende in einer kleinen Hütte unterbringt. Mir wird sofort klar, dass das die Lösung ist. Ich esse alle zur Verüfung stehenden Empanadas (Teigtaschen) des Bistros auf und werfe mich aufs Rad! Ich bin im Tunnelmodus, das Ziel fest im Blick. Die erste Hürde ist genommen, ich habe dir Kurve erreicht und biege mit der Windrichtung ein. Wuuuuuuuuum! Der Wind dürckt mich mit 40 km/h ordentlich nach vorne. Erst eine Polizeistation kann mich stoppen. Der freundliche Polizeibeamte läd mich ein, Schutz vor dem Wind in der Polizeistaion zu suchen. Eine nette Geste doch ich muss vorwärts. Ich willl nicht im Dunkeln in der Estancia ankommen. Aber ich kann die Einladung eines Polizeibeamten auch nicht ausschlagen, also steige ich ab und unterhalte mich einige Minuten mit dem Beamten gebe ihm aber dann zu verstehen, dass ich weiter muss. Ich reiche ihm die Hand, bedanke mich und fahre dann mit einer Durschnittsgeschwindikeit über 30 km zur Estancia. Die abendliche Stimmung während der Fahrt war atemberaubend, doch nun gilt es einen Platz zum Schlafen zu finden. Als ich in die Estancia einfahre zeigt der Tacho 184 gefahrene Kilometer an. Ein neuer Rekord! Mehr als 10 kleine und große Häuser besitzt diese Estancia. Wo soll ich nach Thomas fragen. Die Dämmerung hat angefangen und fahre zum ersten Haus, vor dem ich ein Auto sehe. Ich steige ab und bewege mich auf das Haus zu. Plötzlich steht an Mann vor mir. Ist das Thomas? Ich reiche ihm freundlich die Hand, lächele und frage ihn, ob ich hier schlafen könne. Der etwas grimmig anschauende Mann verweist mich darauf, dass ich Thomas fragen müsse. Doch in welchen dieser Häuser ist Thomas anzutreffen? Der Mann verweist mich auf ein nahegelegenes Haupthaus. Durch eine Baumalle fahrend, kann ich vor mir ein Schuppen erkennen,. Ein Generator läuft geräuschvoll. Dann entdecke ich auf der rechten Seite ein Haus, in dem ein alter Mann in der Küche steht. Ich will ihn nicht erschrecken und Kklopfe nich direkt ans Küchenfenster, sondern an ein weiter entfernteres. Erst nachdem ein zweites Mal klopfe, hört er mich. Schwerfällig macht er sich auf zur Tür. Das gleiche Spiel wie vorhin: Die Hand schüttlen, lächeln und nach Obdach fragen. Etwas überraschend gibt mir der alte Mann zu verstehen, dass es schon spät sei und ich auf gar kein Fall hier campen könne. Das erlaube er nicht. Es gibt einen Haus, aber es sei schon spät. "Das ist jetzt nicht dein Ernst? Will dieser Herr (Thomas?) mich jetzt wirklich noch so spät fortschicken?", denke ich mir. Doch dann taucht hinter mir ein Mann auf der freudlich lächelt und dem älteren Herrn mitteilt, dass es kein Problem sei hier zu übernachten. Es ist Thomas! "Folge mir mit dem Fahrrad!", fordert er mich freudlich auf. "Hier ist die Hütte mit Betten und einem Ofen! Dort hinten sind die Toiletten und warme Duschen! Auf dem Tisch liegt ein Gästebuch! Bitte verschließe die Tür, wenn du morgen früh das Haus verlässt!", klärt er mich freundlich auf " Vielen Dank, Thomas. Du hast ein großese Herz." antworte ich ihm und kann mein Glück kaum fassen. Ich habe es geschafft! Jetzt erstmal eine warme Dusche. Unter der Dusche will das Wasser einfach nicht warm werden. Naja, dann halt eben eine kalte Dusche. Das bin ich gewohnt und macht mir nichts aus. Erst später bemerkte ich den Gasboiler, schaffe es aber nicht ihn anzustellen. Egal, auch heute schlafe ich wieder glücklich ein und lasse den Wind vor der Türe. Möge der Wind morgen mit mir sein.
Bäume, Flüsse, Berge! 150 km vor Ushuaia ändert sich endlich die Landschaft. Es wirkt vitalisierend auf mich. Immer mehr Fahrradreisende kommen mir entgegen. Sie alle starten im Sommer in Ushuaia und machen soch auf gen Norden. Für den ein oder anderen wird es bis in den Norden Canadas gehen. Man hält an, tauscht sich aus und wünscht sich gute Reise. Es ist schön ein Teil dieser Reisenden zu sein. Über den Austausch mit anderen Reisenden finde ich auch zu dieser Übernachtungsstätte:
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Ich lege mich gerade schlafen. als es auf einmal draußen an der Tür klopft. Ich mache die Tüt auf und eine Frau steht vor der Türe. Ob sie einen Tisch aus dem Haus nehmen könne, fragt sie ganz höflich. Selbstverständlich, das Haus gehört ja nicht mir. Daraufhin läf sie mich spontan zum "Hasado" (Grillen) ein. Ich verneine, da ich heute meine Ruhe genießen will Da sie aber darauf besteht, sage ich dann doch zu, trage mit ihr den Tisch an den Strand und begrüße die anderen. Nach einer kurzen Einführungsphase ist es dann etwas schwierig für mich ins Gespräch zu kommen, da nicht so viel Interesse an mir gezeigt wird. Nach und nach kommen immer mehr Leute dazu. Am Ende sind wir dann etwa 18 Leute. Da EIn Lamm gegrillt wird, welches mindestens 4 Stunden dauert, wird lange auf das Fleisch gewartet. Ich setzte mich um das Feuer und versuche immer mal wieder mit der ein oder anderen ein Gespräch anzufangen, aber im Großen und Ganzen geht es nicht über kleine Small-Talk Gespräche hinaus. Das ist dann nicht so angenehm für mich, da ich mich ein bisschen verloren fühle. Die Gastfreundschaft in diesem Fall ist etwas reservierter und ist so ganz anders als die Erfahrungen, die ich schon zuvor gemacht habe. So versuche ich mich behilflich zu zeigen, sammle Holz und leiste dem Stummsten von allen, Matthias der Grillmeister, etwas Gesellschaft. Ich beobachte das Feuer, das innere und äußere Wärme spendet, und lasse meine Gedanken kreisen. Eigentlich will ich ins Bett, da ich auch schon total voll bin und wenig Appetit habe. Nachts um halb 1 ist dann das Lamm und weiteres Fleisch fertig. Endlich!. Mir wird immer wieder ein Fleischbroken (anders kann ich es nicht beschreiben) in die Hand gedrückt und ein Stücl Brot. Ich esse genüsslich, auch wenn mir das Fleisch schon besser geschmeckt hat. Da ich nun nach dem Essen nicht einfach gehen kann setzte ich mich noch für eine Stunde mit den anderen ums Feuer. Es ist eine stille Runde, sehr wahrscheinlich auch dadurch bedingt, dass sich nicht alle Parteien kennen. Ich denke zurück an die Zeiten in der Türkei und die ganz andere Stimmung und Inkludierung meiner Person. Und vermisse diese Zeit! So ist es mir dann auch unangenehm als ich nach längeren Stillschweigen der gesamten Gruppe auf einmal ins Zentrum rücke. Eigentlich will ich ins Bett, doch davor muss ich noch meine Erfahrungen über die Menschen in Argentinien (welche ich immer ehrlich beantworte) mitteilen und ein paar persönlichen Fragen beantworten und ein paar Witze über mich ergehen lassen. Irgendwann schaffe ich dann den klassischen "Freddy Absprung": Ich stehe abrupt auf und verlasse den Kreis mit einem gesagten Dankeschön und wünsche den Damen und Herren noch einem schönen Abend. Man sieht sich am nächsten Morgen. Der Nacht ist dann unruhiger als geplant, da der Wind die Wellen immer wieder gegen und unter die Behausung schlägt. Am Morgen gehe ich dann erst einmal nicht zur Gruppe des Vorabends zurück, sondern frühstücke lieber alleine. Matthias kommt vorbei und wie haben noch eine sehr angenehme Unterhaltung. Er ist ein guter Mann. Scheint ein hart arbeitender, ehrlicher und warmherziger Mensch zu sein. Ich packe meine Sachen, veraschiede mich von allen Beteiligten mit einem "abrazo" (Kuss auf die Wange) und steige aufs Rad. Die letzte Etappe nach Ushuaia. Heute Abend wartet eine Dusche und ein Haus auf mich. Julietta, die ich in Bariloche in einem Hostel kennengelernt habe, hat mich in ihre WG eingeladen. Thommy weiß es: Wenn das Ende naht, dann merkt man auf einmal die Strapazen der vorangegangenen Tage. Mein Körper ist müde. Er braucht Ruhe. Als ich dann endlich vor den Eingangstoren der Stadt Ushuaia stehe, bin ich stolz auf mich und freue mich auf Tage der Ruhe und Entspannung. Ich bin am Ende der Welt angekommen! Nach 4300 km gefahrenen Kilometern! Von Ushuaia aus werde ich dann vorerst nicht mehr alleine unterwegs sein. Jo wird am 13. Dezember aus Kanada einfliegen. ich freue mich auf die Tage des Lachens, des gemeinsamen Leidens und gemeinsam erlebter Abenteuer! Neue Abenteuer ihr könnt kommen!
In einem kleinen Dorf namens Tolhuin zwischen Rio Grande und Ushuaia gelegen sitzen wir zu siebt in einem Hinterzimmer der Panaderia " La Union". Wir, das sind 6 Fahrradreisende und eine "Tramper-Reisende". Die Panadaria "La Union" bietet insbesondere Fahrradreisende kostenlose Unterkunft an, die seit Jahren von Hunderten Fahrradreisende aufgesucht wird, um Obdach im sehr stürmischen und teils kalten Feuerland zu finden. Doch wer sind diese 7 Langzeit-Reisende? Warum verlassen sie ihr Heimatland, um in der Ferne ihr Glück zu suchen bzw. glücklich zu werden? Was kann einem das einfache und harte Leben des Reisens bieten, was uns das Leben zu Hause nicht bieten kann? Wie das Beispiel dieser Personen zeigt, lässt sich der Ursprung der Reisemotivation meist in der Struktur unserer heutiger Arbeitswelt dokumentieren. Denn wie sich im folgenden zeigen wird, sind die Langzeitreisende eben nicht irgendwelche seit Jahren umherirrende, planloslebende Personen, sondern gut ausgebildete Fachkräfte, die genug haben von der Arbeitsstruktur heutiger westlichen Gesellschaften. Doch wollen wir erst einmal mit der Ausnahme dieses im Hinterzimmer der Panadaria "La Union" sitzenden Kreises anfangen:
Zu meiner Linken möchte ich das Küken der Runde vorstellen: Finn aus Hamburg, 19 Jahre alt, entscheidet sich nach dem Abitur erst einmal eine Pause einzulegen. Dies ist noch nichts Außergewöhnliches, denn im letzten Jahrzehnt hat sich "das Jahr des Durchschnaufens und Innenhaltens" bei vielen jungen Menschen durchgesetzt. Finn wirkt am Anfang sehr schüchtern, doch schon nach kurzer Zeit zeigt sich ein unglaubliches Selbstvertrauen, das ich bisher bei nur wenigen 19-Jährigen gesehen habe. Ohne größerer Zeit und Ortsvorgaben ist er vom Ende der Welt in Ushuaia in Richtung norden aufgebrochen.
Zu seiner Linken sitzt Klaas, ihm wurde in dieser Runde der Name "Mundo" gegeben ( Finn und Klass kamen zusammen in der Panadaria an, worauf sich das Wortspiel "Fin" del "Mundo" --> Ende der Welt anbot). Klaas ist 29 Jahre alt und Anwalt. Nach einem Fahrradabenteuer von Belgien nach Nepal, ist es seine zweite große Reise. Wenn es geht, möchte er nicht in den Beruf des Anwalts zurückkehren. Er ist für den alltäglichen Bürojob nicht geschaffen und entfloh dem monoten Arbeiten am Schreibtisch.
Mittig sitzend haben wir Maylis (Frankreich). Anders als alle anderen Personen ist ihr Fortbewegungmittel nicht das Fahrrad, sondern das Reisegefährt derjenigen Personen, die sie mit ausgestrecktem Finger an der Straße stehend mitnehmen. Sie hat fast 10 Jahre als Projektmanagerin in einem großen Unternehmen für Übersetzungen gearbeitet. Sie mochte ihr Job und ihr Unternehmen, doch gleichzeitig mag sie das Wandern, das Reisen und das Trampen. Ihr Traum ist es in Zukunft, umgegeben von Bergen für ihr Unternehmen zu arbeiten. Doch bis dahin will die 29- Jährige das Gefühl der Freiheit und des Abenteuers erleben. Auch ihre Reise ist nur durch ihre finanziellen Mitteln zeitlich beschränkt.
Zu ihrer Linken sitzt das einzige Paar dieser Runde: Michal und Malgorzata (Polen). Michal ist Softwarentwickler und Malgorzata ist Äztin. "Ich arbeitete 60-70 Stunden die Woche. Es wurden immer mehr Patienten, die innerhalb einer Stunde behandelt werden sollten. Zusätzlich standen weitere Ausbildungsjahre an. Die Bezahlung war nicht sonderlich gut. Irgendwann wurde es mir einfach zu viel. Nun reisen wir schon seit einem Jahr mit dem Fahrrad um die Welt", teilt uns die junge Ärztin in der lustigen Runde mit.
Im Gegensatz zu allen anderen Personen am Tisch, haben wir Jörg (Deutschland) auf der Straße kennengelernt. Jörg is 39 Jahre alt und hat 15 Jahre als Ingeneur (Maschinenbau) gearbeitet. "Im Jahr 2017 habe ich von Februar bis September 60-70 Stunden in der Woche gearbeitet. Irgendwann habe ich eine Zahl auf ein Blatt Papier geschrieben und bin mit diesem zu meinem Chef gegangen: "Entweder sie geben mir dieses Jahresgehalt oder ich kündige!". Der Chef hat abgelehnt. Daraufhin habe ich ihm einen Tag später meine Kündigung eingereicht. Ich bin heute so froh, dass er abgelehnt hat", berichtet mir Jörg sehr impulsiv während wir auf dem Fahrrad sitzend unsere Geschichten austauschen. Er ist seit 8 Monaten auf dem Rad und will in weiteren 8 Monaten in Alaska sein. "Wenn ich wieder in Deutschland bin, will ich einen LKW Führerschein machen und für das "rollende Hotel" (als Hotel umgebaute LKWs, die weltweit stationiert sind und Touren in abgelegende Gebiete anbieten) arbeiten. Oder ich werde Schäfer. Aber in das Hamsterrad-System will ich nicht mehr zurück", teilt er mir mit.
Jo (Kanada), den ich noch zu einem späteren Zeiptpunkt ausführlicher vorstellen werde und nicht auf dem Foto zu sehen ist, da er dieses geschossen hat, ist 33 Jahre und ausgebildeter Anwalt. Auch er hat nicht mehr vor, in dieser Berufsparte zu arbeiten.
Bei vielen Reisenden ist der entscheidener Grund für eine Abenteuerreise bei den herrschenden Bedingungen ihrer Arbeit zu finden. Neben der Eintönigkeit der Arbeit (Büro-, Computerjob) ist immer öfter die hohe zeitliche und psychische Belastung angeprangert. Heutzutage muss es schnell gehen, man ist 24 Stunden/ 7 Tage die Woche per Computer oder Handy erreichbar, durch die schnelle Mitteilungsformen via Mail, Messenger-Dienste oder dergleichen werden auch schnelle Antworten verlangt. Die Arbeit, die im Urlaub nicht erledigt wird, staut sich auf, weshalb der ein oder andere geneigt ist sogar im Urlaub sich die ein oder andere Arbeits-e-mail anzuschauen oder schon einmal vorzuarbeiten. Unternehmen wollen jährlich ihr Profit steigern, weshalb man unter Druck gerät noch härter, nich schneller zu arbeiten. Die Konkurrenz schläft nicht. Für mich stellt sich deshalb die Frage, ob es nicht auch irgendeinmal genug ist. Ob wir auch einmal zufrieden sind, mit dem was wir haben oder ob es immer mehr, immer besser, immer größer sein muss. Zum einen ist dieses Streben natürlich wichtig für den Fortschritt einer Gesellschaft. Zum anderen stellt sich für mich aber auch die Frage, ob der wirtschaftliche/finanzielle Fortschritt, der sich dadurch erarbeitet wird, nicht zu stark zu Lasten andere wichtige Dinge, wie z.B. das Leben in einer sich gegenseitig zeitnehmenden Gemeinschaft oder der Gesundheit der Menschen, im Leben führt. Muss immer der finanzielle Profit die oberste Priorität haben?
Für uns gibt es meiner Meinung nach zwei verschiedene Möglichkeiten mit dieser Situation umzugehen. Entweder wir fügen uns diesem wirschaftlichen System, akzeptieren ihre positiven (z.B. können uns immer mehr leisten) und negativen Seiten (z.B. Arbeitsbelastung, Ungleichheit, Umweltprobleme) oder aber wir überlegen uns, wie wir dieses System verändern können, um die negativen Auswirkungen einzudämmen. Auch zum Schutze unseres einzigartigen demokratischen politischen Systems, das nicht selten als Sündebock für die Auswirkungen des wirtschaftlichen Systems an den Pranger gestellt wird. Das die viele Menschen unzufrieden sind zeigt nicht zuletzt der Gelbwesten-Protest in Frankreich.
Eine ungewollte positive Auswirkung hat der Umstand, dass Menschen sich nicht mehr wohl in ihrere Arbeitswelt fühlen. Menschen aus der ganzern Welt kommen zusammen, lernen sich kennen und wertschätzen und realisieren, dass wir alle in einem Boot sitzen. Dieses Boot ist die Erde. Eine wichtige Erkenntniss und Interaktion um in Zukunft gemeinsam an einem Strang zu ziehen!
Gemeinsam sitzen wir am Straßenrand außerhalb von Rio Grande und versuchen in der stürmischen Gegend im Feuerland per Anhalter weiterzukommen. Nachdem ich schon zuvor vorgehabt habe, eine Teilstrecke mit einem anderen Gefährt fortzusetzen, hat der Wind auch Jo überzeugt. Jo habe ich vor über 2 Jahren auf meiner ersten Fahrradtour mit Pedro in Tajikistan kennengelernt und bin mit ihm sowohl dort als auch später in Myanmar gemeinsam gereist. Für die dritte gemeinsame Reise haben wir uns in der südlichsten Stadt der Welt getroffen, um gemeinsam neue Abenteuer zu erleben. Irgendwie fühlt es sich komischund ungut an hier am Straßenrand zu sitzen und denDaumen herauszuhalten. Wir beide haben dies zuvor noch nicht gemacht, doch der starke Wind und die steppenartige Weite waren Grund genug, um dieser unwirklichen Gegend zu "entkommen".
Doch wir haben Pech! Es ist Sonntag, der 22. Dezember und kaum Autos unterwegs. Darüber hinaus brauhen wir ein Gefährt, dass 2 Personen und 2 Fahrräder aufnehmen kann. Nach einer Stunde entschließen wir uns es getrennt zu versuchen in der Hoffnung somit bessere Chancen zu haben. So steigt Jo auf sein Fahrrad und versucht an einer anderen Stelle sein Glück. Am Abend wollen wir uns im nächsten Dorf (230 km entfernt) treffen. Doch es sollte ganz andesrs kommen.
