Der erste Teil unserer "Auszeit" werden wir (wer hätte es gedacht ;) ) auf dem Fahrrad verbringen. Am 27.08.2024 sind wir von unserer derzeitigen Wohnstätte Gingen (Fils) mit dem Rad Richtung Portugal aufgebrochen.
Da sitze ich nun, eingepackt in einem weißen Ganzkörperanzug, Handschuhe an, Maske auf, in einem Bus auf dem Weg nach Massanassa. Vor uns fährt ein Polizeiauto, dass uns den Weg "freiblaublicht". Kurz nachdem wir den Fluss Rio Turia überquert haben, wandelt sich das Bild von einer normalen Stadt Valencia hinzu einer Stadt, die aussieht, als wäre sie gerade Schauplatz eines Katastrophenfilms gewesen. Nur, dass es eben kein Film war, sondern in echt passiert ist. Autos liegen wie Spielzeuge überall verteilt herum: Ob auf dem Feld, neben den Straßen, oder auch mal übereinander. Ein Mix aus Schlamm, Müll, Möbel und andere Utensilien zieht sich wie Schleier über weite Strecken "der anderen Seite von Valencia". Teilweise sind Autos Hunderte Meter weit nebeneinander aufgereiht abtransportiert worden. Ein großes "X", dass auf vielen Dächer und Türen per Spray notiert wurde, soll wahrscheinlich anzeigen, dass diese schon auf Menschen überprüft wurden. An fast jedem Kreisverkehr steht die Polizei, sie lenkt den spärlichen Verkehr und sperrt noch unpassierbare Viertel ab. Wir haben Tag 12 nach der Flutkatastrophe von Valencia und noch immer ist eines allgegenwärtig: Die Überforderung und das Versagen eines Staates, der nicht in der Lage war und ist, sein Volk zu schützen und ausreichend zu versorgen. So wurde trotz eindeutigen Warnungen des Wetterdienstes diese nicht an die Bevölkerung weitergegeben. Schon einen Tag zuvor gab es durch überflutete Flüssen weiter nördlich, dessen Wasser früher oder später in der Region Valencia im Meer landen würde, Anzeichen für eine drastische Gefährdungslage. Der dafür zuständige Präsident der Provinz Valencia Mazón war beim Essen und hat die Bevölkerung erst gewarnt als es schon zu spät war. Menschen wurden in ihren Autos auf dem Nachhauseweg überrascht. Obwohl in manchen Häusern, das Wasser bis zu 3 Meter hoch stand, Hunderte Menschen vermisst wurden und jegliche Form der Infratrsuktur komplett zusammengebrochen war, versäumte es Regierungspräsident Sanchez, den Katastrophenfall auszurufen. Das Militär, welches schon nach den ersten Stunden der Katastrophe bereit stand, um zu helfen, durfte so erst einmal nicht helfen. Auch die Hilfe von der Nachbarregion wird abgelehnt (vom Regionalprsidenten Mazón). Erst nach Tag 4 der Katastrophe ruft Sanchez den Katastrophenfall aus. Noch nach 2 Wochen der Katastrophe gibt es immer noch Menschen, bei der keinerlei Hilfe vom Staat ankommt. Weder Essen, noch Trinken, noch Hilfe beim Aufräumen. Es sind Freiwillige, die schon nach Tag 1 nach der Katastrophe durch ihre Eigeninitiative den Menschen maßgeblich helfen und Erstversorgungen übernehmen. Erst später übernimmt der Staat mehr und mehr Aufgaben.
Gleichzeitig zeigt diese Katatrophe auch, dass wir die Natur nicht kontrollieren und nicht über dieser stehen, sondern Teil dieser sind und sich die Natur nicht an uns anpassen muss, sondern wir uns der Natur. Wir müssen der Natur den Raum geben, sich natürlich fortzubewegen. Künstlich umgeleitete Flüsse in einem Mündungsdelta, wie es auch in Valencia der Fall ist, und daran angrenzende Wohnblocksiedlungen in Kombination mit dem Klimawandel und immer heftig werdenden Unwettern, ist eine für den Menschen sehr ungünstige Konstellation. Die immer weiter fortschreitende Bodenversiegelung potenziert das Gefahrenpotential für Überschwemmungen. Jedes Grundschulkind wird verstehen, dass das Wasser irgendwo hinfließen muss und wenn es weniger Platz zur Versickerung hat, weil der Mensch mit seinem Drang nach dem immer Mehr und Weiter meint, den Boden weiter zu versiegeln, führen ausgiebige Regenfälle zu örtlichen Überschwemmungen. So wurden in Deutschland, statistisch gesehen, im Zeitraum von 2019 - 2022, jeden Tag 52 Hektar als Siedlungs- und Verkehrsfläche neu ausgewiesen, was einer Fläche von 72 Fußballfleldern entspricht. Für die Zukunft sollten wir uns Strategien überlegen, wie wir wieder mehr im Einklang mit der Natur leben können. Es geht mir nicht darum, das Bauen von neuen Häusern und Straßen zu verbieten, sondern eine Form zu finden, die ökologisch nachhaltig ist. Die Rechnung wir am Ende in vielerlei Hinsicht billiger sein.
Auch wir dürfen in unserem heutigen Einsatzgebiet nur zu Fuß rein. Ich gehöre einer Gruppe Frewiligen an, die sich bereit erklärt haben, im Katastrophengebiet "aufzuräumen und zu putzen". Mit Schaufeln, Besen und Abzieher "ausgerüstet" lautet unser Auftrag heute, wie könnte es anders sein, eine Schule von den Resten des Schlamms zu säubern. Ein anderes Putzteam war vor uns hier und hat den 1,5m hohen Schlamm aus dem Erdgeschoss der Schule herausgetragen. Dieser, wie halbflüssiger Kot aussehende Konsistenz, liegt auch noch haufenweise vor dem Schulgebäude herum. Auch diesen werden wir später noch wegräumen. Chef unseres Putzteams ist Victor, ein vor 25 ausgewanderte Kolumbianer, der es durch einen Mix aus Humor und Anweisungen schafft, eine gute Stimmung im Team zu vertreiten. Alle sind freiwillig hier, auch der 2-fache Vater Victor, der extra aus Barcelona hier hergekommen ist und schon seit Tag 1 auf eigene Kosten (Unterkunft, Verpflegung) beim Wiederaufbau mithilft. Wie es so bei einem Freiwilligenteam ohne jede Erfahrung abläuft, packt jeder an, dort wo er meint anpacken zu müssen. Entscheidungen müssen teils eigenständigt getroffen werden ( z.B. Wohin mit dem Schlamm?), was zur Folge hat, dass man einige Arbeit doppelt und dreifach macht. Dieses ineffiziente Verfahren frustiert immer wieder. Da dies aber eine Folge der Abwesenheit des spanischen Staates ist, kann man keinem, der hier aus allen Teilen Spaniens und Europa (England, Italien, Deutschland, Equador, etc.) angereisten Freiwilligen, die Schuld geben. Wir geben unser Bestes und schaffen es, dass die Schule am Ende wieder einigermaßen sauber ist. Das Inventar müssen wir fast komplett auf die Straße schmeißen (mit der Hoffnung, dass dieser Müll dann bald abgeholt wird). Für die Süberung haben wir keinen Hochdruckreiniger oder andere effiziente Putzmaterialien. Mit Kübel Wasser und Besen putzen wir das Gebäude. Beim Wegetragen des ekligen und schweren Schlammes, vor dem man auch noch aufpassen muss, da er kontaminiert sein kann (was bedeutet mit Maske, Brille, Handschuhen und Ganzhörperanzug zu arbeiten), fühle ich mich bei dieser schmutzigen und stupiden Arbeit wie ein einfacher Arbeiter am untersten Ende der Arbeitskette. Aber der Arbeitseifer der Menschen ist unglaublich. Alle packen mit einer Energie und einem so unglaublichen Arbeitswillen an, dass es mich stolz macht, ein Teil dieser Gruppe zu sein.