Nun sitze ich also alleine am Straßenrand und versuche mein Glück. Doch die wenigen Autos/LKWs, die vorbeifahren haben alle kein Platz. Ich schau auf die Uhr und merke, dass ich schon 1,5 Stunden am Straßenrand sitze. Mit ist langweilig und der starke Wind macht diese Langeweile nicht angenehmer. Noch 30 Minuten will ich mein Glück versuchen, dann will ich zu Jo aufstoßen, um zumnidest interessante oder lustige gespräcke führen zu können. Dann kommt endlich ein Pick-up auf mich zu. Ich wittere meine Chance lächele freundlich und halte den Daumen heraus. Der Pick-up wird langsamer. Als ich den Fahrer erkenne, zeigt dieser mit dem Finger auf die Einfahrt rechts neben mir. Wartet er hier auf mich? Leider nein, er arbeitet nur für das Unternehmen, dass neben mir eine Anlage hat.
Als ich nach den 30 Minuten immer noch kein Glück habe entscheide ich mich gegen den Wind kämpfend auf Jo aufzushcließen, der es nur einige Hundert Meter von mir entfernt versuchen sollte. Doch nach einem Kilometer auf dem Rad kann ich Jo immer noch nicht sehen. Hat er etwa eine Mitfahrgelegenheit bekommen, obwohl er nach mir wartete? Oder ist er tatsächlich weiter mit dem Fahrrad gefahren? Das kann ich bei dem Wind fast nicht glauben. DDann kann ich in der Ferne 2 Fahrradfahrer erkennen. Sie kommen mir mit einer hohen Geschwindigkeit entgegen. " Wir haben seit 2 Stunden versucht eine Mitfahrgelegenheit zu bekommen. vergeblich. Wir kehren zurück nach Rio Grande und versuchen morgen per Bus weiter zu kommen.", teilt mir der Mann des französischen Pärchens mit. " Habt ihr einen anderen Ffahrradfahrer gesehen?", frage ich sie wissbegierig. " Ja, mal schiebend, mal wartend, mal fahrend hat er es keine 20 Minuten vor dir versucht."
Mit der Gewissheit, dass ich sportlicher und schneller bin, nehme ich mir vor, Jo einzuholen. Immer wieder erfassen mich Sturmböen, die vor allem das Vorderrad in verschiedeme Richtungen bewegt. Einmal kann ich es nicht vermeiden in eine 1 Meter rechts von mir entfernte Leitplanke zu fahren. An einem kleinen Hügel halte ich an. Immer noch kein Jo in Sicht. Ich verusche es wieder per Anhalter und halte den Daumen heraus. Doch die Autos werden weniger, während des Wartens erfordert der kalte Wind das Tragen meiner dicken Winterjacke. Nach einer Stunde nimmt mich immer noch keiner mit. Was soll ich tun? ich hole mein fernglas heraus und kann in etwa 4 km eine Estancia am Straßenrand entdecken. Wartet Jo etwa dort? Ich entschließe mich zur Estancia zu fahren und dort mein Glück zu versuchen. Doch auch hier an der Fabrikähnlichen Estancia ist kein Jo zu finden. Nun bin ich mir sicer, dass Jo eine Mitfahrgelgenheit gefunden haben muss. Das Dorf ist immer noch 200 km von hier entfernt, die argentinisch-chlilenische Grenze 60 km. Ich versuche noch einmal eine Stunde mein Glück vor der Estancia. Es ist schon halb sieben Uhr abends und langsam sollte ich einen PLan B entwickeln. Ich entscheide mich es noch 10 Minuten zu versuchen und dann bei der Estancia nach einer Übernachtsungsmöglichkeit zu fragen. Der Wind macht das Campen im Freien ohne Windschutz unmöglich Jo ist sicherlich schon in "Cerro Sombrero" (Dorf). Gerade als ich auf den Wärter der Estancia zukommen will, verschwindet dieser in das 50 Meter weiter und hinter der Absperrung entfernte Fabrikgelände. Das gibts doch nicht! Heute läuft es einfach nicht. Ich fühle mich ein bisschen wie Maria und Josef an Weihnachten und entscheide mich dann zu einer Estancia, 30 km entfernt von hier, zu fahren. Obwohl "fahren" hier wohl der falsche Ausdruck ist. Mit schweren Beinen und kräftigem Treten komme ich Kilometer für Kilometer vorwärts. Gegen 22 Uhr komme ich dann endlich vor der Estancia an. Der Wind hat stark nachgelassen, die Farben des Himmels und der Landschaft zeigt sich am Abend in einem ganze anderen Licht. Da ich auch am morgigen Tag keine Besserung hinsichtlich einer Mitfahrgelgenheit erwarte, entscheide ich mich für die volle Tortur: Ich fahre bis zur Grenze!
Mit kalten Fingern, schlaffen Beinen und hiungrigem Magen komme ich um 12 Uhr nachts an der argentinisch-chilenischen Grenze an. Wohl wissend, dass der nette Zoll hier einen Übernachtsungraum für Reisende gratis zur Verfügung stellt, gehe ich auf den jungen Zöllner zu: " hay un lugar por dormir aca?" ( gibt es einen Raum , in dem man hier übernachten kann?-->schlechtes Spanisch). Er zeigt mir den Raum, woraufhin ich kurz etws zum Essen koche und dann völlig erschöpft um 1 Uhr nachts einschlafe. Der Wecker ist auf 5 Uhr morgens gestellt. Ich will die windfreie Zeit nutzen. Wird Jo auf mich in dem Cerro Sombrero auf mich warten oder fährt er weiter?, frage ich mich und falle in einen tiefen Schlaf.
Nur schwer komme ich um 5 Uhr morgens aus dem Bett. Doch es sind noch 135 km bis nach Cerro Sombrero und ich weill zumindest die ersten windruhigen Stunden am Morgen nutzen. Als ich aus dem Schlafraum gehe, steht der junge Zöllner immer noch da. Als er auf das Thema "Hitler" zu sprechen kommt, bin ich gezwungen schon so früh am Morgen mich auf Spanisch üder die deutsche Geschichte und deren Umgang in der deutschen Gesellschaft zu unterhalten. Als nach 15 Minuten dann endlich ein Auto kommt, bin ich froh meine Sachen packen zu können, die Zollangelegenheiten zu regeln und aufs fahrrad zu steigen. Dochb die Beine sind schwer, ich bin total übermüded und habe Hunger. Auch der Wind wird stündlich stärker. Als ich keine 20 Kilomter später eine kleine Hütte am Straßenrand entdecke, entschließe ich mich dort ein Nickerchen zu halten. Ich bin einfach zu kaputt. Weitere 110 Km schaffe ich heute nicht mehr. Als ich mich auf ein altes Bettgestellt in der Hütte lege, schlafe ich sofort ein. "What up, Freddy! What up"?, höre ich Jo im Traum rufen. "What up Freddy? Why are you not cycling, man?", als ich meine Augen öffne, merke ich, dass es kein Traum ist, sondern, dass Jo mit seinem Fahrrad an der Tür der mitten in der Pampa stehenden Hütte steht.
John Robertson ist auf der Estancia (Farm) "Tres Hermanos" (Drei Brüder) aufgewachsen. "Ich liebe das Leben auf der Estancia. Dafür muss man aber ein bisschen masochistisch veranlagt sein", antwortet er mir auf die Frage ob ihm das Leben auf der Estancia gefällt. Gerne möchte John in der Zukunft mit Touristen auf seiner Farm arbeiten. Er weiß nur noch nicht so genau, was er diesen anbieten soll.
John ist EInzelkind, sein Vater starb überraschend vor wenigen Monaten. Als Alleinerbe hat er die große Verantwortung für der Estancia übernommen (4. Generation), was ihm noch schwerfällt. Dabei stellt John eine Ausnahme dar, denn die meisten jungen Menschen zieht es auch hier in Chile weg von der harten Arbeit auf dem Land. " Die Estancia hat zwischen 14.000 und 15.000 Hektar. So genau weiß ich es gar nicht", teilt er Jo in einem längeren Gespräch mit. Aufgrung der Tatsache, dass Schafe weniger Gras zum Essen benötigen als Kühe, hat er (der Vater) sich für die Zucht von Schafen entschieden. 1 Schaf bedarf die Fläche eines Hektars Weideland hier im steppenartigen Teil von Patagonien. Der Großteil des Fleisches wird nach Asien exportiert. Ganz besonders stolz ist er auf eine Errungenschaft seines Vaters: Er ist der Erfinder der "Patagonischen Robertson Wolle", welche kurz nach dem Tod seines Vaters das Patent erhielt. Sein Wunsch ist es, dass diese Wolle einmal eine ähnliche Reputation bekommt wie die berühmte Alpaka-Wolle aus Peru.
Es ist kalt und stürmisch als Jo und ich an einer Straßenkreuzung mitten in der Pampa auf Tierra der Fuego den Daumen für eine Mitfahrgelegenheit heraushalten. Die Chance stehen schlecht. Es ist der 23. Dezember, es sind kaum Autos unterwegs und um 2 Personen inklusive 2 Fahrräder mitnehmen zu können bedarf es eines Pick-ups oder eines großen Autos. Schon am Tag zuvor haben wir es versucht - vergeblich (Link). Es sind noch 80 km bis zum nächsten Dorf. Weder haben wir noch besonders viel Motivation noch Kraft. Wir haben die Hoffnung schon fast aufgegeben als auf einmal ein Pick-up wie aus dem Nichts an der Kreuzung auftaucht. Während ich den Daumen heraushalte, winkt Jo dem Pich-up freundlich entgegen. Und tatsächlich: Der Pich-up hält an : " Ihr könnt die Fahrräder hinten aufladen. Müsst euch den Platz halt mit dem Hund auf der Ladfläche des Pick-ups teilen" ruft uns der Mann am Steuer des Pick-ups zu. Danke John! Du bist unser Engel an Weihnachten 2018!
Die Landeklappen der Fähre senken sich nach unten. Jo und ich stehen bereit uns auf die legendäre "carretera Austral" zu begeben. Der stürmischen Gegend der Pampa entflohen erwartet uns die nächste Herausforderung: Strömender Regen kommt uns entgegen als wir das Fährschiff in Yungay verlassen. Schon nach wenigen Minuten ist Kleidung durchnässt und die steilen Berghänge machen die ersten Meter auf der ungeteerten Straße nicht angenehmer. Ich schaue auf mein Tacho: gerade einmal 5 Kilometer gefahren und die Beine sind schwer. Die Lungen sind die anstregenden Berhänge noch nicht gewohnt und so brennen sie gewaltig. Doch der Anblick des (kalten) Regenwalds entschädigt für die Strapazen, denen wir ausgesetzt sind. Überall saftiges Grün, Wasserfälle, Bäume, Leben. Die Stimmung ist gut und das Fahren trotz der Anstrengung Wasser auf den Glücksmühlen. I am happy! Im Gegensatz zum Wind ist des schöne an Aufstiegen, dass es irgendwann auch wieder bergab geht. So kommt nach 10 km Aufstieg ein 10 km langer Abstieg. Der Nässe und Kälte ausgesetzt, fordert der Körper mehr Nahrungsmittel ein, um seinen gesteigerten Energiebedarf zu decken. Wir kochen an einer kleinen Haltestelle. Das Wetter läd nicht zum Weiterfahren ein, doch eine verlassene Hütte in 15 Kilometer Entfernung verspricht zumindest trockene Unterkunft. So steigen wir wieder auf die Räder. Begleitet von der stetigen Musik des Regens bestaunen wir Landschaft. Es wird Abend als wir vor der Einbiegung zur Hütte stehen. Durch Schlamm stapfend kommen wir der Hütte näher. Wir können Rauch aus dem kleinen Schornstein aufziehen sehen. Hier scheint es sich wohl schon jemand gemütlich gemacht haben. Die 4 Fahrräder vor dem EIngang bestätigen unsere Vermutungen. 4 Fahrraffahrer/innen aus Frankreich sietzen bei Cafe und Tee gemütlich um den Holzofen. Sie laden uns zu einem heißen Getränk und später zum Abendessen ein. Die Hütte und ihre Menschen wärmen von außen und innen. Wir finden keine 100 Meter von der Hütte einen übderdachten Schlafplatz. Nach einem kurzen Bad im eiskalten Wasser, falle ich, die vielen Eindrücke des Tages verarbeitend, in einen tiefen Schlaf.
Immer wieder kommen uns Fahrradfahrer/innen entgegen. In den nächsten Tagen sollte die tägliche Begegnung mit Gleichgesinnten eine stetige Geschehnis bleiben. Überraschenderweise auch viele Menschen ab 40/50. Mit mehr als 500 km ungeteerter Straße und teils sehr steilen Anstiegen gehört die Carretera Austral (Südliche Landstraße) sicherlich zu den anstregenderen Fahrradstrecken, doch eben auch zu den populärsten. Die Natur sollte in den nächsten Tagen zeigen, warum diese Straße zu einer der schönsten der Welt gehört. Ich fühle mich wie auf einem anderen Planeten. Sowas habe ich bisher noch nicht gesehen. Ein Wunderwerk der Natur! Doch wie lange wird es noch ein Wunderwerk bleiben? Noch ist der südliche Teil schwer zugänglich. Große Scharen von Touristen blieben noch aus, doch Jahr für Jahr nimmt der Strom der Touristen zu. Die Landstraße werden von Norden her mehr und mehr asphaltiert. Wieviel Tourismus darf sein? Auch wenn man dieses Wunderwerk der Natur natürlch keinem Menschen vorenthalten sollte, wird auch dieser Flecken Erde in Zukunft nicht nur den Geist der Unberührtheit verlieren, sondern auch erheblichen Schaden zugefügt werden. Paradox, dass wir durch unsere Liebe zur Natur sie gleichzeitig zerstören. So sich auch mein Fahrradherz über die Beschaffenheit der Straße uneins. Auf der einen Seite machen die Schotter- und Steinwege das Fahren an sich teils zu einer ungemütlichen Angelegenheit. Auf der anderen Seite entschtleunigt dieser Weg auch die Reise. Bringt ihr mehr Entspannung. Es sind nur wenig Autos unterwegs. Kaum LKWs. Die Straßen zwingt dir Autorfahrer langsam zu fahren. So ist es meist angenehm ruhig. Man hört die Vägel, das Prasseln des Regens oder das Quaken der Frösche. Man bestaunt die Berglanschaften, die saftig-grünen Wälder, die hoch-oben liegenden Gletscher oder eine der vielen kleinen oder auch großen Seen und Flüsse. Da die Erlebnisse der nächsten Tagen in der Interaktion mit der Natur liegen, möchte ich im folgenden die Bilder sprechen lassen. Mir fallen dazu keine Worte ein.
" Mut ist wie ein Muskel. Je mehr man ihn trainiert, desto größer wird er." ( Jonathan Betrand-Roy)
Jonathan Betrand-Roy ist 33 Jahre alt und kommt aus Quebec (Kanada). Er hat Jura studiert und mehrere Jahre in diesem Bereich gearbeitet. Doch die Jahre im Büro haben ihn nicht erfüllt. Schon früh beginnt er mit seinem Rucksack in verschiedenen Ländern zu reisen. "Auch meine Mutter träumte schon immer einmal davon, nach Italien zu reisen. Doch aus ihrem Traum wurde nichts. Sie bekam Krebs und hatte nicht mehr die Kraft nach Italien zu gehen." Jonathans Mutter stirbt. Der Tod seiner Mutter sollte das Leben Jonathans verändern. " Man weiß nie, wie lange man noch Zeit zum Leben hat." Von nun an beschließt Jonathan sein Leben zu verändern. Der Antrieb ist seine Kuriosität und das Verlangen neue Dinge zu lernen. Es soll außerhalb der toursitsischen Orte gehen. " Ich wollte Menschen kennenlernen, die Welt verstehen und jeden Tag dazulernen. Da dachte ich mir, dass doch das Fahrrad eine ganz gute Möglichkeit wäre, sich diesen Traum zu verwirklichen." Dabei ist das Tourenradeln in Quebec kaum bekannt. Als er seine Reise startet, hat er von keinem anderen "Quebecois" gehört, der mit dem Rad durch die Länder der Welt fährt. Er will etwas Außergewöhnliches machen, abseits der Norm. So steigt er 2016 in England aufs Rad.
Mit einer Kamera und seiner unendlichen Wissberrierigkeit ausgerüstet will er seine Erkenntnisse und Lehren anderen Menschen mitteilen. Seine Berichte und Fotos beeindrucken immer mehr Menschen. Zuerst wird eine Zeitung auf diese aufmerksam, dann Radiosender und sogar TV-Sender. Er veröffentlichte 2017 sein erste Buch "L´histoire de dormir dehors", welches er während einer zwischenzeitlichen Reiseunterbrechung in Malaysia (hier arbeitete er noch einmal in seinem gelernten Beruf als Anwalt) schreibt. Froh den Bürojob 2018 wieder verlassen zu können, tourte er weiter mit seinem Fahrrad durch Asien. Im Dezember 2018 startet er dann in der südlichsten Stadt der Welt, Ushuaia, seine Reise Richtung Heimat.
Ich habe Jo im September 2016 auf meiner ersten Fahrradtour in Tajikistan das erste Mal getroffen. Zusammen mit Pedro (Freund und Reisegefährte auf meiner ersten Reise nach China) haben ich drei harte, aber sehr lustige und zusammenschweißende Wochen im Pamirgebirge gehabt. Kurze Zeit später sollten Jo und ich uns wieder in Myanmar zum gemeinsamen Erkunden von Mensch und Natur treffen. 2018 dann das geplante Wiedersehen in Ushuaia und das erneute Teilen von Erfahrungen und Erkenntnisse auf unserer gemeinsamen Reise. Jo ist ein hoch intelligenter und überaus talentierter Mensch. Neben seinem großen Wissenschatz (Dinge, die er einmal gelernt hat, vergisst er nicht mehr), spielt er professionell Gitarre, singt professionell, schreibt professionell und fotografiert professionell. Der Hauptgrund aber, warum ich so gerne mit Jo reise, ist sein Humor: Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht vor lauter Lachen heulen muss. Es vergeht wirklich kein Tag, an dem wir nicht gemeinsam lachen. Dies ist eine große Bereicherung und hebt die Tage meiner Fahrradreise auf die Ebene der Unvergesslichkeit.
Muchas gracias hermano!
Es ist Abend geworden und so bauen wir das Zelt nahe eines Flusses auf. Am Fluss können wir unsere Waservorräte auffüllen, baden (bei meist eiskaltem Wasser) und oft auch gut brennbares Holz finden, welches sich für das spätere Feuer eignet. Es ist einer dieser Abende, die die romantischen Vorstellungen des Lebens in der Natur wahr werden lassen. Es wird Wasser aus dem Fluss genommen und zum Tee erwärmt. Das Zelt am Flusse stehend wird ein Feuer entfacht, welches uns sowohl das Grillen ermöglicht als auch zu Gesprächen anregt. Egal mit wem man ein Feuer entfacht, ob jung oder alt, weiblich oder männlich - es hat immer eine magische Anziehungskraft. Wir sind nicht mehr zu zweit. Davide, 26 Jahre alt und aus Italien stammend, hat unsere Reisegruppe seit 2 Wochen verstärkt. Mit großer Weit - und Weltsicht ausgestattet, mal tolpatschig, aber immer hilfsbereit und freundlich ist Davide ein äußerst positiv wirkende Kraft in dieser menschenarmen Gegend am anderen Ende der Welt. Auch die Küche wird durch den "Mister Olivenöl" aufgewertet. So sitzen wir also zu dritt um das Feuer, bestaunen das Feuer und die Glut und lassen den Moment auf uns wirken. Chile-ein Land der Träumer, der Abenteurer und Naturliebhaber? ich könnte wie warhrscheinlich der Großteil der Reisenden nun mit einer Lobeshymne auf diesen Teil der Erde beginnen, doch dies wäre meines kritischen Blickes nicht würdig. So hat auch dieser Teil der Erde meines nach Freiheit strebendes Herz verletzt. Es ist die Geschichte des chilenischen Zauns:
Die Idylle am Fluss ist gar nicht so einfach zu erreichen, denn ähnlich wie in Argentinien, ist auch hier der überwiegende Teil des Reiseweges rechts und links durch einen mit Stacheldraht ausgestatteten Zauns begrenzt. "Propiedad privada" " No Pasar" ist meist an diesen Zäunen zu lesen. Noch besser als in Argentinien sind diese Zäune vor Eindringlingen geschützt. Es zumindest mein Eindruck, dass es hierbei weniger darum geht, Tiere vor dem Davonrennen zu hindern, sondern eher darum, Reisende den Eintritt in privates Gebiet zu erschweren. Neue Zäune sind höher und in allen Bereichen mit Stacheldraht ausgestattet. So ist es nicht einfach ein Idyll am Fluss zu finden. Nicht selten muss dafür in schneller Aktion das Fahhrad mit Gepäck über den Zaun transportiert werden. So ist es auch das erste Mal seitdem ich mit dem Fahrrad reise, dass uns Anwohner dazu aufforderten, die Zelte abzubauen und in der Nacht sich ein anderes Quartier zu suchen. Und in diesem Fall waren wir an einem öffentlichen Flussbereich. Ein sehr seltenes Ereignis unter Reiseradler (in seltenen Fällen kann es in manchen Ländern vorkommen, dass die Polizei das Campen verbietet, meit daraufhin aber ein Schlafplatz, z.B. in der Polizeistation anbietet). Zwei weitere Male wurden wir darauf hingewiesen, dass dies Privatgrundstück bzw. Campen verboten sei, konnten uns aber teils über Umwege für eine Nacht dort aufhalten. Es hat sich ein System hier im Süden Chile entwickelt, welches nicht von jedem kritisch betrachtet wird: Die Straßen sind wie angesprochen rechts und links durch Zäune begrenzt. In regelmäßigen Abständen finden sich aber privat organisierte Campingplätze,"Hospedaje(n)" (meist sehr dürftig ausgestattet, aber teuere Übernachtungsmöglichkeiten bei Familien), in größeren Dörfern vlt. auch ein kleines Hotel. Will man sich also rechts und links der Straße sich die Lanschaft genauer ansehen, wird Geld verlangt. Aufgrund der zahlreichen Gletscher, Vulkane oder Nationalparks eine ständige Verlockung. Selbst Pinguine werden für den Besitzer des am Meer liegendem Gründstücks dann zur lohnende Einnahme. Willst du die Pinguine sehen, musst du 20 Euro bezahlen. Dieses System ging sogar soweit, dass an einem Wasserkocher in einer "hospedaje" die Zahl "500 $" angebracht war. "Einmal heißes Wasser?"- "500 Pesos (75 Cent), bitte". Absurd!
In den letzten beiden Beiträgen waren einige Bilder dabei. Das Schöne daran: hinter jedem Bild steckt eine Geschichte. Hier sind drei davon: Viel Spaß beim Lesen!
1. Die Brücke
Es regnet ,nicht viel, aber es ist trotzdem unangenehm. Davide hat gestern in einem Restaurant ein für den Magen weniger bekömmliches Essen zu sich genommebn. Er fühlt sich nicht 100% und da ist der Regen ein zusätzliches Argument sich eine Unterkunft zu "gönnen". Nach nur 10 gefahrenen Kilometern entscheide ich mich jedoch noch ein bisschen weiter zu fahren und auf Jo und Davide am nächsten Tag zu warten. So werfe ich mich in den Regens. Schon bald sind meine Kleider durchnässt, die Hände frieren: hätte ich doch in eine warme Stube einkehren sollen? Nein, für mich gehören auch die schweren Tage dazu. An diesen wächst man besonders.
Als Fahrradreisender kann man mehrere Tage im Regen fahren, doch spätestens nach 3-4 Tagen ist der Spaß daran sehr gering. Besonderen Antrieb erhalte ich aber durch das Buch "Der Tunnel", welches ich in den letzten Tagen angefangen habe zu lesen. Die Erzählungen französischer Straflager- und Vernichtungslagergefangener und die damit verbundene Grausamkeit deutscher Soldaten (Menschen) begleiteten mich die letzten Tage. Gleichzeitig lasse ich hinsichtlich meiner Strapazen kein Jammern zu.
Ich habe heute Glück und finde nach 30km einen fast perfekten Platz für einen regnerischen Tag wie Heute: Ein Brücke. Unter der Brücke ist es trocken und ich habe einen 100% Sichtschutz. Ich wasche mich, hänge meine Kleider auf und lese das Buch in fünf Stunden fertig. Begleiten tut mich das Rauschen des Flusses. Wer denkt, dass dieses Rauschen immer leise unr romantisch ist, darf sich die folgende Aufnahme einmal anhören.
2. Muschelessen
Nach einem gemütlichen Tag entlang der Küste entscheiden wir uns nahe am Meer das Zelt aufzuschlagen. Unseren Indormationen nach soll es hier auch massenweise Muscheln geben. So machen sich Davide, Jo und ich auf, um unser Abendessen zu suchen. Nachdem Davide und ich nach 15 Minuten kaum eine Muschel gefunden haben, kommt uns Jo mit einer Handvoll Muscheln entgegen. "Ihr sucht an der falschen Stelle! Dort drüben ust alles voll!" Und tatsächlich! Nach nur 15 Minuten hat jeder von uns eine Tüte voll mit Muscheln. Jetzt haben wir die Muscheln, jedoch habe ich keine Ahnung, wie man diese zubereitet. "Davide, hast du schon einmal Mauscheln zubereitet ?", frage ich unsere italienischen Reisegefährten. " Nein, ich habe keine Ahnung. Aber ich würde sagen, dass unserer französischer Freund die Führungsrolle übernimmt. Als Halbfranzose muss er wissen, wie man Muscheln zubereitet!", antwortet Davide mit einem Augenzwinkern. "Jo, da du französisches Blut in den Adern hast, darfst du uns sagen, wie man Muscheln zubereitet", rufe ich dem Quebecois Jo zu. " Ich habe zwar weder Ahnung von Muscheln noch bin ich Franzose, aber nagut. Ich will es versuchen: Lass uns die Muscheln erst einmal waschen und dann kochen." Gesagt, getan! Und das Essen ist ein Genuss. Wir verschlingen eine Muschel nach der anderen. Da war unseres Gespür doch gut, die Zubereitung in die Hände Jos zu begeben. "Lass uns morgen früh gleich nochmal Muscheln zum Frühstück essen", werfe ich noch während dem vorzüglichem Abendessen in die Runde. Das Essen ist einfach zu gut!
"Die letzten Muscheln gehen im heißen Wasser nicht auf, aber mit dem Messer kann man sie sehr einfach öffnen", gibt uns Jo den Ratschlag für die letzte Runde. Und tatsächlich lassen sich die letzten Muscheln ohne jegliche Probleme öffnen.
Mit vollem Magen und guter Laune legen wir uns ins Bett. Es war ein perfekter Tagesabschluss. Morgen werden Davide, Jo und ich unseren letzten Tag gemeinsam auf dem Rad verbringen und die Carretera Austral in Puerto Montt beenden. Doch nach 2 Stunden Schlaf merke ich, dass es mir nicht gut geht. Ich kann nicht schlafen und mein Magen hat nicht die beste Laune. Ich gehe aus dem Zelt und merke, dass ich mich übergeben muss. Das müssen die Muscheln gewesen sein. Ich lege mich wieder ins Zelt, merke aber schon bald, dass die Nacht eine lange sein wird. Nach 1 Stunde gehe ich wieder aus dem Zelt. Ich übergebe mich noch einmal. Jeden Augenblick erwarte ich die anderen beiden erbrechend aus dem Zelt steigen. Doch Jo schläft wie ein Stein und Davide scheint nur durch meine ungewöhnlichen nächtlichen Geräusche geweckt worden zu sein: "Alles klar, Freddy?, fragt Davide. Nein, bei mir ist nicht alles klar. Scheiß Muscheln. Noch 2 Mal steige ich heute nacht aus dem Zelt, das macht insgesamt 4 Mal: Der Magen dürfte leer sein. Jo ist am Morgen völlig überrascht und wir machen gemeinsam ein bisschen Spaß über die Stärke der deutschen, italienischen und kanadischen Mägen. 1:0 für Kanada und Italien!
Es sind heute noch 71 km zu machen! Ich bin völlig zerstört und in solchen Momenten wünscht man sich ein schönes Bett im heimatlischen Deutschland. Doch jammern hilft hier jetzt nicht: sich noch ein paar Witze anhören lassen ( "Lass uns nachher Muschel-Empanada essen!" , "Machen wir heute Abend Muscheln?") und dann rauf aufs Rad. Als wir nach 20 km an einem Bistro anhalten lege ich mich einfach nur mit em Kopf auf den Tisch und versuche zu schlafen. Bei mir geht gar nichts mehr! Nach 30 Minuten gehe ich raus, mir ist schlecht. Trotz heißem Wetter friere ich. Daraufhin teile ich Davide und Jo mit: "Leute, ich kann nicht mehr. Ich nehme die Fähre oder den Bus." Als ich jedoch am Hafen nach einer Fähre frage, bekomme ich zu hören, dass keine Fähre von hier aus nach Puerto Montt fährt. Aber ich könne mit dem Bus fahren. Nachdem ich wieder zum Empanada Bistro zurückkehre und meinen Kopf auf den Tisch lege, überreicht mir Davide alle möglichen Teesorten, die er noch in seiner Tasche hat. Wir machen aus, dass wir uns in Puerto Montt treffen. Währenddessen bereite ich den Tee zu. Ich fühle mich "wie Flasche leer" und schlürfe am Tee. Ich beginne zu schwitzen - der Tee tut mir gut. ich entscheide mich noch einen Kamillentee zu trinken. Der Tee wirkt! Als Davide und Jo schon halb auf dem Fahrrad sitzen, treffe ich eine spontane Entscheidung: "Jungs, ich komme mit euch! Der Tee fängt an zu wirken. Ich ziehe es durch!"
So schleppe ich mich mal besser mal schlechter Hügel für Hügel nach Puerto Montt. Am Ende des Tages bin ich aber froh mich in einem Bett ausruhen zu können.
3.Idylle
Wir fahren in die Strandpromenade ein. Es kein "no campar" Schild zu sehen und es gibt einige Grünflächen. Die Sonne scheint und wir haben noch einige Sonnenstunden. Was für ein Traum! Ich stelle mein Fahrrad ab, nehme meine Kamera und mein Fernglas in die Hand uns setze mich gemütlich auf einen Stein am Strand. Eine leichte Meerbrise zieht vorüber. Nach kurzer Zeit setzt sich auch Davide neben mir auf einen Stein. Er hat sein Tagebuch dabei und will die ruhige, gelassene Stimmung nutzen, um die Ereignisse der letzten Tage nachzutragen. Ich schieße ein paar Fotos, zücke mein Fernglas und betrachte die Insel Chiloé von der Ferne aus. Hier lässt sich der Abend verbringen. Dann kommt auf einmal Davide auf mich zu, sein linke Hand mit der rechten Hand haltend: " i cut myself. Not in a good way!" Blut läuft ihm herunter. Die Idylle hat von der ein auf die andere Sekunde starke Risse bekommen. " I think i can feel my finger". Wir laufen zu den Rädern zurück. Eigentlich wusste ich es schon zuvor, doch als ich die Wunde sehe wird mir klar: Davide muss ins Krankenhaus. Jo und ich schaffen es ihm mit einem notdürftigen Verband zu helfen. Man kann es Glück im Unglück nennen: Normalerweise campen wir weit weg von der Zivilisation. Hilfe von außen wäre zwar möglich aber sehr umständlich. Doch heute sind wir an einem Strand, an dem zumindest ein paar andere Menschen anwesend sind. Und als ein Chilene den blutenden Davide sieht, kommt er uns entgegen und bietet sofort sein Hilfe an. Wir treffen die Entscheidung, dass Jo hier bleibt und ich Davide ins 10km entfernte Krankenhaus begleite. Also ab in das Familienauto. Das Auto ist mir 9 Personen voll. Wir spreche kaum ein Wort. Davide hält den verband fest um seinen Finger. Er regt sich auf, dass er sich geschnitten hat. Der Abend hätte doch so schön sein sollen. "It is what it is!", sagte Douglas, ein Reisegefährte auf meiner ersten Reise nach China, immer in Situationen, die unangenehm waren, aber nicht verändert werden können. So gebe ich diesen Satz nun Davide weiter. Unser chilenisches Freund und Helfer fährt uns direkt in das Dorfkrankenhaus, bringt uns herein und hält ein kurzes Gespräch mit dem jungen Herrn in der Notaufnahme. Davide verschwindet mit ihm in das Patientenzimmer während ich noch kurz ein paar Worte mit unserem Helfer wechsele:
"Soll ich euch nachher wieder an den Strand zurückbringen?" fragt er mich.
"Nein, nicht nötig! Vielen Dank!
" Sicher?"
" Ja, sie haben schon genügend für uns getan. Wir werden pe Anhalter zurückfahren!"
"Wirklich sicher? Du kannst dor meine Nummer aufschreiben und mich anrufen!"
"Nein, wirklich nicht! Vielen, vielen Dank! Schönen Abend Ihnen noch! Und nochmals Danke!"
"De nada. Buenas Tardes"
ich warte vor dem Patientenzimmer. Das Krankenhaus ist komplett leer. Hier in Chaiten scheint das krankenhaus nicht europäische Standarts zu haben, aber es sieht jetzt auch nicht wie in Murghab in Tajikisatan aus. Ein junger Mann kommt vorbei und betritt das Patientenzimmer. Das muss des Arzt sein. Ich warte, schaue mir die Bilder auf dem Gang an und warte. Nach einer Stunde kommt Davide heraus. Er hatte Glück: Ein paar Milimeter weiter und die Zukunft des Fingers sähe nicht so blendend aus. So kann er mit ein paar Stiche und einen Verband das Krankenhaus mit ganzem Finger verlassen. Schöne Geste in dem sonst sehr teuren privatem Gesundheitssystem in Chile (so gehen viele Chilenen extra nach Argentinien, um sich dort kostenlos behandeln zu lassen, da sie die hohen Kosten in Chile nicht bezahlen können): Die Behandlung war kostenlos. Wir verlassen um 20.00 Uhr das Krankenhaus und wollen weder zurück zum Strand. "Ich bezahle ein Taxi!", sagt Davide keine 20 Sekunden nachdem wir das KH verlassen. " Nicht nötig, Davide. Lass es uns per Anhalter probieren." Wir laufen an die Ortsgrenze und halten den Finger heraus. Doch kaum ein Auto fährt um diese Zeit noch. So sitzen Davide und ich mit Flip Flops am Straßenrand und warten und warten und warten. "Hätte ich doch das Angebot unseren chilenischen Fahrers angenommen", denke ich mir während wir von den wenigen Autos die passieren ein Absage bekommen (meist, weil sie wieder zurückkommen. Die Straße führt nur zur 40 km entfernten Fähre. Die nächste Fähre geht erst wieder am nächsten Morgen). "Ich versuch ein taxi zu organisieren", teil mir Davide mit während er aufsteht und zum nächsten Restaurant geht. Doch er kommt mit hängendem Kopf zurück: " Es gibt hier keine Taxis!". "Lass esuns noch 30 Minuten probieren. Falls uns keiner mitnimmt laufen wir halt die 10 km die Straße entlang. Die zeit vergeht und nach 30 Minuten nimmt uns immer noch keiner mit. zu unserem pech stellen sich auch noch 3 andere Männer neben uns hin, um per Anhalter mitgenommen zu werden. 5 Männer!?!?! Uns nimmt bestimmt keiner mit. " Lass uns noch 3 Autos abwarten. Wenn uns dann keiner mitnimmt, laufen wir." Das erste Auto passiert. Das zweite Auto passiert. Das letzte Auto kommt angefahren. Doch was ist das? Der weiße Pickup hält an: " 3 auf die Rücksitze und die anderen zwei sollen hinten auf die Ladefläche", teilt uns der Fahrer mit. Wir können unser Glück kaum fassen und setzen uns grinsend auf die Rückbank. Um kurz nach 9 können wir dann noch die letzten Sonnenstrahlen am Strand genießen. Was für ein verrückter Tag!
Wir sind wieder zu zweit unterwegs: Jo und ich. Von Purto Montt aus machen wir uns auf in Richtung Norden. Wir verlassen die weltberühmte "Carretera Austral" und begeben uns in nationales Touristenterrain. Meine Hoffnung und mein Ziel: einen Zugang zu der chilenischen Bevölkerung zu bekommen, die zuvor als eher zurückhaltend bechrieben werden kann.
Die ersten Tage sind jedoch erst einmal geprägt von Sonne, Wasser und Strand. In der "7-Seen-Region" genießen wir das schöne und warme Wetter. Abseits der Hauptrouten kommen wir auch das ein oder andere Mal ins Gespräch mit der einheimischen Bevölkerung. Mal mit zwei Fast-Food Verkäuferinnen mitten im Wald, mal mit einem Bauarbeiter, mal mit einem Metzger. Doch insgesamt fällt uns auch hier auf: die Menschen lächelen wenig und sind sehr uninteressiert. Warum, warum sind diese Menschen hier nur so reserviert? Hier muss noch mehr dahinter stecken? Irgendetwas liegt hier in der Luft.
In der Luft liegt vor erst einmal ein Brandgeruch. Immer wieder rückt die Feuerwehr aus. Es ist heiß, es ist trocken - da fühlt sich das Feuer wohl. Nach einer Nacht am Strand von Villarrica, an dem wir von diversen chilenischen Reisenden immer wieder nachts am Schlafen gehindert wurden, entscheiden wir uns in einem Hostel zu übernachten. Immer wieder fällt dort der Strom aus: " Die Brände in der Umgebung legen die Stromversorgung lahm", teilt uns Philllipe, der Hostelbesitzer mit. Auch am nächsten Tag, an dem wir weiter gen Norden aufbrechen, kommen wir an Orte ohne Strom vorbei. "Ist es wegen der Trockenheit und die damit verbundenen Brände in der Umgebung?", frägt Jo eine "Mote con Huesillo" Verkäuferin (= Pfirsichgetränk mit Haferflocken) am Straßenrand, um ein Gespräch zu beginnen. "Mmmmm. Ehrlich gesagt...mmmm...legen die Mapuche (Ureinwohner Patagoniens) im Konflikt gegen Großunternehmen weitesgehend die Feuer.", antwortet die Verkäuferin etwas zögernd. Wir verstehen ihr weitere Ausführung nicht zu 100% doch wir merken, hinter den Bränden steckt mehr dahinter. Es wird sich zeigen: Die Brände lodern nicht nur im Wald, sondern mitten in der chilenischen Gesellschaft. Und sie scheinen weder weniger noch schwächer geworden zu sein.