An drei anderen Tagen arbeiteten Laura und ich im "Verteilungscenter" im Zentrum Valencias als Freiwillge mit. Diese Arbeit hat mit leider auch gezeigt, wie schwierig eine sinnvolle und koordinierte Katastrophenhilfe ist. Das komplett aus Freiwilligen bestehende Team, organisierte die Ein-und Ausfuhr von freiwilligen Sachspenden: Wasser, Essen, Kleider, Medikamente, Putzmittel, etc. Der erste Tag war ein komplettes Chaos! Am Ende hatte ich die Aufgabe eingehende Kleiderspenden von einer Palette herunterzunehmen, nur um sie wieder auf eine andere Palette aufzubauen!?!?! Es gab einige völlig sinnlose Aufgaben und teils wiedersprüchliche Arbeitsanweisungen. Mir hat diese Arbeit auf verschiedenen Ebenen gezeigt, dass Katastrophenhilfe/Entwicklungshilfe wesentlich komplizierter ist, als wir es uns vorstellen und eben eine professionelle Organisation notwendig ist. Viele Freiwillige waren frustriert. Nichtsdestotrotz gabe es auch hier Hunderte Frewillige, die Spenden gebracht, gelagert, gepackt oder in den betreffenden Gegenden gebracht haben.
So verlassen wir am letzten Tag unseres Aufenthalts in Valencia das Verteilungscenter mit einem guten Gefühl. Es war schön, zu helfen. Auf dem Weg zu unseren draußen aufgestellten Fahrrädern frage ich Laura, ob sie ihe Fahrrad an meines abgeschlossen hat, denn ich sehe nur ein Fahrrad. "Ja, das habe ich?!?!", antwortet sie überrascht. Als wir nebem meinem Fahrrad stehen wird klar: Lauras Fahrrad wurde mitten am Tag gestohlen. Leider ein echter Stimmungskiller. Den Abend verbringen wir, erschöpft von der 9 - stündigen Arbeit als Frewillige, wartend beim Polizeirevier. Den letzten Abend in Valencia haben wir uns dann doch anders vorgestellt. Erst nachdem wir am nächsten Tag in unserem Hostel mit einer Frau, Sari, sprechen, die Laura Mut macht positiv zu bleiben, erhellt sich die Stimmung etwas. Sari hat in der Flutkatastrophe ihr komplettes Hab und Gut, in dem seit 65 Jahren lebenden Haus, verloren. Trotzdem zeigt sie eine ungemein positive Lebensausstrahlung und schafft es, mit ihrem großen Herz, Laura wieder aufzumuntern. Jetzt geht es für sie mit einem Handwagen weiter...
Und noch was muss ich loswerden. Dass, das Leben auf der nicht betroffenen Seite von Valencia ganz normal weiter geht ist zwar etwas verstörend, aber verständlich. Dass sich die betroffenen Menschen selbstständig um eine Unterkunft und ihre Bezahlung kümmern müssen, da ihre eigene Wohnung nicht wohnfähig ist, verursacht bei mir Kopfschütteln. Dass aber die Hotelbranche Profit aus der Katastrophe zieht, indem sie die Übernachtungspreise anhebt, ist pervers. Die gestiegene Nachfrage von Übernachtungen durch all die Freiwilligen führt nämlich dazu, dass die Preise der Übernachtungen steigen. Nur vereinzelnt höre ich von Privatleuten, dass sie ihre Türen für die Frewilligen öffnen. Nach 2 Wochen reagiert auch Gemeinde uns stellt den Freiwilligen eine Turnhalle bereit, denn einige konnten sich die Preise nicht leisten und haben teils ungeduscht in ihren Autos übernachtet.
Ausstieg in Sirguenza. Nachdem uns klar wurde, dass wir es nicht mehr bis nach Portugal schaffen werden, v.a. nicht mehr zurück ohne das Flugzeug zu benutzen, erhoffen wir uns im Zentrum Spaniens etwas mehr Reisefeeling. Die vom starken Tourismus geprägten Gegenden erlahmten doch das "Reisefeeling" (sh. "Imperfektion") etwas. Es soll, hier auf der spanischen Hochebene auf ca. 1000 m noch einmal ein neuer Input her. Die Herberge, ein historisches Gebäude in der Altstadt von Sirguenza gelegen, und ihre Menschen darin, allen voran die Inhaber der Herberge, geben uns früh das Gefühl, hier richtig zu sein. Man tauscht sich aus, teilt miteinander und erzählt einem seine Lebensgeschichte. Dieses Haus und die Menschen darin, strahlen eine solche Wärme aus, dass wir uns entscheiden, einen Tag länger zu bleiben...neben dem doch sehr kalten Wetter das für morgen angesagt ist (8 Grad und Regen).
2 Tage später geht es aber dann doch los und schon früh merke ich, dass der "Fahrrad-Reise-Spirit" wieder da ist. Auf sehr einsamen Straßen fahren wir in einer Gegend, die zu den dünnsten besiedelten Gegenden Europas gehören. Das hat zur folge, dass wir unserer Tage bzgl. der Wasser- und Essensvorräte besser planen müssen, aber auch oft die wunderschöne Gegend für uns alleine besitzen. Auch der Landschaftstyp an sich wirkt für mich zwar nicht neu (Erinnerungen an Argentinien kommen hervor), aber doch ist er so ganz anders als alles andere, was ich in Europa bisher gesehen habe. Darüber hinaus fühle ich mich bei der Einfahrt in die kleinen, spanischen Dörfer wieder wie ein kleiner Reisenomade, der nach einigen Kilometern, nach Essen und Wasser suchend, die vom Wind und Sand verwehten Dorfstraßen entlangrollt. Nur vereinzelt sieht man Menschen. Wenn man sie aber anspricht oder nach Hilfe suchend ausschaut, wird angehalten, gefragt und uns mit dem nötigen Rat oder auch Essen ausgestattet. Es fühlt sich schön an, auch wenn die Temperaturen deutlich kühler und die Nächte im Zelt mit tlw. unter 4 Grad nicht mehr so kuschlig warm sind. Aber irgendwie ist es natürlich genau das, was ich suche. Das Wilde, das Unbequeme, das Abenteuerliche. Gleichzeitig gilt es aber auch, meine Form des Reisens nicht als das Ultimative darzustellen und diese Form jdn (jetzt Laura) aufzudrängen. Und so finden wir ein ganz gutes Mittelmaß aus körperlicher Unbequemheit und körperliche Erholung. So wechseln sich Aufenthalte im Zelt bei kalten und regnerischen Tagen, mit Tagen unterm Dach und im Bett oder sogar in der Therme ab. Auch ich genieße es, nach einer kalten Nacht, am nächsten Tag in einem Bett einzuschlafen. Und so schleichen wir im gemütlichen Tempo, immer wieder die Pläne ändernd gen Valencia, unserem vorzeitigem Ziel entgegen. Am 4. Tag nach unserer Abreise von Sirguenza ist eigentlich ein Zelttag eingeplant, doch nach einem ganzen Tag voller Regen, einer Tagesetappe, in der es überwiegend nach oben ging, überzeugt mich Lauras Miene und Laune für den heutigen Tag ein Hotel zu nehmen. Hoch oben, in einem ehemaligen Silo, überblicken wir die "Lagune von Gallocante", kuscheln uns ins Bett und lassen das heftige Gewitter draußen vor sich herwüten. Es sollte nicht ein Wendepunkt auf unserer Reise werden, doch wird diese Nacht die wahrscheinlich größten Spuren hinterlassen haben, die uns ab sofort auf unser Reise täglich begleiten werden.
Ich sehe schon von unserem Fenster hoch oben, dass Teile der Umgebung überschwemmt sind. Noch denke ich mir nichts dabei, sehe dann aber, als wir auf unser Fahrrad steigen, dass die Straße hinter uns überflutet und gesperrt ist. Es war von unserem Aufenthaltsort Bello ein mögliche Reiseroute nach Molina der Aragon. Nachdem Laura kurz mit dem Rezeptionisten gesprochen hatte, wird klar, dass in der Nachr mehr los war, als die überschwemmte Straße. Von nun an wird der Abend und die Nacht vom 29. Oktober und die Folgen der Überschwemmungen das fortlaufende und alles bestimmende Thema in der spanischen Bevölkerung werden. Für uns bedeutet das erst einmal, dass der geplante Weg nach Molina de Aragon, aufgrund einer weggespülten Brücke nur mit größerem Umweg erreichbar ist. Auch in den laufenden Tagen, wird uns das Ausmaß der Überschwemmungen bewusst. Immer wieder müssen wir Wege, die durch die Überschwemmungen betroffen wurden umgehen, durchgehen oder uns in dem lehmigen, schlammigen Boden durchwühlen. Doch das ist Nichts im Vergleich dazu, was Menschen auf südlichen Seite des Flusses "Rio Turria" in Valencia durchgemacht haben und durchmachen. Immer mehr Bilder, Videos und Berichte erreichen und während der Reise. In der Nachbarstadt Sagunto ankommend, beschließen wir eigentlich schon, nicht in die Stadt Valencia zu fahren, entscheiden uns dann aber wieder spontan um. Wir haben Zeit und wollen die nutzen, um den Menschen hier in Valencia zu helfen.
Trotz diesen schrecklichen Ereignissen, die in meinem nächsten Beitrag ausführlicher thematisiert werden, habe ich auf diesem Reiseabschnitt Vieles wiedergefunden, was mir in anderen Momenten de Reise gefehlt hat.
"Jeder Tag ist anders!" Dieser Satz ist sicherlich wahr. Es gibt keinen Tag, der genau gleich abläuft. Doch vorgegeben durch Arbeitszeiten, den Weg zur Arbeit, sich wiederholende Termine (der Kinder), etc. wirken die Tage im alltäglichen Leben oft sehr ähnlich. Alles folgt einem (gefühlt) vorgegebenen Rhythmus, der leise aber stetig seine Runden dreht. So vergeht Jahr für Jahr. Dies ist an für sich nichts Schlechtes. Der vorgegebene Rhythmus gibt Struktur, Sicherheit und Geborgenheit. Man weiß, was auf einen zukommt, kann sich darauf verlassen, dass der nächste Tag auch ähnlich verläuft bzw. sich Ereignisse, auf die man sich freut, wiederkehren. Vielen Menschen gibt diese Struktur Halt. Andererseits kann diese alltägliche Routine auch dazu führen, dass die Tage eintönig wirken, zur Langeweile führen und wenig Raum für Veränderungen, Entwicklungen und Eindrücke abseits des (Arbeits-)Alltags lassen. Ganz abgesehen davon ist der Arbeitsalltag oft sehr stressig. Das Kriterium der "Effizienz" hat in fast allen Bereichen des gesellschaftlichen Arbeitslebens Priorität erhalten. Da hat " der Mensch und sein Wohlbefinden" im Arbeitsalltag in den Hintergrund zu treten. Die Freiheit, seinen Alltag so zu gestalten, dass es seinem Wohlbefinden angepasst werden kann, haben nur Wenige. Wir haben das Glück, dies in unserem zur freien Verfügung stehenden Jahr zu tun und somit möchte ich im Folgenden auf den unsrigen "freien" Alltag als Fahrradreisende eingehen.
Zuerst einmal ist festzuhalten, dass es "den Fahrradreisenden" und "den Alltag" beim Reisen mit dem Rad so nicht gibt. Da jeder Reisende den Tag nach seinem gusto gestalten kann, die gustos aber grundverschieden sind, gibt es unzählige Formen des Reisens mit dem Fahrrad. Die einen campen gerne und ausschließlich wild, die anderen lieber in offiziellen Campingsplätzen oder gleich in Hotels. Die einen fahren 120 km am Tag, für andere reicht es 40 km zu fahren. Die einen nehmen lieber flache gut ausgeschilderte Fahrradwege, die anderen gehen "offroad" und versuchen sich im Wilden. Die einen planen mehrere Tage im Voraus (oder schon gleich die ganze Reise), die anderen lassen jeden Tag offen. Aufgrunddessen gibt es nicht "den Reiseradler" und aufgrund der großen täglichen Veränderungen kann man auch nicht von "einem Alltag" sprechen. Trotzdem möchte ich nun uns einmal einordnen und ein kleinen Einblick ins "Alltägliche" geben.
Alleine reisend war ich meistens so ca. 5 Stunden auf dem Sattel, habe meist wild gezeltet (Ausnahmen blieben Aufenthalte in Städte), und bin so um die 80km gefahren. Mit Laura hat sich diese doch recht klare und eindeutige Struktur etwas aufgeweicht. Das Zelt ist und bleibt zwar unserer Hauptschlafort, doch vor allem in der Schweiz und in Frankreich haben wir überwiegend öffentliche Zeltplätze benutzt. Sowohl das Wildzelten als auch das Zelten auf Campingplätzen hat seine Vor -und Nachteile. Beim Wildzelten muss zuerst einmal gesagt werden, dass es meistens illegal ist. So muss man auf der Suche oft so vorgehen, dass man von keinem gesehen wird, erst abends das Zelt aufstellt und morgens in der Früh das Zelt wieder abbaut. Das kann natürlich von einigen Menschen als Stressfaktor wahrgenommen werden. Wenn man jetzt am Abend noch müde ist, es regnet und winded, man aber kein passenden Platz findet, fordert das einen oft mental und körperlich. Auf der anderen Seite liegt genau in dieser Unsicherheit auch gewissermaßen der Reiz, das Abenteuer auf "Fährte zu gehen" und einen guten Schlafplatz zu finden. Dieser Schlafplatz kann nun auch ganz unterschiedlich sein: Mal hoch auf einem Berg, mal mitten im Wald, mal auf einer Wiese und hinterm Maisfeld. Nicht immer spiegelt das idyllische Bild, den Alltag im Zelt wieder: Denn mal ist das Zelt auf einer Schräge aufgebaut, mal krabbeln Ameisen herum, stören einem Wildschweine und manchmal kommen auch unbekannte Tierarten im und ums Zelt herum, die einen erst einmal zurückschrecken lassen. Mal fehlt das Wasser für eine ausgiebige Dusche, mal machen wir kein Licht im Zelt an, damit uns keiner bemerkt. Aber es kann auch so sein: Mal hat man einen fast geräuschlosen Schlafplatz, mal einen Fluss zum Baden, mal unglaublich schöne Sonnenuntergänge, mal findet man Pilze im Wald, die man direkt in die Pfanne hauen kann und manchmal sind die Begegnungen mit den Tieren von einem fast vertrautem Charakter geprägt.
Der große Vorteil eines Campingplatzes ist neben der warmen Dusche, die Sicherheit der Planung (ich weiß, wie lange ich noch fahren muss und wo ich schlafen werde) und die Möglichkeit, Zelt und Taschen abzulegen und die Umgebung /Stadt zu erkunden. Ich bzw. wir haben diesen letzten Vorteil zu schätzen gelernt, obwohl wir von der Qualität der Schlafplätze und dem Spirit auf Campingplätzen (mit Ausnahmen von einigen wenigen französischen Campingplätzen) oft enttäuscht wurden. Dadurch, dass das eigentliche Campen mit dem Zelt auf Campingplätzen zum Randphänomen geworden ist ( verdrängt vom Wohlfühlmobil), werden für Zelter nur wenig attraktive Schlafplätze und Funktionen geboten. Man darf nicht vergessen, dass man manchmal für einen harten, mit kleinen Steinen bedeckten, neben zwei großen Campervans eingeschlossenen Platz, eine verhältnismäßig große Summe zahlt (wir haben bis zu 45 Euro für einen Stellplatz bezahlt). Ich glaube aber trotzdem, dass, wenn man als Paar reist und es sich finanziell leisten kann, ein Campingplatz ab und an doch auch ganz gut tut, auch wenn der "Reisespirit" dadurch definitiv verändert wird.