Wie es der Zufall will erfahren wir, dass die Feuerwehr in der heute als Ziel gesetzten Stadt Freire Fahrradreisende beherbergt. Werde sie uns auch mitten in der für sie stressigen Phase aufnehmen? Als wir an der Feuerwehrwache ankommen, sitzt schon ein anderer Fahrradreisender mit den Feuerwehrleuten zusammen: Steve, ein 66- Jähriger Schotte, den wir ein Woche zuvor in einem Hostel getroffen haben. Auf der Feuerwehrwache wartet auf uns eine Dusche, eine Küche, ein Zeltplatz und viele interessante Gespräche rund um das Thema Feuerwehr. Vor allem mit Ricardo und Alejandro führen wir ein langes Gespräch.
Urplötzlich wird das Gespräch mit Ihnen unterbrochen. Die Sirenen heulen, Alejandro und Ricardo sind von jetzt auf gleich voll fokussiert: Unfall auf der Autobahn. Dann geht alles ganz schnell: Von links kommt ein Mann mit dem Auto an, die Feuerwehrausrüstung wird ihm von Ricardo in die Hand gedrückt und er wirft sich in das anfahrende Feuerwehrauto. Dann kommt ein anderer Mann mit Fahrrad an, schmeißt es zu Boden und verwandelt sich binnen Sekunden in ein im Einsatz befindender Feuerwehrmann. Mit 6 Mann im Auto düst die Feuerwehtr los. Das laute Sirenengeräusch wird leiser und auch unser Puls beruhigt sich wieder. Wie setzen unser Gespräch mit Ricardo und Alejandro fort.
"Der Autofahrer war alkoholisiert", teilt uns einer der rückkehrenden Feuerwehrleute mit. Die Feuerleute sind müde. Commandante Claudio verabschiedet sich mit seinen müden Augen in sein Bett auf der Feuerwehrache. Als wir am nächsten Morgen das Gebäude verlassen, fangen die Sirenen keine 20 Sekunden später wieder an zu heulen: Keine Zeit sich auszuruhen!
"Können wir auf dem Feld gegenüber übernachten", fragen wir am heutigen Abend den Besitzer eines kleinen Kiosks, nachdem die Zäune rechts und links die Übernachtungsmöglichkeiten stark eingeschränkt haben. "Wir können euch hierfür keine Erlaubnis geben, da es nicht uns gehört, aber ihr könnt gleich hier auf unserem Grundstück euer Zelt aufschlagen. Hier ist Wasser, falls ihr welches benötigt.", antwortet uns dieser daraufhin mit wenig Gestik im Gesicht. Wow! Wir sind überrascht: Wir werden eingeladen keine 20 Meter von Haus der Familie zu übernachten. Das ist ein Novum auf meiner Fahrradreise. Nachdem wir das Zelt aufgeschlagen haben setzen wir uns in die Nähe des Kiosks hin und essen zu Abend. Wir erwarten jeden Augenblick eine Interaktion: eine Frage, ein Lächeln, ein Blick. Doch nichts geschieht. Wir werden komplett ignoriert. Selbst die zwei Jugendlichen haben kein Interesse an uns zwei. Was ist hier nur los? Was läuft hier nur schief? Wir campen keine 20 Meter von ihrem Haus und diese haben nicht einmal eine Frage oder Bitte an uns? Sehr überrschaft legen wir uns schlafen und setzen uns wieder vor dem Kiosk um zu frühstücken. Wir werden weiterhin fast durchweg ignoriert. Als wir uns aufmachen wollen, um weiter zu fahren geschieht doch noch etwas: Victor gesellt sich zu uns. Der etwas kräftig gebaute Mann ist mit der Familie verwandt, auf dessen Grundstück wir gecampt haben. Er zeigt sich redefreudig und so haben wir drei ein längere Untrhaltung aus der zum einen hervorgeht, dass er und die Familie der nativen Bevölkerung angehört und zum anderen, dass sich das Leben in den letzten Jahren sehr verschlechtert hat. Für einen Sack Kartoffeln bekommen sie mittlerweile nur noch 4,50 Euro anstatt 18 Euro vor ein paar Jahren. Gegen die großen Unternehmen, die mit großen Maschinen viel kostengüstiger produzieren können, hat die seit Jahrhundert ansässige native Bevölkerung mit ihrer vielen Handarbeit keine Chance. Ein Problem, das es sicherlich auch in anderen Erdteilen gibt. Wie kann man diese Menschen am besten in den modernen Wirtschaftskreislauf inegrieren ohne sie als Billigarbeiter auf dem Felde auszunehmen?
Wir ziehen mit unserem Fahrrad weiter. Immer öfter können wir an Bushaltestellen das mit Grafitti aufgezeichnete Zeichen der Mapuche und die Schrift "Territorio Mapuche" sehen. Später sind auch immer mehr Anzeichen von alten Straßensperren zu sehen. Bäume wurden so angeschlagen, dass sie die Straße versperren. Alte Autoreifen und linienförmige, schwarze Russ-Streifen und Löcher in den Straßen, zeugen von brennenden Barrikaden. Später am abend sehen wir Löschhelikopter im Einsatz. Auch Militärfahrzeuge mit Soldaten ziehen an uns vorbei.An dem üblichen Touristen gehen diese Ereignisse weitestgehend unbemerkt vorüber, doch wir erleben iun Chile nicht nur die toursitischen Attraktionen.
Auch an diesem Abend bekommen wir wieder die Möglichkeit bei einer Familie im Garten zu übernachten. Nachdem wir gestern so enttäuscht wurden, erhoffen wir uns doch heute einen Einblick in das Alltegsleben der Menschen. Doch wir werden wieder bitter enttäuscht! Nicht einmal ein freundliches "Hallo" bekommt der Vater der Familie über seine Lippen. Und das obwohl wir keine 5 Meter vom Haus entfernt im Garten campen. Sowohl am Abend auch als am nächsten Tag werden wir weitestgehend ignoriert. Es findet kein Gespräch statt. EInzig und allein die reichlichen Haus/Nutz-tiere (Truthan, Hahn, Henne, Katzen, Ziege) leisten uns Gesellschaft. Wir finden bisher überhaput keinen Zugang zur chilenischen Gesellschaft.
Erst Tage später erfahren wir durch einen "warmshower-host" in Coronel und einer älteren Dame, dass sich in dem von uns befahrenen Gebiet ein zur zeit heißer Konflikt abspielt. Ich glaube, dass darin eine Hauptursache für die sehr desinteressierte Haltung der hier ansässigen Bevölkerung liegt. Ich möchgte im folgenden meine von diesen beiden Personen erhaltenen Erfahrungsbericht wiedergeben
Das von uns befahrenen Gebiet wird überwiegend von der nativen Bevölkerung der Mapuche bewohnt. Die Mapuche galten schon zu pre-kolumbischen Zeiten als sehr wehrfähiges Indianerstamm. Das Inkareich konnte ihr Herrschaftsbereich nicht auf das von Mapuche besiedelte Gebiet ausweiten. Auch die Spanier schafften es 400 Jahre lang nicht, in das Kernland der Mapuche vorzudringen. Erst durch einen Friedensvertrag, der von der heutigen Mapuchebevölkerung als nichtig angesehen wird, konnten die Spanier auch in den Mitte-Süden Chile vordringen und ihr Herrschaftsgebeit ausdehnen. Von nun an sahen sich die Mapuche vierlei Repressalien ausgesetzt. Land wurde an private Besitzer verteilt, darunter auch an deutschen Siedlern, die Mitte des 19. Jh. aus politische und wirtschaftlichen Gründen ihr Heimatland verlassen haben, um im fernen Chile ihr Glück zu versuchen. WEITERE BEISPIELE NENNEN
Der schnelle Niedergang der jahrundert/jahrtausendalter Kultur des Indianerstamms, traf und trifft die Mapuche heute noch. Ihr Verständnis vom Leben/Tod und ihre sehr enge Besziehung zur Natur, konnte und kann gegenüber der (europäischen) Kultur der Herrschenden nicht standhalten. Kaum jemand spricht heute noch die Sprache der Mapuche.
Auch wenn es immer wieder Widerstand gegen die "Eroberer" gegeben hat, so hat sich dieser im letzten Jahrzehnt noch einmal erheblich vergrößert. Angeführt durch das Wissen der in Universitäten ausgebildeten Indigener, wird die "Herrschaft" der chilenischen Zentralregierung in dem von überwiegend Mapuche bewohntes Gebiet angezweifelt. Der Traum eines Teils der Gemeinschaft der Mapuche ist eine autonome Region, die von der Zentralregierung natürlich unter keine Umständen akzeptiert werden kann. Die Auseinandersetzung zwischen den Mapuche und der Zantralregeirung manifestiert sich zur Zeit in zwei wesentlichen Konfliktpunkten. In beiden Fällen spielt die enge Beziehung der Mapuche zur Natur eine wesentliche Rolle.
Zum einen will die chilenische Regierung will schon seit Jahrzehnten die Wasserkaft im Süden Chiles ausbauen. Je nach Regierung werden diese Projekte mal stärker mal schwächer angegangen, denn die Bevölkerung im Süden wehrt sich gegen die Großprojekte der Regierung. Großen Anteil am Widerstand hatten/haben zum einen der verstorbene Douglas Tompkins, dem große Gebiete im Süden Chiles gehörte, und eben die Mapuche, die sich gegen den großen EIngriff in die Natur wehren.
Zum anderen haben Großunternehmen auch den Rohstoff Hoöz für sich entdeckt. Darunter fallen vor allem zwei Baumarten: die Pinie und der Eukalyptus Baum. Ersterer ist schon nach 20 Jahren bereit zum abholzen, letztere sogar schon nach 15 Jahren. Finanzkräfitge Großunternehmen kaufen so immer mehr Landflächen auf, um das lohnende Geschäft auszuweiten. Hauptproblem dieses Geschäfts ist der große Wasserbedarf der Bäume. Eine ausgewachsene Pinie benötigt 20 Liter Wasser pro Tag. Flüsse und die Böden trocknen aus. Das Landschaftsbild soll sich nach Aussagen von Einheimischen in den letzten Jahren rapide verändert haben. Versprechungen von Großunternehmen, dass dieser Anbau auch zu Wohlstand bei der indigenen Bevölkerung sorgt, haben sich nicht bewahrheit. Auch dagegen prostestiert ein Teil der indigenen Bevölkerung. Da es sich um einen Kampf David gegen Goliath handelt, wissen sich Teile der Mapuche nicht anders zu helfen, als die (fremde) Natur anzuzünden. So werden Feuer gelegt, um das Geschäft der Großunternehmen zu schädigen. Diese aggresive Methode spaltet aber auch die Mapuche Bevölkerung. Die einen sehen den Kampf als letztes Mittel an, andere wiederum sehen diese Form als Angriff gegen die wertschätzende Natur.
Sicherlich bedarf es noch weiteren Informationen, um sich ein genaueres Bild von diesem Konflikt zu machen. Fest steht, dass es ein weiteres, westlich zivilisiertes Land nicht geschafft hat, die Indigene Bevölkerung zu integrieren geschweige denn die ursprüngliche Kultur der indigenen Bevölkerung aufrechtzuerhalten und zu unterstützen. Das große Misstrauen der Indigenen und ihre jahrhunderlange schlechte Erfahrungen mit "dem weißen Mann", spiegeln sich ( nach meinen Einschätzungen) wiederum im Verhalten uns gegenüber wieder. Als Verfechter einer freien Naturlandschaft wird das Campen uns zwar überall erlaubt, jedoch führten die in der Vergangenheit gemachten schlechten Erfahrung mit einer Öffnung der Gemeinschaft, zu einer Abschottung, die auch uns gegenüber gezeigt wird.
Auch wenn sich weder auf der "Carretera Austral" noch im Mapuchegebiet große interaktionflächen mit der einheimischen Bevölkerung ergeben haben, wird sich der "Mensch" in meinen letzten beiden Wochen in Chile doch noch von seiner offenen Seite zeigen. Mehr dazu in meinem nächsten Bericht.
Wir verlassen das Haus Gabriels (wunderbarer Gastgeber in Coronel) und finden uns auf der viel befahrenen Straße um Concepcion wieder. Unser Ziel ist Argentinien und somit der "Paso Pehuenche" mit einer Höhe von 2500 Meter.
Der Schweiß tropft mir nur so von der Stirn. Immer wieder sind Hügel oder kleine Berge hochzufahren. Die Hitze steht nur so in der Luft. Bei den Anstiegen ziehe ich meinen Helm ab. Vom Kopf läuft der Schweiß über meine Stirn die Sonnenbrille und dann der Nase herunter. Öfters halte ich an, um zu trinken, die Sonnenbrille zu putzen und vom stinkenden Verkehr durchzuatmen. Sicherlich nicht die angenehmste Zeit. Nachts habe ich einen leichten Husten, der vom Verkehr oder von den Waldbränden kommen muss. Schon am ersten tag merken wir, dass das Interesse an uns als Reisende merklich zugenommen hat. Menschen sprechen uns an, stellen fragen und beantworten Fragen. Ist ist der Austausch nachdem ich mich gesehnt habe, um das Leben der Menschen besser verstehen zu können. Um die Stadt Tomé sind wir mal wieder Zeuge der grenzenlosen Verschmutzung der Natur durch den Menschen. Auf einem inoffiziellem Campingplatz nahe am Fluss, sind jedliche sich nur denkenden Abfälle zu finden. Slebst ein Ofen wurde neben dem Fluss abgestellt und angezündet. Dafür fehlen einem die Worte.
Der Verkehr wird weniger, doch die Hitze und der damit verbundenen Schweiß bleibt der Begleiter in der geographischen Mitte Chiles. Da wir uns auch vom Meer wegbegeben, entfällt auch immer mehr die Meerbrise. In der Stadt Coelemu versuchen wir es am Abend wieder mit einer Übernachtung bei der Feuerwehr. Sie können uns leider nicht aufnehmen, verweisen uns aber auf eine Schule, in der wir übernachten können. Als wir dort ankommen ist die Straße zur Schule abgesperrt. Polizei und Rotes Kreuz ist um und in der Schule allgegenwärtig. Was ist hier los? Ich vermute schon sehr früh, dass die Schule als Krisenzentrum für die Waldbräde eingerichtet wurde. Sollen wir als 2 Reisende wirklich fragen, ob wir hier übernachten können. Ich habe so meine Zweifel Betten in der Notsituation anderer in Anspruch zu nehmen. Trotzallem entscheiden wir uns nachzufragen. Wir bewegen uns auf einen Mann des Roten Kreuzes zu: " Wir waren vorher bei der Feuerwehr, um nach einer Übernachtung zu fragen. Diese haben uns hierher geschickt. Haben sie einen Platz zur Übernachtung hier?" " Mmmm. das wird schwierig. Ich hole den Verantwortlichen einmal.", anwortet uns der etwa 50 Jahre alter Mann.
Keine 3 Minuten später kommt der Hauptverantwortliche zu uns: " Wir können euch leider hier nicht aufnehmen. Wir erwartten heute viele Menschen hier, dir in der letzten Nacht ihre Häuser verloren haben. Tut mir leid.", teilt uns dieser mit. Mir ist diese Aussage gerade recht. Ich hätte kein gutes Gefühl gehabt, hier zu übernachten. So füllen wir unsere Flaschen mit Wasser auf und haben eine entspannte Nacht am Fluss an einer Brücke. (Brücke geben einem oft die Möglichkeit Zugang zu einem Fluss bzw. allgmein ein Ort zu übernachten zu finden. Da sonst das gesamte Gebiet in Chile abgesperrt ist.
Die Begegnungen mit Menschen, die sich für uns und unsere Reise interessieren häufen sich. Oft sind es einfache Verkäfer/innen, mit denen wir ins Gespräch kommen.
Meine Haare sind lang geworden. Das ist bei so einer Hitze nicht gerade angenhem. ich gehe ungern zu Frisör. Als ich jedoch am Straßenrand ein Schild mit " Cortez el Pelo. 2000 $" (Haare schneiden.2000 Pesos) mitten in einer eher unbewohnten Gegend sehe, wittere ich die Chance 2 Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Zum einen Mal bekomme ich eine neue, freshe Frisur, zum anderen ermöglicht es mir auch ins Gespräch mit einer älteren Dame zu kommen, die mir sicherlich einiges zu erzählen hat. Wir halten an und ich nähere mich dem Haus. " Buenas dias", rufe ich. Niemand antwortet. Zwei Hunde bellen. "Buenas dias", rufe ich jetzt etwas lauter. Immer noch nichts außer das Hundegebell. Dann rufe ich ein drittes Mal. Es tut sich nichts. Ich will mich gerade umdrehen, als ein Junge aus dem Haus tritt. "Cortes el Pelo", rufe ich ihm zu. " "Si, si", antwortet er und öffnet mir dir die enge Gartentür. Als ich mich dem Haus nähere steht dort ein etwa 45 jähriger, dünner Mann. "Der schneidet mir doch bestimmt nicht die Haare", denke ich mir und frage ihm wer mir die Haare schneidet. " Das macht der Junge hier. Schau, er hat auch mir die Haar geschnitten" antwortet er mir. Als ich mir die Frisur anschau, denke ich mir nur: " Das kann ja was werden." Der Junge verschwindet im Haus. Der ältere Mann kommt heraus und stellt 2 Stühle auf. Kurze Zeit später kommt dann auch der Junge heraus. Er legt einen Rasierer und eine normale, große Küchenschere auf den Tisch. Der Junge macht einen nervösen Eindruck Als dieser wieder im Haus verschwindet, frage ich Jo: " Have you seen this pair of sissors? I hope he doesn´t intend to cut my hair with that one!"
Als der Junge wieder herauskommt dann die alles entscheidende Frage: Wie willst du deine Frisur haben? Puuu, nach 5 gesprochenen Minuten wird ihm einigermaßen klar, wie ich die Frisur haben will. Da ich meine langen haar weitestgehend behalten will, bitte ich ihm nur eine "Frisur" in die Haar zu bekommen und vor allem hinten die Haare kürzer zu schneiden. Und bitte die Schere benutzen. Ich habe Angst, dass er mir sonst die Haare zu kurz schneidet. "Am besten wäre es, wenn du dir deine Haare nass machen würdest", sagt er mir und verschwindet wieder im Haus. Wenig später kommt er mir einer Nescafe-Tasse in seiner Hand aus dem Haus und drückt mir diese in die Hand. Als er mit dem Haare schneiden beginnen will, frage ich ihn: "Soll ICH die Haare jetzt nass machen?" Er bejaht und dann geht es los. Ich merke sofort, dass er keine Ahnung vom Haare schneiden hat. Er wirkt sehr unsicher.