Der Schlafplatz ist bei uns das maßgebliche Kriterium für den Beginn eines Tages: haben wir die entsprechende Einrichtung, schlafen wir gerne aus, lassen uns Zeit und starten den Tag eher etwas später, meist zwischen 10:00 - 11:00 Uhr. Schlafen wir wild stehen wir auch schon mal um 06:00 auf, um zu vermeiden, dass wir einen Frühausteher eines nahegelegenden Dorfes bei seiner morgendlichen Jogginrunde oder Gassirunde nicht stören. Neben dem Zelt, haben wir auch einige Male in einem richtigen Bett geschlafen!!!Das haben wir entweder Freunden, "warmschowers", Herbergen, Refugios und ab Spanien auch Hostels und (jetzt hebt euch fest!) Hotels! zu verdanken. Ja, im Laufe der Reise haben wir es vorgezogen bei sehr regnerischen und kalten Tagen oder auch in Gegenden, in denen das Wildcampen nur unter sehr widrigen Bedingungen möglich wurde, uns ein Hotel zu gönnen (ausschließlich Spanien). Meine persönliche Neuentdeckung bei entsprechedem Angebot: Ein Hotel mit Spa!!!! Der absolute Wahnsinn! Bei vielen Tagen auf dem Sattel, v.a. kombiniert mit kalten und regnerischen Tagen, ist ein Spa-Hotel ein absoluter Segen für Körper und Geist. Denn man darf nicht vergessen, dass das Leben auf dem Rad und dem 24 stündigen "Natur-Ausgesetztsein" , seine Spuren hinterlässt. Dieses "Natur-Ausgesetztsein" ist sehr schön, aber auch anstrengend.
Auch wenn es einige vielleicht anders wahrnehmen: Auf Fahrradreisen hat man gar nicht so viel Zeit für Anderes als das Fahrradfahren und seine Umstände. Man schläft, isst, fährt, isst, kleines Nickerchen oder Pause, fährt, kümmert sich um den Schlafplatz am Abend, isst. Währenddessen passieren unglaublich viele Dinge, die auf Geist und Körper einwirken (Architektur, Flora u. Fauna, Menschen, der Verkehr, Sonne, Wind, etc.). So fällt man abends meist totmüde ins Bett und schläft von vielen Eindrücken begleitet meist schnell ein. Hält man dann mal an und macht ein paar Tage Pause, fällt der Körper meist automatisch in ein "Ausruhloch". Das bedeutet, dass der Körper eigentlich nur ruhen will. Ich genieße dann oft auch mal einfach nur im Bett zu legen, zu lesen, das Handy in die Hand zu nehmen oder den Fernseher anzumachen. So bin ich dann auch meist nicht so motiviert in diesen Pausen noch aktiv zu sein und irgendwelche Museen anuzusehen. Ich hatte schließlich in den Tagen zuvor ein tägliches, mehrstündiges, ganzheitliches Outdoormuseum.
Um nun in einem zugegebenermaßen etwas durcheinandergeratenen Artikel zu einem kleinen Fazit zu kommen, würde ich sagen, dass sich das "Alltägliche" beim Reisen mit dem Fahrrad auf das Wesentliche beschränkt: Schlafen, Essen, Trinken, körperliche Bewegung, Begegnung mit Mensch und Natur. Die Strecke ist bei uns sehr schwanked (20-60km) und kann sich auch kurzfristig um 180 Grad ändern. So haben wir uns nach mehreren Stunden Beratung in Figueres, einer Stadt an der französischen Grenze, im Haus von unserern Gastgebern Angel und Cati dazu entschieden, mit dem Zug von Barcelona ins Zentrum von Spanien zu fahren. Eine Woche später im Zug sitzend, haben wir uns dann ein Stunde vor dem Austieg dazu entschieden, früher auszusteigen und eine komplett andere Route zu nehmen. Wie sich im nächsten Artikel zeigen wird, sollte das eine sehr sehr glückliche Entscheidung gewesen sein...
Anbei sollen einige Fotos aus alltäglichen Situationen gezeigt werden...
Den Blick in die sozialen Medien der Freunde werfend, entsteht oft der Eindruck, dass alle um einen herum eine tolle Zeit mit unglaublich schönen Landschaftsbildern, Ereignisse, Reisen, Momenten haben. Dadurch entsteht oft der Eindruck, dass die (Freundes-)Welt um einen herum viele schöne Dinge erlebt, während man selbst vielleicht arbeitet, einen schlechten Tag hat oder einfach nur ganz gewöhnlich Dinge tut. Diese Welt, die z.B. über den WhatsApp Status, Instagram oder anderen sozialen Medien aufgebaut wird, ist natürlich eine künstliche. Denn kaum jemand von uns lädt ein Bild von sich hoch, wenn es einem schlecht geht, man sich mit der Familie, den Freunden oder der Freundin streitet oder das Bild doch nicht das Erwartete widerspiegelt. So entsteht eine Wirklichkeitsverzerrung, dass einen indirekt unter Druck setzen kann, auch diese schönen Momente, Rekorde, Landschaftsbilder erleben zu müssen. Denn um einen herum erleben es ja viele. Auch ich trage natürlich durch die Form meiner Beiträge meinen Teil zu diesem Phänomen bei u.a. durch die ausgewählten Bilder, die meist die schönen Seite der Reise zeigen. So ist es mir ein Anliegen nun auch einmal die negativen Seiten bzw. Schwierigkeiten des/unseren Reiseradelns und des Reisens allgemein zu zeigen.
Julie und Cas sind ein niederländisches Ehepaar, welches sich vor dem Antreten ihrer Lehrstelle an der Universität Harvard entschlossen haben, zurück zu den "Basics" zu gehen und eine Fahrradreise von den Niederlanden bis in den Süden Europas zu unternehmen. Motiviert durch die tollen Geschichten von anderen Fahrradreisenden (Filme, sozialen Medien...)die Reise antretend, mussten sie jedoch feststellen, dass Vieles nicht so war, wie sie es sich vorgestellt hatten. Nach 2 Wochen auf dem Fahrrad hatten sie kaum ein Gespräch mit anderen geführt, sind 2 Wochen überwiegend im Regen gefahren und sind lange, unspektakuläre Kanalwege gefahren. Die Erfahrungen von Julie und Cas und die damit einhergehende Konversation darüber auf einem Campingpatz in La Palme im Süden Frankreichs sind Auslöser gewesen, nun eine andere Seite des Reiseradelns aufzuzeigen und dem Trend der "Sonnenscheinwelt" um einen herum etwas zu relativieren.
Sowohl auf meiner ersten Reise nach China (2016) als auch auf meiner zweiten großen Reise (2018/19) in Südamerika hatte ich das Glück auf viele Menschen treffen zu dürfen, die sehr großes Interesse daran hatten, sich mit mir auszutauschen. So sind viele wunderschöne Begegnungen entstanden, in denen mir die Menschen durch verschiedene Formen ihr großes Herz gezeigt haben. Auf dieser Reise ist uns das "auf der Straße" noch nicht passiert. Das bedeutet, dass wir nicht auf einen Tee, auf ein Gespräch oder zur Übernachtung zu sich nach Hause oder anderweitig eingeladen wurden. Im Gegenteil: in Italien ist mir etwas passiert, was mir bisher noch nie passiert ist: In der Not nach einem Schlafplatz auf einer großen, privaten Wiese fragend, wurde uns angeboten, das Zelt für 15 Euro pro Person darauf stellen zu dürfen. Einer meiner persönlichen Tiefpunkte in der Interaktion zwischen Reisendem und Einheimischen. Um es vielleicht kurz auszudrücken: Wer auf der Suche nach kulturellem Austausch, basierend auf der Eigeninitiative der Einheimischen, ist, wird als Reiseradler im individualistischem, kapitalistischem und touristisch überlaufendem westeuropäischen Boden kaum fündig. Auch wenn die Gründe hierfür sicherlich nicht nur bei den Einheimischen liegen, denn der u.a. ausufernde Tourismus in vielen Städten, aber auch die Popularität des Fahrens mit Fahrradtaschen und der damit einhergehende exponentielle Anstieg der Fahrradreisende/Fahrradtouristen verringern die Wahrscheinlichkeit einer Interaktion von Einheimischen und Reisenden.