Ignazio ist 16 Jahre alt und geht auf das Colegio in Concepcion ( ca. 100 km entfernt). Er hat Ferien und verbringt seine Ferien hier bei seinem Onkel und seiner Oma, um ihnen zu helfen. Gerne möchte er eine Ausbildung in Elektromechanik machen. Studieren mag er nicht. Er verbringt lieber seine Zeit in Concepcion als hier auf dem Land. Aber er versucht seiner Familie zu helfen, wie jetzt mit dem Haare schneiden. " Wieviele Kunden hast du pro Tag? Zwei?Drei?", frage ich ihn."Das kann ich dir nicht beantworten. Ich habe heute erst das Schild aufgestellt. Du bist mein erster Kunde", antwortert dieser mir. Ich muss lachen und denke mir gleichzeitig: Was für eine Erfahrung für diesen Jungen. Da stellt er dieses Schild auf und wer ist sein erster Kunde? Ein Tourist auf einem Fahrrad!
Al Jo sagt, dass er einen tollen Job gemacht hat und ich ihm dies bestätige ( auch wenn wir anderer Meinung sind) ist dieser richtig stolz. Wir sollen Werbung für ihn machen. ich glaube, er freut sich in Zukunft vielen die Haare schneiden und so seiner Familie helfen zu können. Ich gebe ihm 50% Trinkgeld und verlasse das Grundstück durch das enge Gartentor wieder. Zum Glück bin ich mit dieser Frisur nicht zu Hause unterwegs.
Am Morgen weckt mich die starke Sonne. Ich gehe aus dem Zelt, strecke mich und sehe schon von Weitem ein Gaucho, der auf das Zelt zukomme. Wir unterhalten uns und wie einige hier, hat auch er keine Ahnung wo das Feuerland bzw. Punta Arenas liegt. Erstaunlich, denn es wäre vergleichbar, wenn Menschen aus dem Süden die Nordsee oder Hamburg nicht zuordnen könnten. Als er am Gehen ist, fragt er mich noch, ob ich ein Pferd gesehen habe. Leider nein, amigo. Er reitet davon und ich mache mich daran das Frühstück vorzubereiten. Wie immer gibt es bei mir Brot mit Honig. Meistens kaufe ich 500g-1kg Honig, welcher mir 2 Wochen reicht. Wenn der Morgen gemütlich ist, genügend Wasser und Benzin vorhanden ist, gibt es noch einen Tee dazu. Jo und ich gehören zu den absoluten Langschläfer. Sehr selten brechen wir vor 11 Uhr morgens auf.
Die ersten Kilometer auf dem Fahrrad gehören meistens nicht zu meinen Liebsten. Ich bin müde und die Beine sind eigentlich immer schwer. Wenn der Morgen auch noch mit einem Anstieg beginnt, ist die Laune nicht gerade die Beste. Doch das ändert sich meistens sehr schnell. Man kommt nach wenigen Minuten wieder in den Rhythmus bzw. hat eine schöne Landschaft oder nette Menschen um sich herum. Hier sind einige Landschaftbilder oder auch nette Menschen (wie z.B. Silvia and Jose, die uns sowohl zum Tee eingeladen als auch Obst-Proviant für die Fahrt mitgegeben haben.
Nachdem wir die Nord-Süd-Verkehrsader "ruta 5" überquert haben, fällt mir auf, dass diese Straße das Land an dieser Stelle in zwei Abschnitte teilt. Westlich davon wird Wald angebaut (s.h. Artikel), östlich davon wird das Wasser der Anden mithilfe von Kanallegungen für den landwirtschaftlichen Anbau genutzt. Die Kanalä bieten uns immer wieder die Möglichkeit, den Körper abzukühlen. Als wir uns weiter den Anden zubewegen, können wir auch das sehen, das die Mapuche gerne nicht in "ihrem" Territorium haben wollen: Wasserkraftwerke und Stauseen. Weniger die Stauseen als vielmehr die großen Hochspannungsleitungen machen der schönen Landschaft einen erheblichen Abbruch. Für mich stellt sich währenddessen ich den Paso Pehuenche hochfahre jedoch die Frage: Wie wollen wir unseren hohen Strombedarf decken? Windräder sind nicht erwünscht, Wasserkraftwerke sind nicht erwünscht, große Hochapsnungsleitungen sind nicht erwünscht, Kohle ist nicht erwünscht und Atomkraftwerk schon gar nicht. Aber alle wollen sie Laptobs, Fersehen, Smartphone, etc., etc, haben. Wie wollen wir in zukunft unseren Hunger an Elelktrizität sättigen? Oder sollten wir im Allgenmeinen einmal unseren Konsum überdenken? Können wir auch mit weniger? Meiner Meinung wäre es schön, wenn sich Städte, Dörfer bzw. Häuser in Zukunft autark mit Strom versorgen könnten. Technisch müsste das möglich sein bzw. sollte dahingehend weitere Forschung betrieben werden.
Landschaftlich zeigt uns Chile zum Schluss noch einmal alles, was es zu bieten hat. Ich lasse einmal wieder die Bilder sprechen. Auch wenn uns der Pass viel Kraft gekostet hat, so wird mir bewusst, dass ich diese Energie selbst aufgewendet habe. Keine Hochspannungsleitung, kein Atomkraftwerk, kein Stausee war dafür nötig. Es bedarf nur dem eigenen Wille einen anderen Weg zu gehen, auch wenn er von außen betrachtet nicht der einfachste zu sein scheint. Die Belohnung gibt es währenddessen oder im Nachhinein.
Windige Böen saußen uns um die Ohren. Eine drückende Hitze herrscht auf der Straße, die von Bergen rechts und links umgeben ist. Kaum ein Baum schafft es in der trockenden Gegend zu überleben. Wir sind wieder in Argentinien und fahren eine 40 km lange Abfahrt herab bis zum Zoll. Immer wieder erfassen uns windige Böen. Am Zoll angekommen sind die Zollangelegenheiten dann schnell erledigt - Reiseradler können das Zollprozedere oft schneller erledigen. Meist ohne Gepäckkontrollen. Gleich neben der Zollstation ist ein kostenloser Campingplatz - auch das ist Argentinien! Ich versuche mein Zelt aufzuschlagen, doch der Wind erschwert mir dieses. Einmal bin ich unaufmerksam und schon ist das Zelt 5 Meter neben dem ursprünglichen Ort. " Ich vermisse Chile", ruft mir Jo entgegen als er eine Stunde später am Campingplatz ankommt ( er ahtte sich mehr Zeit genommen). Die karge Landschaft, die Hitze und der Wind zerren schon früh an den Nerven. Hinzu kommt, dass die dünne Besiedlung den Konsum frischer und regelmäßiger Nahrung und Getränke erschwert. Als wir am nächsten Nachmittag im kleinen Dorf Barda Blancas ankommen sind fast alle "Läden" geschlossen - Siesta. Mit Glück finden wir ein kleines Restaurant zur Nahrungsaufnahme. Glück haben wir auch, als wir sehen,dass der "große Fluss" (Rio Grande) Wasser hat. Viele Flüsse sind um dies Jahreszeit in den Weiten der Pampa ausgetrocknet. Einee Abkühlung tut immer gut.
Am nächsten Tag beginnt jedoch eine Pechsträne, die Jo an den Rand der Verzweiflung bringen wird.Eigentlich fängt diese schon am Abend zuvor an. Von Weitem sieht er gut aus, als wir doch über den Zaun unsere Fahrräder haben und durch die mit Dornen bespickte Landschaft schieben, finden wir ein Campingort vor, der voll mit Scherben ist. Doch nach dem Aufwand gibt es kein zurück mehr und so campen wir an einem PLatz ohne Wasser, mit viel Scherben und Dornen und ohne Sonnenschutz. Als am Tag darauf auch noch Jo´s Flip Flops kaputt gehen ist die Stimmung nicht die Beste. Mit starkem Wind und heißer Luft erreichen wir schon am Nachmittag die Kleinsadt Malargue - vor fast 5 Monaten Ausgangspunkt meiner "ruta 40"-Fahrt in den Süden. Jedoch haben wir mal wieder Pech mit der Zeit. Es ist Samstag 13 Uhr. Bis 17.00 Uhr haben alle Geschäfte geschlossen. Und selbst nach dem Öffnen einiger Geschäfte können wir nur ein Bruchteil unserer notwendigen Erledigungen machen. Und morgen ist Sonntag. Jo kann sein Geld nicht wechseln ( wir haben keinen Pesos übrig), ich mein Fahrrad nicht reparieren, wir können keine neue Sim-Karte kaufen und haben kein Internet. Als es am Campingplatz dann auch noch laut, ind er Nacht die Musik aufgedreht wird und einer nachts neben uns laut Fußball hört, vergeht jegliches an diesem Tag nicht vorhandene Lächeln bei Jo. Ich merke, dass er an diesem Tag innerlich kochte. Nach der sehr unruhigen Nacht jedoch kocht es bei Jo am nächsten Tag über. Nachdem ich von der mit Internet ausgestatteten Tankstelle zurückkomme, ist Jo´s Zelt nicht mehr zu sehen. Als ich mein Zelt öffne, liegt ein Zettel darin: "Ich bin im Hostel Kathmandu". Er braucht ein Ort der Ruhe, ein Bett und Internet.
3 Tage verbringen wir in der ruhigen Stadt Malargüe. Ich mache neue Bekanntschaften und treffe alte, wie Eva, die mir nach meiner Odysee durch die sandige Gegend um das Dorf "Agua Escondida" geholfen hatte. Ich liebe diesen verschlafenen Ort. Ein Ort zum Abschalten! Wenn man nicht gerade Samstag nachmittag ankommt und am Abend diesen Tages auf dem Campingplatz verweilt. Alsd wir diese Stadt verlassen nat auch Jo seinen Frieden mit ihr geschlossen.
Doch jetzt geht es wieder in die Pampa! und ich habe noch 2000 km bis an die Grenze zu Bolivien. Es wird heiß werden!
Als wir Malargüe verlassen wissen wir, dass wir von nun an erst einmal folgendes vor uns haben. Gerade, weite Strecken. Es ist schwierig zu beschreiben, was diese lange Strecken mit einem machen. Während Jo noch nebenbei podcasts hört, bin ich der Laune der Natur mit all meinen Sinnen ausgeliefert. Und da die Natur nur wenig Spannendes auf diesen Strecken für einen bereit hält, ist die einzige Motivation, die mich in die Pedale treten lassen die sportliche Ambition sich seinem Geist und Körper diesen Gegebenheiten auszusetzen. Freude kommt dann am Abend auf, wenn man sich in sein Zelt verkriecht. Am Morgen kann die Freude jedoch schnell vorbei sein, überall lauern Gefahren....in Form von Dornen. Diese Dornen sind kein Kindergeburtstag: sie durchstechen alles. Vom Zelt, über die Matraze, bis hin zu den Schuhen und den Reifen. So stellt sich jeden Morgen die Frage: "Odin, bist du sauer auf uns oder auf unserer Seite?" So stellt es sich ein, dass wir jeden Morgen als erstes unsere Fahrradreifen prüfen. Der erste Morgen scheint für uns beide gut zu laufen. Danke, Odin! Doch nachdem wir keine 100 Meter nach unserem Schlafplatz ein kleines Fotoshooting machen, merke ich, dass ich einen Platten habe. Der Tag beginnt ja schon einmal gut. Habe ich Odin verärgert? Ein leichter Wind hilft uns jedoch am Morgen voranzukommen. Hat sich Odin wohl nur einen kleinen Scherz mit mir erlaubt. Doch der Wind dreht sich tagsüber und mir wird bewusst, dass ich Odin etwas opfern muss. Am nächsten Morgen ist es dann soweit. Ich opfere ihm ein paar Tropfen Wasser. "Freddy, nein! Wir brauchen das Wasser!", ruft mir Jo mit einem Schmunzeln hinzu. Wir sind auf einer längeren Strecke ohne Wasserzugang unterwegs, doch ich weiß, was ich tue. Ich schütte ein bisschen Wasser aus meiner Flasche auf den Boden. "Das ist für dich Odin!" Ich hiefe mein Fahrrad über die Dornen und stelle es neben der Straße ab. Dann folgen meine anderen 6 Taschen. Nachdem ich mein Fahrrad gesattelt habe, warte ich beim nächsten Baum auf Jo. Als er jedoch ankommt, kann ich an seiner Miene die schlechte Laune erkennen: Heute hat er einen Platten! Als er zu flicken beginnt, stellt sich heraus, dass es mehrer Löcher sind. " Wann hast du Odin das letzte Mal etwas geopfert?", frage ich Jo. " Ich habe dich gewarnt! Entzürne nicht Odin!" Gesenkten Blickes beginnt Jo seinen Mantel zu flicken: " Das nächste Mal werde ich direkt neben der Straße zelten. Keinen unnötigen Meter mehr weiter weg von der Straße campen!", teilt er mir kochend mit. Doch meine Wasseropferung sollte sich auszahlen. Heute ist es nicht nur eine leichte Morgenbriese, sondern ein ordentlicher Wind, der uns unterstützt. Ich stelle auf Sportmodus um: Mit einer Durschnittsgeschwindigkeit von 32 km/h lege ich ein Tempo vor und bin dann schon nach 2,5 Stunden im nächsten Ort. Ich setzte mich unter einem Baum, hole mir frisches Wasser aus einem Wasserhahn im Park und warte auf Jo.
Was verändert sich in mir, wenn ich den Launen der Natur und oder der Landschaft ausgesetzt bin. Vor allem der starke Wind hat mich schon früh dazu getrieben mit diesem zu reden. Bei Rückenwind wurde er gelobt, bei Gegenwind verflucht. Angelehnt an die Serien "The Vikings" und "The Last Kingdom", kam dann mit Jo ein Gott ins Spiel: Odin. Dieser hilft nicht nur dabei, einen Ansprechpartner für all seine Launen zu haben, sondern bringt auch ein bisschen Spaß in die Reise. Wie sich zeigen wird, sollte sich Odin seine gute Laune für unsere letzte gemeinsame Woche aufgehoben haben. Danach werden Jo und ich, wie geplant, wieder getrennte Wege gehen.
"Hier in Argentinien musst auf die Menschen zugehen. Dann werden sie dir helfen und sehr freundlich sein.", sage ich Jo als ich am Abend bei einem alten Mann nachfrage, ob wir auf seinem Acker unser Zelt aufschlagen können. Dieser verweist uns auf einen gratis Campingplartz, der am Anfang des Dorfes liegt. Wir fahren also wieder zurück, fragen weitere 2 Personen als wir schlussendlich vor dem verschlossenen Park stehen. "Dort drüben im rosa Haus wohnt ein Mann, der für den Park verantwortlich ist und einen Schlüssel hat.", teilt uns eine ältere Dame mit. So fahren wir auf die gegenüberliegende Straßenseite und klingeln am Haus. Erst tut sich gar nichts, doch dann öffnet tatsächlich ein etwa Mitte 60 Jahre alter Mann das Haus und die Gartentür. Er lächelt und begrüßt uns freundlich. "Haben sie einen Schlüssel für den Park", fragen wir diesen nach kurzer Begrüßung. Jetzt ist es wie so oft hier in Südamerika. Die Menschen antworten ohne groß ihr Tempo oder ihre Aussprache zu ändern. Wir haben nun die Aufgabe aus den Wörtern, die wir verstehen, uns einen Sinn daraus zu reimen. Ich verstehe: Sohn, Telefon, kommt später, kommt doch rein. So setzen wir uns an den Tisch eines herzensguten Menschen: Rafael. Es sind diese Momente, weshalb ich eine Fahrradtour mache, aber um die Momente aufblühen zu lassen, bedarf es Fingerspitzengefühl und Geduld. Denn wir sind müde und wollen eigentlich nur eines. Ab in unser Zelt. Noch wissen wir nicht genau, was Sache ist. Wie lange müssen wir warten? Wer hat den Schlüssel? Hat er seinen Sohn erreicht? Hat der Sohn den Schlüssel? Doch ich weiß, dass diese Fragen erst einmal sekundär sind. Das Bedürfnis zu schlafen muss ausgeblendet werden, denn hier steckt eine Hauptmotivation meiner Fahrradreise: Der Austausch mit dem einfachen Manne/ der einfach Frau. ( Gerne würde ich mich auch mit dem "gehobene Manne"/"gehobener Frau" austauschen, doch versteckten sich diese meist hinter ihren Villen und teuren Autos). So sitzen wir da und lauschen unter Weinreben den Geschichten Rafaels: Vom Anbau des Weinbaus, der Region Cuyo, Veränderung in der Arbeitswelt, seiner afrikanischen Herkunft, seiner Familie (inklusive den Verlust eines Sohnes). Selten versteht man alles, doch um den Redefluss nicht zu stören will ich nicht ständig nachfragen. Jedoch muss man aufpassen, denn es können sich auch immer wieder Fragen des Gegenübers einschleichen. Wenn die Stimme nach oben geht, sollte man aufmerksam sein. Irgendwann wird der Mate herumgereicht. Leider immer mit einem Löffel Zucker. Kekse werden herbei geholt. Der Schlaf muss warten. Irgendwann fragt mich Jo: "Freddy, was ist jetzt eigentlich Sache?" "Ich glaube, wir warten auf den Sohn, der den Schlüssel hat. Ich weiß jetzt nur nicht, ob er ihn nicht erreicht hat und wir einfach warten bis er nach Hause kommt oder ob er ihn erreicht hat und er einfach irgendwann nach Hause kommt. Jedenfalls hei0t es für uns nur eines: Warten. Es wird dunkel, die Augen müder und auch das Gehirn braucht nach fast 2 Stunden Spanisch eine Pause. Gegen 22 Uhr kommt dann auch David nach Hause. Wir verlassen das Haus mit einem Kilo Trauben, einer Flasche Wein und gegrilltem Fleisch. "Vielen Dank! Wir kommen morgen wieder vorbei", verabschieden uns von Rafael, Frau und 96 Jähriger Schwiegermutter. David begleitet uns zum Park, öffnet diesen für uns, zeigt uns die Duschen. Auch er hat stets ein gutmütiges Lächeln im Gesicht. Für uns endet der Abend mit Fleisch, einer Flasche Wein und Trauben zum Nachtisch.
Der Morgen beginnt wieder wie gewohnt: mein Mäntel flicken. Und zwar für beide! Danach suchen wir wieder Rafaels Haus auf, setzten uns unter die Weinreben, trinken Mate, essen Kekse, lauschen den Geschichten, fragen und erzählen selber. Wir verlassen das Haus und nehmen die Gaben Rafaels dankend auf: Gutmütigkeit, Gastfreundschaft, informationen, Erfahrung, Herzlichkeit, Freude, einer CD mit Folklore für jeden von uns und 2 Kilo Trauben. Am Abend sind wir in der kleinen Finca bei Marisol (Bericht) eingeladen. Hier werden wir 2 entspannte Tage verbringen und auch dieses Haus - bis auf die Cds und den Trauben- mit den oben genannten Gaben verlassen. Und dann passiert etwas, was ich schon lange nicht mehr erlebt habe: angenehmes Fahrradfahren.
Von Weinreben umgeben fahren wir Richtung Upsallata. Auf den flachen Straßen sind nur vereinzelt Autos unterwegs, es geht kein Wind, es ist grün um uns herum. Ich genieße seint langem mal wieder das Fahrrad fahren an sich. Es ist entspannt und auch der Campingort unter Bäumen und an einem kleinen, sauberen Kanal gelegen, rundet den schönen Tag gekonnt ab.