Der eben angesprochene ausufernde Tourismus führt zu vielerlei Problematiken, die in letzter Zeit vermehrt für Aufmerksamkeit in den Nachrichten gesorgt haben. Vor allem natürlich für die Einheimischen! Doch auch ich als Reisender kann in vielen bekannten Städten keine große Freude mehr empfinden. In den Scharen der Touristen (zu denen ich natürlich auch in diesem Moment zähle) und der darauf ausgerichtete Tourismusbranche (Giftshops, Massagesalons, Touristenrestaurants/Cafés, eine "Exqusitstraße mit besonders teuren und namhaften Marken, etc.) verliert sich jede Einzigartigkeit der Stadt. Ich kann kein authentisches, städtespezifisches Leben in vielen Städten mehr erkennen. So waren für mich auch viele Stadtbesuche, mit Ausnahmen, in der Summe eher Stress erzeugend, auch wenn es an sich schöne Städte waren.
Zwei wichtige Komponenten bei Fahrradfahren sind die Natur und die körperliche Zustand. Wenn sich einer dieser beiden Punkte zum negativen verändert, hat dies unmittelbare Auswirkungen auf dem Gemütszustand auf der Reise. So kann ständiger Gegenwind oder Regen einem genauso die Laune vermiesen, wie körperliche Beschwerden (der Hintern, das Knie oder sonst ein Körperteil schmerzt). Sowohl bei Laura als auch bei mir war es so, dass unserer Ferse angeschwollen war und sich entzündet hatte. So mussten wir in Frankreich gezwungener Maßen ein Paar Tage Pause machen, das Wegstrecke stark reduzieren und sogar ein Teilstück einen Zug nehmen. All das schlägt aufs Gemüt und kann auch mal das Reisen mit dem Rad in Frage stellen.
Nicht immer ist das Reisen mit dem Rad so bildschön wie es die Bilder oft zeigen. Nur selten macht man Bildern von Momenten des Streits, der schlechten Laune, des miesen Wetters oder den unschönen Stadtvierteln oder langeiligen Landschaftsabschnitten. Auch der manchmal sehr nervenaufreibende Lärm der Straße kann in Bildern wiedergegeben werden.
Somit sollte dieser Beitrag auch kurz widerspiegeln, dass eine Fahrradreise auch mit Schwierigkeiten verbunden ist und man nicht unbedingt das findet, was man sucht. Doch um mit etwas Positivem den Artikel zu beenden: Bei all den Schwierigkeiten, die einem auf einer Fahrradreise begegnen, gibt es auch immer die Möglichkeit die Schwierigkeiten zu minimieren. Zwei Komponenten sind dabei sehr hilfreich: Zeit und Freiheit. Wenn man beides besitzt, kann der Regen/ ausgesetzt, übergangen, die Route geändert werden und dem eigenen Gusto/Notwendigkeiten angepasst werden.
Darüber hinaus sind auch die negativen Aspekte einer Reise Teil der Reise, genauso wie sie Teil des Lebens sind. Und wer auf Reisen etwas Bestimmtes sucht, dem sei gesagt: Am Ende findet man auf einer (Fahrrad)-reise immer etwas, auch wenn es nicht das ist, was man gesucht hat. Da sind die negativen Aspekte oftmals aufschlussreicher als die positiven.
!Info!: da ich mit der Kamera die Fotos mache, durfte Laura als "Model der schwierigen Momente" herhalten. All die Bilder spiegeln in irgendeiner Form schwierige Momente wider. Sei es Wind, Regen, Schmerzen oder einfach nur so schlechte Laune.
Für den heutigen Tag sind 2500m geplant...Höhenmeter. "Das ist zu viel", denke ich mir, fahre aber trotzdem Serpentine für Serpentine dem Zwischenziel "Colle delle Finestre" entgegen. Mit Sandalen an den Füßen, kurzer Hose und meinem langärmligen Linen-shirt wirke ich ein bisschen fehl am Platz, hier inmitten der immer bergigeren werdenden Alpenlandschaft. Immer wieder fährt der ein oder andere Bikepacker (leicht bepackt) an mir vorbei. Ich gelte als guter "Climber", fahre gerne und mit viel Elan den Berg hinauf, doch die schier endlosen Steigungen fordern ihren Tribut. Immer wieder schiebe ich das Fahrrad, auch um meinen ganzen und nicht nur den Unter-Körper anzustrengen. Diese abwechselnde Muskelbeanspruchungen habe ich im letzten Jahr für mich entdeckt. Am Ende ist es egal, welche Muskeln das Fahrrad mit Gepäck den Berg hochbringen. Das Schieben hat seine Vorzüge. Ich bin mit dem Schieben nicht alleine. Eine Gruppe Mountainbiker aus Deutschland hat sich auch den "Colle delle Finestre" vorgenommen und sich dabei völlig übernommen. Nach 15 stündiger Fahrt über Nacht sind sie noch am Morgen aufgebrochen. Das Fahrrad schiebend sehe ich in deie kräftezerrenden Gesichter: so hat sich ein Großteil der Gruppenmitglieder den ersten "Ausflugstag" nicht vorgestellt. Kritik am Tourenplaner wird laut. Kurve für Kurve schieben sie das Fahrrad hoch. Meine Sandalen werden auf den letzten Metern des Scheitelpunkts dann doch gegen Schuhe ausgetauscht: Der Wind wird stärker und kälter. Ich mag es, diese Anstrengung, dieses Fokussieren auf das Ziel, Körper und Geist in Einklang zu bringen, sich auf seine gleichmäßigen Atemzüge zu konzentrieren und immer wieder neue Energie zu sammeln während um einen herum nur die Stille der Natur, der Berge sind. Aus meinem Rhythmus bringen mich nur ab und an vorbeifahrende Motorradfahrer oder 4x4 Autos. Doch ich merke dieses Mal auch schon schnell: die 2500 Höhenmeter sind einfach nicht drin! Erschöpft warte ich am Colle delle Finestre auf zwei weitere Fahrradfahrer...und Freunde: Jonathan und Davide alias Pasquo!
Wer meine Berichte aus den vorherigen beiden großen Reisen gelesen hat wird sich vielleicht noch an diese beiden Namen erinnern. Aus Reisebekanntschaften sind Freundschaften entstanden und so habe ich mich mit Jo und Pasquo mit fast einjähriger Vorlaufszeit verabredet von Turin nach Nizza zu fahren. Jo fliegt extra aus Kanada ein, Pasquo plant als angehender, staatlich geprüfter Fahrradtourguide die Tour und ich komme aus Deutschland mit dem Fahrrad angereist. Auch Laura ist froh, für 2 Wochen das Fahrrad mal stehen zu lassen und sich die Städte Mailand, Florenz und Rom anschauen und ein Voluntariat auf einer Farm machen zu können. Und so machten Jo, Pasquo und ich uns auf mit einigen Ausflügen in die Alpen nach Nizza zu fahren.
Und wie wir am zweiten Tag gemerkt haben, haben es Alpen in sich. Doch dieser zweite Tag enthält neben schönen Serpentinenlandschaften und dem inneren Antrieb auch noch eine weitere Komponente: Grenzen erkennen und diese auch in einer Gruppe zu kommunizieren. Dies ist in unwegsamen und wilderem Gefilde noch wichtiger als sonst. Zu sagen" Ich schaffe das nicht" ist gerade in männlichen Gruppen schwierig, da sie angeblich "Schwäche" zeigen. Natürlich sollte man auch nicht vorschnell gesteckte Ziele aufgeben, doch wenn man merkt, dass man es wirklich nicht schafft, sollte man dies auch kommunizieren. So ist es am besagtem "Colle delle Finestre", doch nicht nur bei mir, sondern auch bei Pasquo und Jo. Ich glaube, innerlich wussten wir schon zur Mitte des Tages, das unser gestecktes Ziel heute nicht erreichbar ist und waren froh, dass Pasquo in die Runde geworfen hat, dass Zimmer, das wir in einem Refugio reserviert hatten, zu stornieren und dafür eine andere kürzere Route einzuschlagen, um ein anderes Refugio erreichen zu können. Der Vorschlag musste nicht lange besprochen werden. Wir drei waren uns sehr schnell einig und waren erleichtert, dass man in der körperlichen Ermüdung nicht alleine war. Auch das gehört eben dazu: Grenzen erkennen!
Grenzen anderer Art werden im zweiten Abschnitt der Reise deutlich. Entlang des Grenzgebiet zwischen Italien und Frankreich wurden v.a. im 19 Jh. Befestigungsanlagen gebaut, die die jeweils andere Seite von einem Eindringen in das eigene Gebiet abhalten sollten. An strategisch wichtigen Punkten wurden hoch in den Alpen teils imposante Forts gebaut, die heute meist von de extremen Witterungsbedingungen gezeichnet, als Ruinen zu bestaunen sind. Mir zeigen diese Ruinen auch, in welch friedlicher Welt ich es gewohnt bin und war aufzuwachsen. Wo sich früher das Militär gegenüberstand, laufen sich nun Touristen, Abenteurer, Wanderer oder eben Fahrradfahrer aus vielen (europäischen) Ländern über den Weg ganz unabhängig davon, ob es nun die französischen oder italienischen Alpen sind. Diesen Schatz des friedlichen Zusammenseins verschiedener Nationen auf europäischem Boden (klammern wir die schrecklichen Ereignisse in der Ukraine aus) gilt es zu bewahren. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass übertriebener Nationalismus kein friedliches Zusammenleben auf Dauer ermöglicht, sondern das Gegenteilige akzentuiert und Feindseligkeiten hervorruft, die sehr gefährlich sind. Wer meint, dass komplexe Probleme mit (radikalem) Nationalismus und Populismus zu lösen sind, hat weder aus der Vergangenheit gelernt, noch sieht er, dass auch in der Gegenwart (radikaler) Nationalismus ein Brandbeschleuniger bzw. Katalysator für gegenwärtige Konflikte sind . Gleichzeitig gilt es aber auch, für Probleme, die die Bevölkerung wahrnimmt und Teil ihrer Lebensrealität sind, Lösungen zu finden. Diese Wahrnehmungen müssen ernst genommen werden und dürfen nicht dem Feld der radikalen Rechten überlassen werden. Der Bürger jedoch muss erkennen, dass die negativen Auswirkungen in Folge einer Machtverschiebung zu Gunsten der Rechten ein Ausmaß annehmen kann (oder wird), welches viele am Ende dann doch nie hinaufbeschwören wollten.
Doch kommen wir zurück zur Fahrradreise und widmen wir uns den unbeschwerten Dingen :) . Eine Fahrradtour mit Jo bedeutet immer auch, dass wir viele Pausen einlegen und Fotos machen. Es war Jo, der mich auf den Geschmack des Fotografieren gebracht hat und nun auch Pasquo damit angesteckt hat. Und so haben wir uns auf unserer Fahrradtour, die so reich an schönen Landschaftsbildern war, viel Zeit genommen, um Fotos zu machen. Im Anhang habe ich einige Bilder hinzugefügt, die jedoch nur ein kleiner Teil aller Fotos darstellen. Mein Tipp: Macht euch ein gutes Lied rein und lasst die Bilder einfach auf euch wirken. Manche Bilder zeugen auch von den doch sehr widrigen Bedingungen, die in den Alpen herrschen können. Ich hoffe die Bilder können gewisse Momente gut wiedergeben.
Am Ende des Monats September, welches ganz unter dem Motto Wiedersehen stand, habe ich nicht nur Jo und Pasquo wieder getroffen, sondern auch Conrado (sh. Südamerikabericht) und sein Fahrrad "Serena", welches mich zuvor nach China und durch Chile und Argentinien gebracht hat. Zusammen mit Laura haben wir Conrado besucht, der unter 800 Bewerbern aus der ganzen Welt ein Stipendium für eine 3-jährige Doktorandenstelle in Rom (Fachbereich Geologie) erworben hat. Nach mehreren Tagen in Rom, hat es mich bzw. uns dann wieder auf die Räder verschlagen. Ziel: Mittelmeer!
Einfahrt nach Novara: umgeben von Industrieanlagen zischen an uns die Autos vorbei. Es ist eine dieser doch für unsere Verhältnisse viel befahrenen Straßen, die wir nach einem schönen Flussradweg nehmen müssen. Auf den Verkehr konzentrierend verlangsamt auf einmal ein Auto neben mir das Tempo, fährt das Fenster herunter und sagt mir etwas zu. Ganz verstehe ich es nicht, aber kann es etwa Luca sein, unserer Host für die heutige Nacht sein?
Ich benutze immer wieder gerne die Möglichkeiten der "Warmshower-community" und so haben wir in den ersten Tagen in Italien irgendwie gemerkt, dass uns ein neuer Input ganz gut tun würde und es Mal an der Zeit wäre, einen Einheimischen kennenzulernen, um mehr über das Land und die Leute zu erfahren. So haben wir Glück, dass Luca gerne bereit ist uns für eine Nacht bei sich aufzunehmen. Falls wir zwischen 18:00 - 19.30 Uhr kommen, sollen wir zu einem Ort kommen, an dem er bei einem sozialen Projekt namens "Fadabrav" (Ein Wortspiel aus "Fa"= tun, "Da"= wie, "brav"= bravo, frei übersetzt: "Sei eine gute Person") mitarbeitet (er schreibt noch irgendwas mit "Schreinerei") , falls wir später kommen, einfach bei ihm Zuhause vorbeischauen. Irgendwie haben wir das Gefühl, dass dieses soziale Projekt ganz spannend sein könnte und so befinden wir uns um halb sieben im industriellen östlichen Rand der Stadt Novara auf dem Weg Richtung "Fadabrav", als mich eben ein Mann in einem roten Auto kurz anspricht. Da aber viel Verkehr ist, bleibt keine Zeit für ein Gespräch. Das Auto verschwindet im abendlichen Feierabendverkehr.
Wie so viele industriegeprägten Stadtviertel, wirkt auch dieses Stadtviertel von Novara auf den ersten Blick nicht gerade einladend. Alte Häuserfassaden, viel sichtbarere Müll und Industrieanlagen werfen in mir die Frage auf: Was erwartet uns heute Abend? An der nächsten Kreuzung nach links und schon sind wir da: "Fadabrav". Gerade will ich Luca anrufen, da kommt er auch schon aus dem Gebäude heraus und empfängt uns freundlich. Es ist tatsächlich der gleiche Mann, der mich zuvor aus dem Auto angesprochen hat.
Luca ist 30 Jahre alt, hat einen Master in Physik und arbeitet an der Entwicklung von Lasern für die Entfernung von Nierensteinen (zufälligerweise hat uns 3 Tage zuvor ein Warmshower kurzfristig doch absagen müssen, da ihm die Nierensteinen entfernt werden mussten). Das Schöne und Besondere an ihm ist, dass er nicht nur jede Anfrage eines Fahrradreisenden annimmt, sofern er Zeit hat, sondern, dass er zusammen mit Freunden in seiner Freizeit nach der Arbeit in einem sozialen Projekt arbeitet. Hier gibt es drei Bereiche: eine Fahrradwerkstatt, eine Schreinerei, die aber auch mit vielen Werkzeugen aus anderen Handwerksbereichen ausgesattet ist, und ein Gebäude für die Bildende Kunst. Jeder kann und darf hier vorbeikommen, das Fahrrad reparieren, schreinern, malen. Hin uns wieder sind größere Gruppen hier, mal aus Eigeninitiative, aber manchmal auch auf Anordnung der Behörden. Der Fokus liegt hier im er Bereich der sozial-benachteiligten, aber auch sozial-auffälligen Kindern und Jugendlichen. Das soziale Projekt wird von der Stadt Novara gefördert. Neben wenigen hauptamtlichen "Sozialarbeitern" lebt diese Projekt eben auch von Menschen wie Luca, die ihre Freizeit zur Verfügung stellen, um anderen zu helfen. Als wir eintreffen, sind neben Luca auch noch 3 weitere Freunde von ihm anwesend. Sie arbeiten gerade an einem "Exitroom", welches sie an ihrem anderen Standort ( eine ehemalige Kaserne) gerade aufbauen wollen. Ich finde nicht nur das Projekt richtig spannend, sondern verstehe mich mit allen vier Anwesenden auf Anhieb richtig gut. Und so sitzen wir keine Stunde nachdem wir das Fahrrad abgestelt haben in einer "Schreinerei" verbinden Kabel, löten und unterhalten uns über Politik, die Stadt Novara und ihr soziales Projekt. Um 22:00 Uhr sitzen wir immer noch, arbeiten und unterhalten uns , nachdem wir gerade Burger bestellt haben. Erst gegen 23:00 Uhr schwingen wir uns wieder auf unsere Fahrräder und radelt in der Nacht durch die Straßen von Novara zur Lucas Wohnung.