Am nächsten Tag machen wir uns auf die Reise unserer letzten 2 gemeinsamen Tage. Wir bekommen noch einmal alles, für das Argentinien für mich steht: atemberaubende Lanschaften, starker Wind, trockene und wilde Gegenden, heiße Tage und kalte Nächte. am 7. März heißt es dann Abschied nehmen von einem Reisegefährten, Weltenentdecker und Freund. Wir umarmen uns kräftig, dann fährt Jo dem Andenpass "Libertadores" gen Chile entgegen. Ich drehe um. "Argentinien. Von dir gilt es noch nicht Abschied zu nehmen!
Jo verschwindet in den Bergen der Anden und ich bin von nun an wieder alleine unterwegs. Es schleicht sich sowohl das Gefühl von Wehmut als auch das Gefühl von Aufbruch ein. Zwar fehlt mir nun mein Freund und Partner und damit Gewohnheit, Unterstützung und Gemeinschaft, dafür erhalte ich jedoch einen neuen Reiseimpuls und die großtmögliche Freiheit. Somit werfe ich mich wieder positiven Mutes auf mein Rad und fahre auf der verlassenen Straße gen Bareal am Fuße der Cordillera.
Es ist wie so oft eine trockene und karge Gegend. Kaum Bäume sind zu sehen, die Sonne prallt auf meinen Körper. Als sich nach 30 Kilometer der Straßenzustand ändert, entscheide ich mich schon nach 35km an einer "Diffunta Correa" mein Zelt aufzuschlagen. Bareal ist für mich am heutigen Tage unnerreichbar, das Wetter zu heiß, keine Wasserquelle verfügbar und die Straßen sind schlecht.
Eine große Ruhe kehrt in mir ein. Mein Zelt am Fuße der Cordillera, eine nur wenig befahrene Straße, eine Sonne, die vor allem am Abend eine einzigartige Stimung hervorruft und ein paar Bäume, die Schatten spenden. Ich bediene mich bei den von der Sonne warm gewordenen Wasserflaschen der Diffunta Corea und gönnen mir eine warme Dusche. Kurz nachdem ich mein Zelt aufbaue hält ein Auto an. Wenig später kommt ein Mann auf mich zu. Er ist um die 50 Jahre. Er scheint in seinem Leben immer gut was zu Essen gehabt zu haben. Sein Händedruck ist fest als wir uns begrüßen. Wie so oft bei den Gesprächen geht es um meine Fahrradreise, die argentinische Poltik und das Land Deutschland. Ich habe mich an die vorherige Ruhe hier gewöhnt und bin dann auch froh als ein weiteres Auto ankommt, das des guten Herrns Auto abschleppt. Ich bin wieder alleine. Dann düsen 2 Fahrradreisende vorbei. Sie winken kurz, keine 2 Minuten später sind sie am Horizont verschwunden. Danach folgt die Abendroutine: kochen, essen, waschen, Zähne putzen, Podcast hören, schlafen legen.
In der frühen Nacht weckt mich Donnergeräusch und Blitzlichter. Es ist schon recht frisch geworden als ich aus dem Zelt steige und mir am Horizont das Treiben der begutachte. Das Gewitter ist weit entfernt. Ich lege mich wieder schlafen. Doch schon am frühen Morgen weckt mich der Wind immer wieder. Er rüttelt und schüttelt am Zelt. Als ich aus dem Zelt steige bin ich überrascht. Der Wind ist eisig kalt. Schnell verkrieche ich mich wieder in meinem Schlafsack. Das Frühstück kann warten.
Irgenwann muss ich dann doch heraus. Nach dem heißen Tag gestern, darf ich heute meine Winterklamotten herausholen. In der Bergkette hängen die dunkellbauen Regenwolken. Mir wird mal wieder bewusst, wie schnell sich in den Bergendas Wetter ändern kann. Meine Gedanken sind bei Jo. Ich stelle mir vor, wir er das Fahrrad über den mehr als 4200 Meter hohen, nicht geteerten Pass der Cordillera schiebt. Das Geräusch von Fahrrädern unterbrechen meine Gedanken. Schon wieder fahren 2 Reiseradler an mir vorbei.
Keine Stunde später fahre ich gemeinsem mit diesen 2 Fahrradreisenden über die holprige Schotterpiste am Fuße der Anden. Es sind Pablo (30) und Lucas (27) mit denen ich gemeinsam den eisigen Wind im Rücken gen Bareal fahre. Wie so viele Südamerikaner sind auch diese nach europäischem Standart alles andere als gut ausgerüstet. Aber ich bewundere die Menschen, die sich ohne viel Geld bzw. guter Ausrüstung in die Freiheit des Reisens stürzen. Pablo, Elektriker, ist mit 5 Euro von zu Hause losgezogen, um sich in die Händer der Abenteuer des Reisens zu begeben. Seine Reisekasse liegt nach fast 2 Jahren mittlerweile bei 100 Euro. Er ist sehr zufrieden. Mit nur 100 Euro in der Tasche würden sich die meisten Menschen aus Europa nicht mal auf eine mehrtägige Fahrradtour in Deutschland begeben. Der Mut dieser Menschen sich in die Welt der Freiheit zu begeben ohne die (westlichen) Sicherheiten zu genießen, beeindruckt mich nachhaltig. Vieles ist immer eine Sache der Perspektive: Mein Budget von 10 Euro am Tag, ist aus west-europäischer Sicht nicht viel, mein Reisestandart gering. Aus südamerikanischer Sicht gehöre ich jedoch zu der gehobeneren Klasse. 10 Euro am Tag haben die wenigsten Reiseradler aus Südamerika zur Verfügung.
Die Quittung der schlechten Ausrüstung lässt aber nicht lange auf sich warten. Erst erwischt es Pablo mit einem Platten, dann kurze Zeit danach Lucas. Der eisige Wind lässt das Flicken zur unangenehmen Arbeit werden. Doch auch das zeichnet diese beiden Reisegefährten aus: während Pablo das Fahrrad flickt, holt Lucas seine Thermoskane heraus und serviert Mate. Gleiches passiert später in umgekehrter Form. So wird auch aus dieser ungemütlichen Situation, eine Moment, in dem Wärme ausgestrahlt wird und er zusammenschweißt. Lucas, Pablo und ich werden zu Freunden. Es folgen 2 Tage, in denen ich wieder dieses schlne Gefühl des freiheitlichen Reisens kennenlerne:
Auf einem Campingplatz niederlassend, verweilen wir zusammen mit einem Pärchen aus den Niederlanden 2 Tage. Feuer, Gitarrrenmusik, Austausch, Lachen und viel Herzlichkeit zeichnen diese Tage aus. Das Schöne an dieser Zeit zu fünft ( und später zu sechst) war: Jeder teilte mit jedem mit so einer großen Selbstverständlichkeit, die mich beeindruckte. Fred(Niederländer) reparierte das Fahrrad von Lucas und meines, ich spendierte am ersten Abend das gegrillte Hühnchen und das Frühstück, Caro (Niederländerin) brachte eine Weinflasche nach anderen, Lucas teilte seine Stimme, sein musikalisches Talent, seine handwerklichen Fähigkeiten und sammelte Stunden Holz, Pablo reparierte mein Zelt, spielte Gitarre und spendierte das zweite Abendessen. Dies alles lief so selbstverständlich und mit so einer großen Herzlichkeit ab, dass mir wieder einmal zeigt wie gut der Mensch sein kann. Innerhalb von nur 2 Tagen wurden wir drei und dann fünf zu einem Team, das alles was es zur Verfügung hatte mit jedem anderen teilte. Und gemeinsam profitierten wir alle davon!
"Difunta Correa (die verstorbene Correa, eigentlich María Antonia Deolinda y Correa) (* 18. Jahrhundert oder 19. Jahrhundert; † 1841) war eine Frau, die 1841 auf der Suche nach ihrem Mann angeblich in der Wüste Argentiniens verdurstet ist. Ihr Kind jedoch war dank der Muttermilch nicht gestorben, es lag saugend an der Brust der toten Mutter". ( Die Difunta Correa gilt als Schutzheilige der Reisende. Im Bezug auf die Legende legen Reisende Wasserflaschen an den Gedenkorten, die überall in Argentinien verbreitet sind, ab, damit sie im Notfall von anderen konsumiert werden können. Leider werden nach dem Komsum die leeren Wasserflaschen oft einfach am Ort hinterlassen, was zu einer Plastikverschmutzung führt.)
Die Gemeinschaft verlassend, überkommt mich eine große Einsamkeit, die ich aber genieße. Inmitten von Felsgiganten lebe ich die Freiheit Herr über jegliche Entscheidung zu sein. Ich habe keinerlei äußeren menschlichen Zwänge, die mich in eine bestimmte Entscheidungsrichtung dränge. Dieses Gefühl atme ich bewusst Tag für Tag ein, mit der Gewissheit, dass dies im Alltagsleben zu Hause ein Ende nehmen wird. Nicht in allen, aber doch in vielen Entscheidungen wird der Willen anderer mit in unsere Entscheidungsfindung einbezogen. So lasse ich jeden Morgen meinen Körper selbst entscheiden, wann er genug Schlaf hat.
Was mir jedoch so langsam fehlt ist das Grün. Der Duft von Blumen und Bäumen. Saftige und weiche Wiesen. Wälder, die Schatten und frische Luft spenden. Dies alles vermisse ich so langsam, denn die immerzu karge Landschaft mit wenigen Bächen, Flüssen, dafür aber jeglichen Gesteinsformen wirkt auf Dauer ermüdent. Und das nicht nur auf Grund der härteren äußeren Bedingungen (wenig Wasser, harter Boden, starker Wind, etc.), sondern auch die Reiseseele wünscht sich eine Veränderung. Die kommt dann zumindest in Form von Gesteinsveränderungen. Canyonartige Landschaften prägen nun immer stärker das Lanschaftsbild. Doch auch hier fühlt sich die Landschaft an wie trockenes Brot. Dafür aber trockenes Brot in seinen schönsten Formen.
Abends stellt sich meist ein stolzes und befriedigendes Gefühl ein. Man weiß, dass man wieder eine Strecke durch die eigene Muskelkraft bewältigt hat. Meist ist die Strecke auch landschaftlich interessant. Man hat schöne Bilder und oder interessante Geschichten. Doch die letzten Abend waren eher etwas ungemütlich. Es sind die Ameisen, die mir die romantische Abendstimmung vermiesen. Beim Zeltaufbauen verhalten sie sich meist noch passiv. Man denkt, dass man einige Meter entfernt von den Löchern der Ameisen sicher sei. Doch schon beim Essen vorbereiten krabbeln sie aus allen Richtungen auf die "Küche" zu. Barfuß auf einem Stein sitzend, nehme ich anfangs jedes Kommen und Gehen über meinen Fuß war. Ich lasse Essensreste liegen, verschiebe den Stein und setze mich an andere Stelle hin. Es dauert nicht lange, dann komen die kleinen Quälgeister zu Hunderten wieder an. Bei der kargen Landschaft muss es sich für die Krabbeltiere wie Ostern, Weihnachten und Geburtstag zusammen anfühlen. Saftige Tomaten-, Gurken-, oder Reisstückchen geben wohl mehr her als die hier immer stärker vertretenen Kakteen. Das interessante an der Ameisenplage ist: So störend sie auch an den ersten Tagen waren, und so nervig sie auch an weiteren Tagen waren. Der Körper gewöhnt sich daran. Irgendwann nehme ich, die über meinen Fuß laufenden Ameisen gar nicht mehr war. Zwischen meinen Zehen und den Vorderfuß laufend, bahnt sich eine Ameise nach anderen ihre Weg zu den Essensresten rund um meinen Kocher. In innere Ruhe verharrend, löffele ich im gemächlichen Tempo meinen Eintopf, meinen Reis oder meinen Salat aus. Die Ameisen werden Teil der abendlichen Essensroutine. Sie gehören zu dieser staubigen und trockenen Landschaft dazu. Sind Teil von ihr und vervollständigen das Gesamtbild. Ein Bild, dass man nur erkennen kann, wenn man hineinbegibt in die Landschaft und ihre Widrigkeiten. Ein Foto an einem der vielen Aussichtspunkte reicht nicht aus, um diese Landschaft in ihre Gesamheit zu verstehen.
Die Reiseseele wartete derweil weiterhin auf ein saftiges und frisches Grün, welches auch die Reiseseele erfrischt.
"Man muss sich ja auch mal was gönnen"
Es ist ein Satz, den ich immer mal wieder zu hören bekomme. Bezogen wird er auf meine einfache Lebensweise, die fern des hohen Lebensstandarts liegt. Auch wenn ich diese gut gemeinten Ratschläge nachvollziehen kann, gehen sie an (meiner) Realität vorbei. Denn die Gretchenfrage ist: Was heißt " sich etwas gönnen"?
Bewertet man meinen Reisestil mit Hilfe des Lebensstandarts in Deutschland und den damit verbundenen klassischen Gönnerstatus/-möglichkeiten, wird man schnell zu dem Schluss kommen, dass ich mir tatsächlich kaum etwas gönne. Ich gönnen mir (im Normalfal) weder ein schönes Hotel, noch ein gutes Restaurant, noch ein Thermalbadbesuch mit anschließender Massage oder eine Shoppingtag in einer der weitverbreiteten Schoppingzentren der Welt. Doch diese Sichtweise greift viel zu kurz. Denn meine Bedürfnisse sprechen diese Gönnermöglichkeiten kaum an. Denn meinen Bedürfnissen nach bedeutet "sich etwas gönnen" etwas komplett anderes.
Zuerst einmal "gönne" ich mir es ein volles Jahr nicht zu arbeiten und reisen zu gehen. Das ist ein großes Privileg, das mehr als 90% der Weltbevölkerung nicht haben bzw. nicht in dieser "Luxusform" bzw. mit diesen Sicherheiten. Aufgrund der Tatsache, dass ich ein volles Jahr nicht arbeite, sind natürlich gewisse, wie oben genannte, "Gönnermöglichkeiten" finanziell nicht durchführbar. Im Übrigen habe ich mir das "Reisegeld",um mir diesen Gönnerstatus finanziell zu leisten, während des Referendariats (~1300 Euro pro Monat) sparsam bei Seite gelegt und das, obwohl hier schon viele am Klagen sind, dass ihnen dieses Geld kaum reicht. EIn Jahr die vollkomende Freiheit zu besitzen und finanziell weitesgehend abgesichert zu sein. Das ist für mich etwas gönnen.
Des Weiteren gibt mir das Leben in der Natur und im Zelt mehr, als das Schlafen in einem schönen netten Hotel Natürlich ist das von Person zu Person veschieden, aber sich nachts den Sternenhimmel anzuschauen, sich frisches Wasser aus dem Fluss zu nehmen oder die letzten Sonnenstrahlen am Abend auf sein Gemüt wirken zu lassen, gibt mir mehr als der wohl softere Schlaf in einem Bett, aber umgeben von 4 Wänden.
Darüber hinaus gebe ich meinem Körper das, für das er evolutionstheoretisch gebaut wurde: sich zu bewegen. Wir zahlen Geld in Europa, um unseren Schreibtischjob im Fitnessstudio einigermaßen ins Gleichgweicht zu bringen. Ich tue dies im freien, während ich riesige Gebirgsketten, reißende Flüsse, die letzten Gletscher oder aber auch die Weiten der Pampa betrachte. Diese Reiseform führt auch automatisch zu einem körperlichen und geisitigem Erfahrungsschatz, den kein Geld der Welt kaufen kann.
Es ist ein intensives, ja auch oft hartes Leben, welches das Reiseradlerleben prägt. Das das am eigenen Leibe spürende Leben und die tägliche Herausforderungen und Begegnungen führen nicht nur zum "Leben lebendig gestalten", sondern eben auch zu einem damit verbunden Glücksgefühl. Das Leben bekommt eine Intensität, sie so gehaltvoll und ereignisreich ist, dass ich über zwei Wochen auf dem Fahrrad mehr erzählen kann und körperlich/geistig verinerlicht habe, als in einem Jahr in unserem gewohnten Berufsalltag. Diese lebendige Leben gönne ich mir.
Bevor ich noch zu meiner größten "Gönnertätigkeit" komme, ist auch noch zu erwähnen, dass mir der einfache Mensch, das Einfache an sich mehr gibt als das gehobenere. Nicht nur des Geldes wegen, sondern vor allem auch aufgrund der engeren menschlichen Beziehung, habe ich es z.B. fast immer bevorzugt zum einfachen Manne/zur einfachen Frau zu gehen. Bei einer Mutter von 4 Kindern, die ihre kleine Suppenküche in Asien hat oder ein alter Rentner, der sich als Straßenverkäufer sein Überleben in Chile sichert, kann sehr schnell eine menschliche Beziehung und Austausch stattfinden, der über das übliche "Geld-Ware" Tauschgeschäft hinausgeht. Man erfährt Lebensgeschichten und teilt eigene mit. Sicherlich kann man diese auch in einem 5 Sterne-Restaurant machen, jedoch geht es hier (meinen Erfahrungen in teureren Restaurants nach) mehr um ein Geld-Ware Geschäft. Während ich mich in letzteren auch auf gewisse Verhaltensnormen achten muss, kann ich bei den einfachen Plätzen Freddy sein. Mit verschmutzter kurzer Hose, schweißtreibend auf einem Plastikstuhl sitzend, gönne ich mir gemütlich meine Fleischsuppe.Hinzukommt hierbei auch noch, dass ich ein absolutes schlechtes Gewissen habe, wenn ich gerade mein 30 Euro Steak esse, während ich am selben Tag noch einen Obdachlosen auf der Straße gesehen habe, an dem Menschen einfach nichtsbeachtend vorbeigelaufen sind. Die menschliche Beziehung bedeutet für mich mehr Gönnerstatus als das bessere Fleischstück (das in diesem Fall allerdings wirklich vorzüglich war).
Doch nach meinen derzeitigen Bedürfnissen erhalte den größtmöglichen Gönnerstatus, wenn ich die größtmögliche Freheit besitze. Wie auch schon in anderen Artikeln erwähnt, erhalte ich diese grotmögliche Freiheit herumreisend auf meinem Fahrrad. Zuerst einmal bin ich nicht, wie bei anderen Reiseformen, auf andere Verkehrsmittel angewiesen. Ich "muss" nicht auf den Bus, Zug oder zum Termin der Mitfahrgelegenheit. Ich kann auf mein Fahrrad steigen, wann und solange Ich will. Ich kann anhalten wo ich will und meinen Reiseweg täglich selbst entscheiden. Daraus folgt automatisch auch, dass ich meinen Körper selbst entscheiden lassen kann, wann er aufstehen will. Auch diese Freiheit ist, zumindest in der Theorie, bei Reiseradeln jederzeit vorhanden. Des weiteren kann ich meinen Schlafplatz frei auswählen: Während andere kurz anhalten, um ein Foto einer schönen Naturlandschaft zu machen, erlebe ich diese und habe die Freiheit auch jederzeit in ihr zu übernachten. Ich mache nicht nur ein Foto von einem Fluss und muss dann weiter, sondern trinke und bade in ihm bevor ich mein Zelt neben ihm aufschlage. Ich habe die Freiheit, dies jederzeit zu tun ohne, dass es den Zwängen einer Person oder eines Zeitplans untergeordnet werden muss. Auch im eigentlichen Sinne bin ich frei: ich sitze weder in einem Auto noch in einem Bus, sondern habe den Kopf frei, um die Umgebung mit alen Sinnen wahrzunehmen. Eine Freiheit, die nur beim Gehen erhöht werden kann. Mir dieses Freiheit für ein Jahr zu gönnen, das nenne ich einmal "mir etwas gönnen". Manch einer/eine wartet auf diesen Moment bis zu seiner/ihrer Rente. Das ist also Luxus pur, den ich mir gönne! Für diesen verzichte ich gerne auf andere Luxusformen! Das Gefühl frei zu sei, ist das höchste Gut, der höchste Gönnerstatus, den ich erreichen kann.
ich weise ausdrücklich darauf hin, dass dieser Artikel die Bedürfnisse anderer Menschen hinsichtlich des "Gönnens" nicht abwerten soll. Jede/r ist frei zu entscheiden, was sie/er sich gönnen will. Der Artikel soll lediglich aufzeigen, dass " sich etwas gönnen" nicht immer gleichbedeutend mit materiellen Dingen/teuren Aktivitäten sein muss. Daran anschließend soll er darauf hinweisen, dass es andere Wege des Gönnens gibt, die ohne großen finanziellen Aufwand begangen werden können. Zwar fordert dieser Weg Verzicht an einer Stelle, doch erwartet einem dafür einen Gönnerstatus an anderer Stelle, der mir weitaus wertvoller erscheint.
Graue Wolken hängen am Himmel und verdüstern das Bild der ewig langen, geraden Straße Richtung Guandacol. Doch der Wind schiebt mich an als würde er sich auch wünschen, dass ich so schnell wie möglich in der Hospedaje in Guandacol ankomme, um mir eine Nacht im Bett zu gönnen. Die letzen Tage und Nächte waren von großer körperlicher Anstrengung geprägt. Eine Nacht ohne Ameisen und Sand sollen der Motivation wieder Auftrieb geben. So zumindest der Plan! Doch wer mit dem Fahrrad reist, sollte nicht planen.
Das Schöne am Reisen ist, dass tagtäglich die Fantasie angeregt wird. Die Karte betrachtend stelt man sich Strecken, Tage, Dörfer, Städte, Landschaften vor, die man entdecken wird, doch sehr selten treffen diese Fantasien zu. Mal wird man positiv, mal negativ überrascht. Beeinflusst werden diese Fantasien bzw. Vorstellungen auch von Reiseeindrücke anderer. Wird eine Gegend lobenswert erwähnt, werden positive Erwartungen mit dieser assoziiert. Doch Reiseeindrücke anderer bzw. dessen Urteile sind trügerisch. Sie sind subjektiv und darüber hinaus oft Resultat einiger wenigen, kurzen gemachten Erfahrungen. So werden aus zwei netten, freundlichen Begegnugen in einem Dorf gleich eine gastfreundliches Dorfgemeinschaft. Auch wenn dieses Urteil u.U. zutreffen kann, darf man sich keinesfalls mit dieser Erwartung in eine zukünftige Situation begeben. Denn aus der "gastfreundlichen Dorfgemeinschaft" erwartet man, dass man hier nur nette Menschen antreffen wird. Passen die ersten Begegnugen nicht in die positive Erwartungen, wird man schnell enttäuscht. So ist es meist geschickter sich ohne jegliche Erwartungen in die Zukunft zu begeben. Einfach selbst seine eigenen Erfahrung machen. Sich überraschen und gleiten lassen
Trotzallem können positive Berichte bei der Auswahl helfen und bei der hospedaje "Las Jarillas" in Guandacol sollte die positiven Berichte wirklich zutreffen. Mit Ricardo, dem Betreiber der kleinen Herberge, traf ich einen Menschen, der mir wieder zeigte, was Mensch sein bedeutet.
Umgeben von Weinreben und, Pflanzen und Bäumen komme ich schon mittags in der Herberge von Ricardo an. Ricardo ist Mitte 60, ehemaliger Geographie Lehrer und bessert sich sein Lebensunterhalt durch die kleine Herberge am Fuße der Pre-Cordillera der Anden auf. Viel Zeit widmet er dem Wein und seinen politischen und philosophischen Schriften. Ob es das beidseitige Interesse an Philosophie und Politik ist oder einfach nur sein warmherziges, freundliches Auftreten: Wir verstehen uns sofort! Ihm geht es nicht darum, Geld durch seine kleine Herberge in einem Nebenhaus seines eigenen zu erwirtschaften, sondern schlicht darum sich den eigenen Unterhalt zu finanzieren. So ist der Preis für ein eigenes Zimmer mit Bad und großen allemeinen Esszimer und Küche mit 9 Euro sehr gering. "Am abend trinken wir einen Wein zusammen", verabschiedet sich Ricardo, nachdem er mir die Unterkunft gezeigt hat. Am Abend kommt er dann mit einer Flasche (biologischem, selbst hergestellten) Wein an, setzt sich an den Tisch und unterhaltet sich mit mir über Argentinien, Europa, Politik und Philosophie. Wie immer verstehe ich nur ein Bruchteil des Castellano, aber sein Wunsch nach einem starken, einigem Südamerika (ähnlich dem Gedanken der EU) sind deutlich herauszuhören. Ich merke, dass ich mich mit Ricardo gerne länger, ausführlicher und fundierter unterhalten würde. Aber meine Castellano-Kentnisse reichen nicht aus und ich will am nächsten Morgen wieder weiter. So verabschiede ich mich am Abend von Ricardo mit der Bitte, doch morgen noch seinen Weinkeller betrachten zu dürfen.
Doch in der Nacht merke ich, dass etwas mit mir nicht stimmt (aus persönlichen Gründen wird auf die Ursache verzichtet). Mir wird klar, dass ich morgen nicht weiterfahren kann. Als mir gegen 11 Uhr morgens Ricardo entgegenkommt, umarmt er mich freundlich und erkundigt sich nach meinem Befinden. "Ich kann aus gesundheitlichen Gründen nicht weiterfahren: Kann ich noch länger hier bleiben? Was dann geschieht, vergegenwärtig mir wieder, warum meine Homepage den Gedanken " Vom Guten im Menschen" aufgreift:
Ricardo organisiert nicht nur einen Arzttermin und fährt mich zum Arzt, sondern stellt jegliche finanzielle Verpflichtungen für die kommenden Tage in den Hintergrund. Da ich just zu diesem Zeitpunkt kein Geld zur Verfügung habe und auch kein Geld am örtlichen Automaten abheben kann, kann ich nämlich die Unterkunft nicht bezahlen. "Erhole dich solange du willst hier ud zahle, wann und was du zahlen kannst. Am Wichtigsten ist mir deine Gesundheit!", gibt er mir für die nächsten Tage auf den Ruheweg. Doch hier hört seine Nächstenliebe nicht auf: Er fährt mich in ein 60k entferntes, größeres Dorf, damit ich Geld abheben und meine Medikamente holen kann und schenkt mir eine Nacht gratis, obwohl ich diese mehrfach zahlen wollte. Als ich nach 5 Tage wieder aufbreche, verlasse ich seine kleine Wohlfühloase mit einem Freund mehr, dem bestätigt werden des "Guten im Menschen" und einer Flasche biologischem Rotwein für die Fahrt.
Ich bin über die Begegnung mit Ricardo nicht nur aufgrund der positiven Erfahrung mit ihm glücklich, sondern auch weil sie meine These von der Gutmütigkeit und Nächstenliebe des einfachen Menschen bestätigt. Ich bezweifele, dass eine der großen Hotelketten, die den Menschen nur als kapitalbringendes Wesen betrachtet, mir von 5 Nächten ein Nacht gratis gegeben hätte, mich zum Arzt begletet hätte und mich zu einem 60km entfernten Dorf gefahren hätte, nur um mir und meiner Gesundheit zu helfen. Denn es fehlt die menschliche Nähe/Beziehung zwischen Besitzer und Gast. Dies lässt sich auf viele andere Bereiche der Wirtschaft übertragen. Fehlt die direkte menschliche Beziehung in einem Unternehmen, geht meiner Meinung nach auch immer ein stückweit Menschlichkeit verloren. Dass muss nicht immer der Fall sein (auch Großunternehmen kümmern sich sehr gut um ihre Mitarbeiter und Kleinunternehmer behandeln ihre Mitarbeiter schlecht)! Doch wird der Besitzer eines großen Unternehmes nicht die gleiche Nähe zu seinen Mitarbeiter aufbringen können, wie Kleinunternehmen. Die Streichung von 2000 Arbeitsplätzen ist für einen Besitzer eines großen Unternhemens zwar keine einfache Sache, aber sicherlich, in menschlicher Hinsicht, nicht so schwierig, wie für einen Besitzer eines Kleinunternehmes mit 5 Mitarbeiter/innen, einem Mitarbeiter aus finanziellen Gründen die Kündigung einzureichen. Ebenfalls hat der Besitzer und Vermieter eines Hauses eine engere menschlische Beziehung zu ihren Vermietern, als Großinvestoren von vielen Gebäudenkomplexen, deren einzige Intention es ist, Geld für sich arbeiten zu lassen. Diese Grundvorrausetzung hat wiederum Auswirkungen auf Probleme/Sorgen der Mieter oder Mieterhöhungen. Da große Unternehmen aufgrund ihrer Kaufkraft in vielen Bereichen kleinere Unternehmen aus dem Markt drängen, geht damit auch insgesamt ein Verlust menschlicher Nähe zwischen Besitzenden und Besitzten einher. Diese Entfremdung zwischen Menschen muss zwar nicht, kann aber zu Folgeproblemen führen.
Des Öfteren habe ich schon davon berichtet, dass ich in Gegenden, die sehr stark vom Tourismus gekennzeichnet sind, eher abstoßen. So habe ich große Touristenattraktionen wie den Perito Moreno Gletscher, den Torres del Paine Nationalpark oder auch El Chaltén ausgelassen. Sehr zum Entsetzen anderer: "You HAVE to visit it! It´s amazing!" Ganz davon zu schweigen, dass man nicht alles sehen bzw. gesehen haben muss, verkennen viele zwei Dinge:
Zum einen erfährt man als Reiseradler fast tagtäglich wunderbare Erlebnisse in der Natur. Man hat die Möglichkeit Landschaften zu begegnen, die zwar nicht auf jedem Instagramm Account anzutreffen sind, die aber oft sehr sehr schön sind. Ich habe also gar nicht das Bedürfnis, die Backpacker-Landschaftsattraktionen anzulaufen, da ich ihnen tagtaäglich begegne. Zum anderen verliert aber ein Ort seine Attraktivität, oder ich würde eher sagen ihren Zauber, wenn er von vielen Touristen umgeben ist, die ihre Handys zücken, Videos drehen und neue Instagramm Fotos schießen. Da ich mich darüber nicht beschweren kann, da ich selbst einer bin, blebibt mir nur die Möglichkeit neue, ruhige Orte zu finden, in denen man den Zauber der Umgebung wahrnehmen kann. Dies fällt von Jahr zu Jahr schwieriger, da die starke Vernetzung der Menschen und der ansteigende Bedarf (bzw. die Möglichkeit) zu reisen, in den letzten Jahren rasant gestiegen ist. Wie verhält es sich aber mit Orten wie z.B. Machu Picchu, die aufgrund ihrer Einzigartigkeit angeblich nicht zu ersetzen sind? Also ein "Have to go" - Ort sind.
Ich persönlich habe schon oben erwähnt, dass diese "Have to go" - Orte ihren Zauber aufgrund der Menge an Touristen schon längst verloren haben. Im Falle des Machu Picchu ist die Menge an Touristen sogar schon zur Bedrohung der archäologischen Stätte geworden. Ich möchte im Folgenden eine Alternative eines "Have to Go" - Ortes wie des des Machu Pichus am Beispiel der Inkastätte "Shincal" vorstellen.
Langzeitiges Planen beim Reisen ist nichts für mich. Doch die letzten Wochen bin ich den Gedanken nicht losgeworden, ob ich nicht die Inkastätte Machu Picchu besuchen sollte. Schließlich ist es mein Wunsch, Mensch und Natur kennenzulernen. Die Geschichte ist Teil dieses Landes und dazu gehört sicherlich auch das Inka-imperium, das im Westen Südamerikas weite Teile des Landes im 15. und 16. Jahrhundert beherrschte. Die Entscheidung ob ich nun die Inkastätte Machu Pichu besuchen sollte, wurde mir abgenommen, als ich zwei Tage bevor ich die Kleinstadt Belen erreichen sollte, von einer Inkastätte names Shincal erfahren sollte. Lass dich gleiten Freddy...Und so fahre ich mit meinem Fahrrad am 31. März in das Areal der alten Provinzhaupstadt der Inkas Shincal ein.
Shincal, im Nordosten Argentiniens gelegen, war eines der administrativen, politischen und zeremoniellen Zentren der Inkas in Argentinien. Die sakrale Gebäudestruktur, welche nach der Sonne ausgerichtet ist, wurde zwar nur von 800 Menschen bewohnt, jedoch kamen bei Festen, wie z.B. dem Sonnenfest am 21.06., bis zu 20.000 Menschen aus der ganzen Umgebung zusammen. Mit 4 weiteren Touristen und einer Expertin der archäologischen Stätte, darf ich in einer ein-Stündigen Führung darf ich durch sie sonst menschenleere Stätte die Macht dieses Ortes auf mich wirken lassen. Begleitend von den Erläuerungen der Expertin schweife ich ab, in die Welt der Inkas. Hier ein kleiner Einblick:
Ein alter Inkaweg:
Ähnlich wie auch im Römische Reich baute das Inkareich ein riesiges Straßenetzwerk auf, um ihre Machtzentren zu verbinden und Macht zu sichern. Dieses Straßensystem baute auf bereits bestehenden Straßenwege der vorinkaischen, einheimischen indigenen Kulturen auf und erreichte eine Gesamtlänge von 30.000 Kilometer. Über dieses Straßennetzwerk konnten die einzelnen lokalen Herrscher, welche entweder aus dem Inka-Kerngebiet um Cusco stammend, in die einzelnen Regionen geschickt oder aber aus diesen in Cusco "ausgebildet" wieder in ihre Heimatstätte entsandt wurden, Informationen innerhalb weniger Tage Tausende von Kilometer weit überbringen. Die Boten, Chaski genannt, würden mich auf dem Fahrrad um Tage unterbieten, wenn es darum gehen würde, eine Information von Shincal in das Machtzetrum nach Cusco zu überbingen. Auch wenn ich die heutigen Straßen benutzen könnte.
Kallanka
Lagerhalle, welches aber auch, je nach Bedarf, für administrative zwecke benutzt wurde.
Die Stufen zum Himmel
Diese Stufen wurden von den Inkas gebaut, um die 20 bis 25 Meter großen Hügel betreten zu können, auf dem eine Platform errichtet wurde, um zeremonielle Ereignisse abhalten zu können. Diese Platform war das sakrale Zentrum der Inkastätte, Ort astronomischer Untersuchungen und Verbindungsstätte mit Mond und Sonne.
"Der Norden ist der interessanteste und schönste Teil Argentiniens". Es sind diese Worte, die mir von Anfang an von Hugo, meinem ersten Host in Buenos Aires, mit auf dem Weg meiner Reise gegeben wurden. Dies liegt nicht nur an der Landschaft, sondern auch an den Menschen, die sich hier in einer Hinsicht grundlegend von den anderen Teilen Argentiniens unterscheiden: Die indigene Bevölkerung bzw. ihre Nachfahren sind hier augenscheinlich wesentlich stärker in der Bevölkerungszusammensetzung vertreten. Die bisherigen Städte und Dörfer wurden weitesgehend von europäischen Einwanderer der letzten Jahrhunderte geprägt. Deutsche, Italiener, Spanier, Schweizer. Die indigene Bevölkerung wurde weitestgehend vertrieben. Hier im Norden ändert sich dies. Gesichtsstrukturen, Hautfarbe und Körperstrukturen ändern sich. Man merkt die Einflüsse der bolivianischen Ureinwohner, die im Norden Argentiniens leben und ihre eigene Sprache, Quechua, sprechen oder auch der Guarani-Indigenen, dessen Sprache heute noch im Norden Argentiniens oder auch und vor allem noch in Paraguay gesprochen werden. Das Fremde, vor dem manche Menschen Angst haben, zieht mich an. Und so genieße ich es schon mehrer Hunderte Kilometer vor Salta immer mehr Menschen anzutreffen, die merklich "gemischtes Blut" in ihren Adern haben. Ob es mit ihrem ethnischen Hintergrund und der damit verbundenen Diskriminierung zu hat oder Zufall ist (von dem ich nicht ausgehe): der Norden wirkt ärmer. Die Behausung sind einfach gebaut, es gibt viele Straßenhändler, die für wenig Geld Essen, Trinken, Bekleidung oder Billigware aus China oder Bolivien verkaufen. Die Straßen sind lebendig, Menschen sind offen, gesprächsbereit und oft sehr freundlich. Nachdem ich zuvor überwiegend mit der Natur, ihren Widrigkeiten und Schönheiten konfrontiert wurde, darf ich nun endlich stärker in den Kontakt mit fremden Kulturen und ihren Verhaltensweisen treten.
So sitze ich mit gutem Gefühl auf meinem Esel den Norden Argentiniens, Bolivien und Lima fest im Blick. in 2 Monaten sollte ich in Lima sein. Dort will ich mich mit Conrado treffen, welcher mein Fahrrad und ein Teil meiner Ausrüstung übernehmen wird, um sich seinen Traum von der Fahrradreise um die Welt verwirklichen will. Das der Norden Argentiniens kein Geheimtip ist, merkt man an den merklich stärker verrtretenen Tourismus. Das liegt sicherlich auch daran, dass es hier günstiger ist als in den restlichen Landesteilen. Argentiniens Menschen, welche sehr reiselustig sind, aber aufgrund der wirtschaftliche Krise kaum Geld in der Tasche haben, zieht es zum Urlaub machen verstärkt in den Norden. Hier bekommt man ein Sandwich mit hochwertigem Fleisch, Ei, Schinken und Käse noch für einen Euro.
Die Gegend rund um Salta haucht mit den dringend benötigte frische Wind ein. Was könnte die gute Stimmung aus neuer Kultur, gutes, aber billiges Essen und schöne Landschaften noch drüben? Es ist mal wieder der Wind, der stark aufs Gemüt weht. In so einer Situation tut Unterstützung von Außen gut. Und wie es so beim Reisen ist, sollte diese auch schnell kommen: ich lerne die erfahrenen Weltreisende Mewes und Astrid kennen, die gerade das zweite Mal hier in Südamerika unterwegs sind. Ich höre mir gerne ihre Geschichten aus Jahrzehnte langer Fahrradreise Erfahrung an und lerne von ihnen wieder den Moment stärker zu genießen. Und dann kommt das, was ich schon so lange vermisst habe: Gründe, frische Landschaften. Ich genieße die Nacht in einem Feld voller Grün und voller Frische. Mit dem festen Vorhaben sich später auf der Reise noch einmal zu begegnen breche ich 2 Tage früher als Mewes und Astrid aus Salta Richtung der bolivianischen Hochebene (4000m) auf. Ich fahre durch einen Regenwalkd auf kleiner verkehrsberuhigter Straße und komme am 6. April in San Salvador de Jujuy an. Ab jetzt sollte es bergauf gehen. Doch ich sollte mich täuschen. In der Nacht zum 7. April sucht mich ein starker Schmerz im Unterleib heim, der auch nach 3 Tagen nicht wesenlich besser wird. Drei tage später befinde ich mich bei einem Arzt im Sprechzimmer. Es sollte erst einmal nicht mehr weitergehen! Die Fahrradreise wird auf unbestimmte Zeit nicht weitergehen können.