Wir sitzen noch bis 01:30 Uhr Nachts in Lucas etwa 40m^2 großen Wohnung und unterhalten uns in einem Mix aus Italienisch, Spanisch und Deutsch nun auch verstärkt über persönliche Dinge. Ich bin etwas verwundert, dass ein Physiker in einer doch sehr studentisch anmutenden gemietete 1,5 Zimmer - Wohnung wohnt und frage ihn direkt danach: "Ist das deine Lebensphilosophie oder ist als Physiker in Italien einfach nicht mehr drin?" Ich bin dann doch etwas überrascht, dass es Letzteres ist, denn Luca ist auch auf internationalen Konferenzen und Kongressen unterwegs und hat schließlich einen universitären Abschluss. Er sagt mir, dass er bei Angeboten aus dem Ausland das Dreifache verdienen würde, aber er ist eben gerne in Novara, ist hier aufgewachsen und liebt seine Stadt. Ganz stolz erzählt er uns davon, dass Novara ein wichtiges Zentrum der Chemieindustrie war (das erste zu 100% recycelbare Plastik wurde in Novara entwickelt) ,in den letzten Jahrzehnten aber merklich an Bedeutung verloren hat. Im Gegenzug erlebt die Stadt aber nach Aussagen von Luca einen Zuzug von v.a. jungen Menschen (Universität). Novara stand immer im Schatten der beiden großen Sädte Turin und Mailand erlebte aber genauso wie andere norditalienischen Städte seine Blüte im Mittelalter /frühen Neuzeit. Riesige und v.a. schöne Burganlagen, welche aufgrund der Überfälle von französischen , spanischen, deutschen Herrschern auf die reichen italienischen Städte gebaut werden mussten, inmitten vieler norditalienischen Städte, zeugen noch immer davon.
Ich glaub wir hätten noch sehr lange weiterreden können an diesem Freitagabend. Aber sowohl Luca als auch wir sind todmüde und Luca will morgen früh um 9:00 Uhr auf eine 2-tägige Fahrradtour gehen. Er bietet Laura und mir noch sein Bett an, er würde im Gegenzug auf der doch etwas klapprigen Couch übernachten. Ein richtiger herzlicher Warmshower Host einfach! Wir lehnen dankend ab und schlafen erschöpft ein.
Um 13 Uhr stehen wir immer noch unten im Hof und unterhalten uns, dabei wollte Luca doch um 9:00 Uhr los?!?! Ach, diese Spontanität ist doch was Schönes! Zwar nicht für Lucas Freund, der vergeblich in den Bergen Norditaliens auf Luca wartet und schon die ersten Pässe alleine überwunden hat, aber sich die Freiheit zu nehmen, in speziellen Momenten vom Geplanten abzuweichen, hat auch etwas Erstrebenswertes. Neben einem gemeinsamen Frühstück, bei dem das Wenige das Luca im Kühlschrank und wir in den Satteltaschen hatten geteilt wurde, hat uns Luca noch eine Stadtführung gegeben und wir mit ihm viele Gespräche geteilt. Es war mal wieder eine tolle Warmshower-Erfahrung! Danke Luca und wir hoffen auf ein Wiedersehen in Deutschland!
“Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung derer, die die Welt nie angeschaut haben." (A. v. Humboldt)
Die Schweiz ist genauso wie Deutschland und Österreich prinzipiell ein sehr angenehmes Land, um Fahrrad zu fahren. Auf verkehrsberuhigten Straßen und Fahrradwegen kann man sich auf die Landschaft konzentrieren und muss auch nicht ständig auf sein Handy schauen, um sich zu orientieren: fast jede Ortschaft ist mit einem extra Fahrradschild ausgewiesen. Man ist es gewohnt, dass Vieles in Deutschland (gut) funktioniert (naja, die DB gerade nicht, aber ansonsten funktioniert recht viel). Der notorische Nörgler würde dem jetzt widersprechen und behaupten: "Mit Deutschland geht es nur noch den Bach runter!" Ja es stimmt, es gibt viele Dinge, die es zu verbessern gilt und die für unserer Ansprüche nicht gut genug funktionieren und es ist auch gut, dass man Dinge hinterfragt und kritisiert, aber es gibt auch Einiges, das international gesehen eben (sehr) gut funktioniert. Ich sage immer wieder: Auf meinen Reisen habe ich nicht nur andere Länder, Kulturen, Sitten wertschätzen gelernt, sondern eben auch die meines Heimatlandes Deutschland. Sicherlich ist es auch hier eine Sache der Perspektive (hat sich durch aktive Maßnahmen des Staates mein Lebensstandart über einen längeren Zeitraum verschlechtert/verbessert?) und des Vergleichspunktes (Vergleiche ich mich mit der Schweiz oder Moldawien). Trotzdem möchte ich aber anhand zweier Erfahrungen der letzten Tage erläutern, warum ich auch froh bin in Deutschland zu leben, aber Entwicklungen auch durchaus kritisiere. Doch erst noch einmal zurück zur Schweiz.
Es gibt nicht viele Länder, die es in vielen Kategorien mit der Schweiz aufnehmen können. Alles wirkt geordnet, sauber, es scheint eine (regionale) Gemeinschaft zu geben, den Menschen geht es wirtschaftlich überwiegend sehr gut. Sehr positiv haben mich all die Picknickplätze überrascht, die außerordentlich gepflegt und sehr oft mit zur freien Verfügung stehenden Brennholz ausgestattet sind. Darüber hinaus gab es so gut wie kein Anzeichen von Vandalismus, wie ich es leider all zu oft hier in Deutschland erlebe: Öffentliche (Spiel-)plätze sind viel zu oft Schauplatz wirklich dümmster Gewalt. Wieso macht man Gegenstände kaputt, die der Gemeinschaft zu Gute kommen? Man verwüstet doch auch nicht sein eigenes Zimmer? Mir fallen hier spontan zwei Gründe ein: jugendliche ("westeuropäische") Gedankenlosigkeit und/oder ein gestörtes Verhältnis zur Gemeinschaft (Fühle ich mich als Teil dieser? Fühlt es sich als eigenes Zimmer an?). Da ich mich aber in diesem Artikel nicht als Nörgler kategorisieren lassen will, muss ich mich etwas von der Schweiz entfernen und mich mit meinem Fahrrad nach Italien begeben. Denn die Schweiz ist eben in vielen (messbaren) Bereichen weltweit gesehen eben top of the top (Vergleichspunkt).
Wir überqueren am Lago di Lugano bei Ponte Tresa die Grenze. Es wird schnell deutlich, dass wir uns von nun an auf anderem Fahrwasser befinden. Erstens gibt es nur noch vereinzelt undurchdachte Fahrradschilder, zweitens keine/kaum Fahrradwege und drittens weht im Umgang mit den Fahrradfahrern hier ein anderer Wind...und das ist kein Rückenwind! Doch die Natur entschädigt erst einmal. Neben dem See fahrend mit teils kühlenden Felsen rechts von uns, genießen wir das "Urlaubs - Italien-Feeling". Ein kurzer Boxenstop am See, Buch raus, Sprung ins Wasser, kleines Nickerchen, dann locker weiterfahren. Doch irgendetwas stört?!? Natürlich! Der Verkehr! Selbst auf Nebenstraßen empfinde ich es als doch recht viel, v.a. auch respektlosem Verkehr: Überholen trotz Gegenverkehr?...kein Problem. Noch kurz vor der Kurve überholen?...kein Problem. Abstand zum Fahrrad?...wird schon passen. In Deutschland starben im Jahr 2023 446 Fahrradfahrer im Straßenverkehr. Das sind 1-2 Menschen pro Tag. Ich persönlich verstehe nicht, warum man als Autofahrer nicht einige Sekunden warten kann. Man muss doch etwas später nur noch einmal aufs Gaspedal treten. Ist das so schlimm? Ist der Mensch als Fahrradfahrer so wenig Wert? Wenn ich das Fahrverhalten aus Italien (in Kombination mit den Fahrradwegen, denn diese geben sehr viel Sicherheit), mit dem aus Deutschland vergleiche, bin ich froh, dass ich überwiegend in Deutschland unterwegs bin, auch wenn wir diesbezüglich auch noch viel Luft nach oben haben. Das zeigt nicht zuletzt die traurige Statistik der Fahrradtoten. Eine kostenlose und sehr effektive Maßnahme wäre ein rücksichtsvolleres Fahrverhalten. Und vielleicht tritts Du ja beim nächsten Mal auf die Bremse, wenn ein Fahrradfahrer vor dir fährt und es eng werden könnte, weil du weißt, dass bei einer kleiner Eventualität ein Menschenleben auf dem Spiel stehen kann. Die paar Sekunden sollten es die Wert sein!