Das sitze ich nun und warte. Warte Stunden, Tage, Wochen und schließlich sogar 2 Monate. Weitere Kilometer auf dem Fahrrad- Fehlanzeige! Meine Reise mit dem Fahrrad wird in San Salvador de Jujuy erst einmal ihr Ende finden. Das Ungewisse gehört zum Reiseradeln dazu. Das es schon so früh nicht mehr weitergehen soll, habe ich zwar nicht erwartet, jedoch durchaus einkalkuliert. Aus gesundheitlichen Gründen (ein lang andauernde Prostataentzndung) hätte ich noch 3 Wochen fahren können, jedoch habe ich mich mitunter aus privaten Gründen dagegen entschieden. So holt Conrado mein und im folgenden sein Fahrrad ab, mit dabei: Zelt, Isomatte, Kocher, Schlafsack - meine Heimat der letzten 7 Monate. Das Ende ist endgültig, es gibt kein zürück mehr! Von nun an unterwegs ohne Fahrrad, ohne ultimative Freiheit, ohne der Nähe zur Natur, bin Ich geknickt. Die ersten Ausflüge als Backpacker sind von Wehmut getrübt. Ich sehe Berge und Flüsse, atme die Luft der Umgebung ein, schaue die Landschaft an und und fühle die vergangenen Monate des Reiseradelns durch meinen Körper zischen. Immer wieder ertappe ich mich darin, gute Campingplätze fürs Zelt aufschlagen zu erspähen. Das Loslassen fällt mir schwer. "Wie traurig, wie bitter" könnte man meinen. Doch das Reiseradler-Glücks-Gen sollte mir mehrere kleinere und ein großes Geschenk machen. In den folgenden Wochen lerne ich zumindest das eine Mal, die Vorzüge des Wanderns kennen. Mehr als 2 Monate in einer nordargentinischen Kleinstadt lebend, habe ich diese nordargentinische Kultur, das politische System und nicht zuletzt die Sprache gut kennengelernt und kann Erfahrungen des vergangenen Jahres besser einordnen. Es ist eine Sache in einem Land zu reisen, eine andere darin wie ein Einheimischer, und nicht abgegrenzt in einer eruopäischen/wetslichen Diaspora wie in einem Hostel, zu leben. Das größte Geschenk ist sicherlich der private Grund, aus dem ich aus privaten Gründen natürlich nicht weiter sprechen werde ;). In der kommenden Zeit, werde ich nun 2 Berichte veröffentlichen (Busfahrt und San Pedro). Den einen zu einem Ausflug zu Fuß bzw. Bus als Backpacker und einen weiteren zum Leben der nordargentinischen Kleinstadt San Pedro.
"Pare!Pare!" (Anhalten!Anhalten) halt es aus den hinteren Rängen des Busses zum Busfahrer nach vorne. Eine Flüssigkeit läuft vom hinteren Teil des Busses nach vorne. "Nafta, Nafta" (Benzin, Benzin), rufen die Ersten.
Ich sitze in einem klapprigen, alten Mercedes Bus auf dem Weg Richtung dem kleinen, indigenen Bergdorf Iruya im Norden Argentiniens als schon nach 10 Minuten Fahrt diese Flüssigkeit an meinen Füßen vorbei sich an die Unterseite meiner Tasche schmiegt. Der Busfahrer hält an und beruhigt dann alle: Es handelt sich um Wasser, welches von der Heizung ausläuft. Er putzt notdürftig und setzt sich wieder ans Steuer. "Otra vez" ( "Auf ein Neues") , schalt es nach weieren 5 Minuten wieder aus den hinteren Reihen. Der Busfahrer putzt wieder auf und fährt dann wieder weiter. Ich nehme die Flüssigkeit, die immer wieder von hinten nach vorne auch unter meinem Platz vorbeifließt stoisch zur Kenntnis. Das ist Abenteuer, das ist die Authentizität, nachdem man als Backpacker sucht. Es ist der Beginn eines kleinen Abenteuers, das dieses Mal ohne Fahrrad stattfindet.
Die Zeit ohne Fahrrad ist eine schwere, mit Sicherheit die schwerste Zeit, die ich bisher auf meinen Fahrradreisen hatte. So bewege ich mich mit dem Bus im Norden Argentiniens fort. Mit traurigem Fahrradreiseherzens beobachte ich die Landschaft neben mir vorbeiziehen. Wie gerne wäre ich mit dem Rad unterwegs, wie sehr vermisse ich den Duft der Freiheit, die körperliche Anstrengung, die menschlichen Begegnungen. Doch die Zeit in Iruya sollte mir wiedererwarten neue, schöne Erfahrungsschätze bringen, die mit denen des Fahrradfahrens gleichziehen kann.
Der bus holpert sich auf der ungeteerten Straße voran. Erst geht es Serpentinen bis fast 4000 m nach oben, dann wieder mehr als 1000 Höhenmeter wieder nach unten. Das Klappern des Busses wird durch die Folklore begleitet, die aus dem Radio des Busfahrers ertönt. Nach circa 3,5 Stunden steige ich aus dem betstimmt mehr als 40 Jahre alten Mercedes Bus aus und laufe mit meinem semi-konfortablen gepacktem Gepäck Richtung Dorfzentrum Iruya. Es ist ein schönes Dörfchen, von der indienen Dorfbevölkerung selbstverwaltet, welches mitten in einem Tal umgeben von bis zu 4000m hohen Bergen liegt. Es befinden sich noch weitere indigenen Dörfer im nordargentinischen Hinterland. Der Zugang zu diesen Dörfern - der im Winter kleinen, aber im Sommer reisenden Fluss San Isidro. Es gibt keine Straßen mehr, einige Minidörfer sind nur per Fuß zu Erreichen. So mache ich mich nach einem Tag und einer Nacht in dem netten Dorf Iruya auf zu einem Dorf auf 4000m Höhe, um danach bergab in das Dorf San Isodro eine Nacht zu verbringen.
Es gibt keine Wegweiser, dafür aber zig Menschen-Tierpfade. Die Wahl des reichtigen Weges ist ein Mix aus Glück, Intiution und Information vorbeilaufender Einheimischer. So mache ich mich am Morgen auf ins Ungewisse.
Der erste Fluss, das erste Hindernis. Wo gehe ich am besten drüber ohne schon am Morgen nass zu werden. Im feinen Balanceakt schwebe ich mit Hilfe größerer Steine hinweg über den Fluss, nur um dann doch am Ende mit einem Fuß im Wasser zu landen. Der Zugangsweg, um die ersten 1000 Höhenmeter zu überwinden, findet sich nicht leicht. Denn vor mir sehe ich nur eine Wand aus Fels und kann nicht glauben, dass es hier irgendwo ein Weg gibt. Doch meine Spürnase hat den richtigen Riecher: über einen ausgetrockneten Flussverlauf geht es gen Oben. Schon nach 30 Minuten atme ich schwerer als ich es sonst gewohnt bin, die Lunge brennt. "Hole", rufe ich einem älteren Herr zu, der leichtfüßig mir auf dem steilen Pfad entgegenkommt. Kurze Zeit später ein weitere Mann, der wie aus dem Nichts auftaucht. "Buen dia", er hält an und erkundigt sich bei mir, wohin ich den hin will. Als ich ihm mein Ziel mitteile, gibt mir die hilfreiche Information: " Das dauert noch 3 Stunden. Bist du Oben angekommen, geht es nach dem großen Stein nach links." "Gracias amigo", dann kann ja nichts mehr schiefgehen. So setze ich weiter einen Fuß nach dem anderen auf den Boden und bin immer wieder überrascht, wie sich ein Weg durch diese Felsgestein findet. Immer wieder brauche ich kleinere Verschnaufspausen, der Höhe aber auch meinem Tempo geschuldet. Immer wieder halte ich aber auch an um die Landschaft und den Ausblick zu genießen. Ein Vorteil der Wanderns: Man kann der Natur größere Aufmerksamkeit schenken. Nachteil: das Gepäck auf dem Rücken stört. Als ich nach gut 1,5 Stunden oben angekommen bin gehen 2 Pfade nach links und einer nach rechts. Ich nehme den am linkesten Pfad, da er auch der meist benutzte zu sein scheint. Wenig Zeit später, liege ich mich hin, lasse die Sonne auf meinen Körper brallen und genieße die Einsamkeit inmitten der Berge.
Plötzlich läuft eine Frau n mir vorbei, grüßt freundlich und fragt, wohin ich den gerne gehen will. Wieder wird mir mit Aussagen zu dem zu nehmenden Pfad geholfen. Leider verlaufe ich mich später trotzdem, bzw. kann mich von 3 vorhandenen Pfaden nicht entscheiden. Kühlen Kopf bewahren, die Gegend betrachten und ein Pfad nach dem anderen ausschließen. Wieder wird es der breitere und wohl meist begangene Pfad, der mir den Weg weist. Wieder sollte es der richtige sein. Es geht dieses Mal noch höher als zuvor, wieder lass ich die Umgebung auf mich wirken, bevor ich 30 Minuten später den Abstieg ins Dorf San Isidro. Dort werde ich wieder einmal Zeuge einer Menschlichkeit, die ich so manches Mal im reichen Deutschland vermisse.
Das Dorffest steht in dem 300 Einwohner großen Dorf an. Am Abend kommt ein 4x4 Auto nach dem anderen unten am Fluss an. Es sind überwiegend die jungen Menschen, die in den großen Städten weit weg vom Dorf Arbeit oder Ausbildungsplatz gefunden haben, die zum Highlight des Jahres zurück in ihr Dorf kommen. Während heute Abend Gottesdienst, Prozession und gemeinsames Essen stattfindet, geht es morgen mit der großen "Baile" ganz rund. Es ist dunkel, ich liege im Bett und will eigentlich nicht runter ins Dorfzentrum, das aus einer kleinen Gasse und einer kleinen Kirche besteht. Doch die während des Gottesdienst immer wieder abgefeuerten XXl Böller, die das ganze Tal beschallen, gebe ich mir doch einen Ruck. Ich laufe die 200 Meter runter und beobachte. nur vereinzelnt sind Touristen zu sehen. Ich stelle mich etwas an den Rand und beobachte:
Der Gottesdienst ist immer noch im Gange, jedoch kann man ihn nicht mit den hiesigen Gottesdiensten vergleichen. Der Gottesdienst ist merklich von indigenen Bräuchen beeinflusst. Es werden Tänze mit Masken von Tieren aufgeführt oder auch Musik mit indigenen Musikinstrumenten gespielt. Was die Aufführungen zu bedeuten haben oder was der genaue Hintergrund desssen ist, weiß ich nicht. Jedoch bestaune ich das große Interesse und die große Pflege des Brauchtums, welches hier vorherrscht. Der heimliche Star des Abends ist ein Clown. Dieser Clown, mit einer etwas eher verschreckenden Maske verziert und schwarz gekleidet, treibt die ganzr Zeit über sein Schabernack. Sehr zum Gelächter der answesenden Personen, auch ich muss mehrmals lachen. Der Gottesdinest ist sehr lebendig gestaltet. Vielleicht kann sich die katholische Kirche davon eine Scheibe abschneiden. Einen lebendigen Gottesdienst, das wäre doch mal was. Was danach folgt, hält mir zum wiederholten Mal vor Augen, was falsch läuft in unserer reichen Gesellschaft. Obwohl die Menschen hier sehr arm sind, gibt es ein Essen für alle! Ich will mich erst nicht anstellen, acuh wenn ich andere Touristen auch zugreifen sehe, doch dann spricht mich ein junger Mann an und meint, dass es Essen gibt. Es ist ausdrücklich für alle gedacht. Ich stelle mich an, bekomme den Teller mit leckerem "locro" (nordargentinische Spezialität) voll und setzt mich in den Kreis zu allen anderen. Ein Mann kommt wenig später mit einer Sprite Flasche vorbei und schenkt mir ein Glas ein. Es ist ein schönes Gefühl, die Geminschaft, die hier herrscht spüren zu können. und gleichzeitig frage ich mich: Warum gibt es so etwas bei uns nicht?!?! Ganz im Gegenteil: Da wird einmal im Jahr das Seenachtsfest gefeiert und die Einheimischen dürfen nur über eine sehr hohe Gebühr auf das Festgelände. Immer steht das Geld im Vordergrund. Es muss wirtschaftlich sein, als ob der Sinn des Lebens in der Anhäufung von Geld liegt. Wie wäre es mal mit einem Gratisessen im Stadtgarten, gesponsert von der Stadt oder den Wohlhabenden! Für alle Menschen! Egal ob Grün, weiß, gelb, Muslim oder Christ. Ähnlich habe ich das z.B. auch in der Türkei während dem Rammadan erlebt: Auch hier gab es täglich ein Gratisessen- gesponsert von den Wohlhabenden! Auf den ersten Blick wäre es vielleicht nicht wirtscaftlich, doch es würde zurück bringen, was Ursache vieler Probleme ist: Der Verlust einer gefühlten Gemeinschaft. Kann sein, dass es dies schon gibt, ich davon aber noch nichts gehört habe. Ich meine mich aber zu erinnern, dass solche Anebote meistens exklusiv sind, also einen Teil der Bevölkerung ausschließen. Zumindest was das Seenachtsfest betrifft, scheint es ja eine Kehrtwende zu geben. Es bleibt zu hoffen, dass zumindest einmal im Jahr, das zentrale Interesse am Geld zur Nebensache wird.
Ich verlasse am Abend die Feier mit einem Gefühl der Scham. Der Scham, dass mir immer der einfache Mann zeigen muss, was Menschlichkeit und das Leben miteinander bedeutet.
San Pedro ist eine Kleinstadt in Norden Argentiniens mit ca. 57.000 Einwohner. Ich habe fast 3 Monate in dieser Stadt gelebt. Kein Tourist hat sich währenddessen dorthin verlaufen. Ein Erfahrungsbericht und Eindrücke aus einer Kleinstadt fernab der Touristengebiete.
Das Haus
Schon das Haus in dem ich lebe unterscheidet sich grundlegend von den gewohnten Häusern in Deuthschland. Die Häuser hier sind offen gebaut, Heizungen gibt es nicht. Im Sommer wird es leicht mal 40 Grad. Dafür ist es im Winter bitterkalt. Die Schuhe werden nicht ausgezogen, auch nicht in das eigene Zimmer. Eine Angewohnheit mit der ich mich so recht zurechtfinden kann. Vor allem bei den weitestgehend ungeteerten Straßen und den vielen heerenlosen Hunden kann eigentlich täglich geputzt werden. Doch die offene Struktur hat auch seine Vorteile: Gestank, ob aus der Toilette oder auch der Küche verziehen schnell. Vor allem bei den vielen fritierten Gerichten ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Morgens weckt mich das Radio das (für deutsche Verhältnisse) laut bis sehr laut aufgedreht wird. Das läuft dann auch den ganzen Tag durch. Als ich mich einmal über diese unverständliche Angwohnheit informiere, wird mir dessen intention bewusst. Das Radio ist dazu da möglichen Einbrecher zu signalisieren, dass jemand im Haus ist. Die Kriminalitätsrate ist hoch, auch in dem Haus, in dem ich lebe, wurde schon versucht gewaltsam in das Haus einzudringen. Olivia und Achilles, die beiden Haushunde, sind auch dazu da, mögliche Einbrecher abzuschrecken. Vor allem der kleiner Hund Achilles macht leider lieber Lärm in From des Bellens bzw. jagt auf fremde Katzen, die vor allem nachts an der Häuserstruktur herumschleichen. An das immer wieder aufkommende Bellen muss ich mich erst gewöhnen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten beginne ich die Hunde aber zu lieben, auch wenn Olivia durch ihr Hochspringen des Öfteren meine Kleidung schmutzig gemacht hat. Auf das Äußere eines Hauses wird lange nicht so viel wert gelegt wie in Deutschland. Unverputze Wände, unvertige Stellen, fensterlose, nciht fertige Zimmer gehören ebenso dazu wie fast kaputt Küchenutensilien jeglicher Art. Wenn Geld da ist wird ein Stück weiter gebaut ( z.B. fenster eingesetzt). Dinge werden so lange benutzt, bis sie wirklich kaputt sind ( Das heißt im schlimmsten Fall, dass man bei einem Ofen die ganze Zeit mit einem Messer den An-Knopf im Innern betätigen muss oder das Pfannen oder Töpfe in der Regel keine Henkel mehr haben. Auch wenn ich mich das ein oder andere Mal darüber aufrege, bewundere ich die Gelassenheit und die Selbstverständlichkeit mit welchen die Menschen mit für uns störenden Faktoren umgehen. Auch zeigt es mir, wie extrem wir geworden sind. Selbst wenn Dinge nicht kaputt sind, werden bei uns jährlich neue Ausrüstungsgegenstände gekauft, auch wenn die alten noch völlig funktionstüchtig sind. Stichworte: Verschweundung, Konsum, Umweltverschmutzung und Zerstörung sind hier zu nennen. "Wir haben einfach zu viel Geld", denke ich mir und rege mich glechzeitig auf, dass ich die heiße Pfanne nur mit einem alten Lappen anfassen kann, weil kein Pfannenstiel mehr vorhanden ist. Es ist nicht selten, dass mehrere Generationen in einem Haus leben. Gerade die Kinder sind oft noch auch im Alter von über 30 in den Häusern der Eltern anzutreffen.
Familie
Das Thema "Famiie" stellt sich nicht nur in der Kleinstadt San Pedro, sondern in ganz Argentinien als sehr widersprüchlich dar. Zum einen wird "der Familie" eine hohe Bedeutung zugesprochen. Man hat viele "Onkels", "Cousins", "Tanten"(auch wenn nicht alle nach deutscher Definition dazugehören würden) mit denen auch regelmäßig und intensiv Kontakt gehalten wird ( natürlich auch wie in Deutschland abhängig von der Beziehung zwischen den zwei Parteien). Ich habe das Gefühl gehahbt, dass Familie einen sehr zentralen und wichtigen Pfeiler im Leben der Menschen einnimmt. Uach z.B. weil es (finanziell) anders gar nicht anders geht ( wie z.B. das Wohnen in einem Haus oder das selbstverständliche und nicht weiter debattierte Teilen von Einkommen. In der Familie, in der ich untergekommen war, wurde z.B. in den Wochentagen am Mittagessen immer gemeinsam gegessen (Enkel, Kinder, Vater). Ein Umstand, der bei uns wohl nur noch in den wenigsten deutschen Familien vorkommt. Gleichzeitig habe ich aber bisher auch kein anderes Land kennengelernt, in dem soviele Familien auseinandergebrochen sind, Ehepaare getrennt sind oder Kinder ohne Vater bzw. Mutter aufwachsen. Ich habe nur drei Familien in ganz Argentinien kennengelernt, die "klassische" Familienbild aufweisen. Dieser Umstand kann, muss aber nicht unbedingt negativ bewertet werden, denn in Argentinien gab und gibt es einen großen Machismus, Gewalt gegen Frauen und Männer, die Frauen, sobald sie schwanger werden im Stich lassen. Gleichzeitig aber auch gibt es eine große Liberalität, wenig sexuelle Aufklärung und (hier im Norden) viel Alkohol und Party schon in jungen Jahren. Eine Mischung von Umständen, die dazu führt, dass es keine Seltenheit ist, dass einige Mädchen im Alter von 15-18 Jahren schwanger werden.
Ein Ausschnitt der getroffenen Menschen
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