Wenn man als Tourist in einem Land unterwegs ist, schaut man sich oft die schönen Seiten eines Landes an. Man will ja schließlich Urlaub machen, es sich gut gehen lassen und etwas Schönes sehen/erleben. Als Reisender kann man dies auch tun, doch darüber hinaus lernt man das Land tiefer kennen. Man taucht stärker darin ein. Man spürt, wie geographischen Veränderungen auf den Menschen wirken, wie abseits der "places to be" das (Alltags-) Leben der Menschen aussieht oder die in sich zusammenfallende Gebäude Relikte vergangenen Wohlstands und wirtschaftlicher Blüte widerspiegeln. Gerade Letzteres hat mich doch überrascht, gilt der Norden Italiens doch als reichere Region des Landes. Und gleichzeitig hat es die Frage in mir aufgeworfen: Geht es uns so schlecht? Sind unsere Dörfer oder (kleinere) Städte auch von derartigem Zerfall betroffen? Ich bin in den letzten Jahren mit dem Fahrrad viel in Deutschland unterwegs gewesen und habe auch hier leer wirkende Dörfer gesehen. Doch bis vielleicht einzelne Regionen des östlichen Teil Deutschlands, hat in Italien das Ausmaß des visuellen Zerfalls (nicht selten auch Zeichen des wirtschaftlichen Zerfalls) eine ganz andere Dimension. Im Gegenteil: Gerade in den Dörfern des südlichen Deutschlands haben sich Teile der Mittelschicht/Oberschicht in den letzten Jahren teils luxeriös wirkende Bauten gegönnt. Es ist nicht das Geld, das in der Summe den ländlich geprägten Gegenden Deutschland fehlt, sondern das sichtbare Leben. Denn trotz ihres sichtbaren Zerfalls wirken die italienischen Dörfer lebendiger. Man trifft sich auf dem zentralen Platz, nimmt auf einer Bank Platz, tauscht sich aus, trinkt einen Kaffee im Café oder setzt sich nach einer Runde Fahrradfahren im Gras an der Kirche mit anderen Fahrradfahrenden nieder. Natürlich haben auch italienische Dörfer mit dem Wegzug der jungen Bevölkerung zu kämpfen, doch wirken sie lange nicht so menschenleer wie die deutschen.
Und noch was: Wusstest du, dass Italien wirklich große Reisanbauflächen hat? Die Hälfte des europäischen Reisanbaus stammt aus Italien und der überwiegende Teil davon aus dem Dreieck Novara, Vercelli und Pavia. Ich nicht! Aber nachdem wir 2 Tage bei großer Hitze durch diese gefahren bin, ist mir dies nun auch bewusst geworden. Was man nicht alles beim Reiseradeln erlebt ;) Beim nächsten Mal werde ich Luca vorstellen, unseren ersten Host.
" Der Weg war so langweilig, dass ich heute nach Chur gefahren und dann gerade wieder umgedreht bin"
Das schöne am Reiseradeln ist, dass man schnell Kontakt zu anderen Menschen herstellen kann. Das voll beladene Fahrrad, die abkämpften Fahrradreisende und das langsame Tempo geben oft Anlass von außen uns Fragen zu stellen und ein Gespräch zu starten. So entwickeln sich interessante Gespräche, in denen man in der Folge oft etwas über die Umgebung, den Menschen, allgemein Wissenswertes oder auch mal unnützes Wissen mitbekommt. So vergeht selten ein Tag, an dem wir uns nicht mit anderen Menschen austauschen. Auch der Austausch mit anderen Fahrradreisenden ist Teil des Reisens. Leider hat sich der Austausch zwischen den Fahrradreisenden in den letzten Jahren merklich reduziert, was im Wesentlichen an zwei Faktoren liegt: Der gestiegenen Anzahl an Fahrradreisenden und dem Handy (Die App verrät schon Steigungen, Beschaffenheit des Weges, etc. --> Fragen sind nicht mehr notwendig). Nichtsdestotrotz kommt es immer wieder zum Austausch, auch so am ersten Halt in St. Margrethen mit einem "schwäbischen Tüftler", der sein e-Bike selbst zusammengebaut hat und uns Folgendes über unseren kommenden Weg berichtet:
" Der Weg war so langweilig, dass ich heute nach Chur gefahren bin und dann gerade wieder umgedreht bin und nun Richtung Allgäu fahre. Immer nur geradeaus und die nervige Autobahn neben einen!"
Wow, das sind ja mal gute Neuigkeiten über unseren bevorstehenden Weg! Doch es gilt diese Informationen und Wertungen erst einmal als das einzuordnen, was es ist: seine Perspektive. Zu oft habe ich erlebt, dass Informationen, die ich von anderen Fahrradreisenden erhalten habe, geprägt waren z.B. von dem Erlebten zuvor. Ist jemand in den Tagen zuvor im bergigen Gebiet gefahren, werden ihm kleinere Hügel als "kleinere Anstiege" vorkommen, wohingegen ein Fahrradreisender, der zuvor hunderte Kilometer den Donauradweg entlanggefahren ist bei "kleineren Hügeln" eher von "kräftigen Anstiegen" sprechen wird. Darüber hinaus spielen natürlich auch noch eine Vielzahl an anderen Faktoren eine Rolle, wie z.B. die Erwartungen, Persönlichkeit, etc. So verhält es sich im Übrigen nicht nur beim Fahrradfahren so, sondern auch in vielen anderen Lebensbereichen.
Wie dem auch sei, wir fahren trotzdem den Rhein entlang und sind etwas überrascht, dass "der schwäbische Tüftler" ausgerechnet dann umgedreht ist, als es erst so richtig spannend wird: markante Felsformationen, ruhige Straßen und steile und wendige Anstiege beginnen v.a. ab Chur (die Autobahn war wirklich nervig, kann aber durch einen Wechsel auf die österreichische/lichtensteinische Grenze reduziert werden). Ab Chur ist auch keine nervige Autobahn mehr zu hören. Doch die schöne Aussicht und der geringe Verkehr hat ihren Preis: steile Anstiege! Und diese sind jetzt wirklich knackig, vor allem wenn man eben noch einiges an Gepäck mithat. Ich persönlich mag die Anstiege, mag das Gefühl, den Körper "zu pushen" und nach bestandener Kehre noch einmal eine dranzuhängen, obwohl man sich in Gedanken zuvor gesagt hat: " Noch bis hier oben und dann machst du Pause". Darüber hinaus gibt mir das "langsam fahren" auch die Möglichkeit anzuhalten, Bilder zu machen und das Geschaffte von oben zu überblicken. Das macht (mich) glücklich, erst recht, wenn man dann von oben den Ausblick genießen kann. Doch das ist meine Ansicht, mein Gefühl, meine Perspektive. Doch wie sieht es mit Laura aus? Und so geht der Blick auch immer wieder sorgenvoll auf Laura zurück. Wird sie es schaffen? Körperlich und mental? Ich sehe sie immer wieder Pausen machen. Sie kämpft sich nach oben und fährt in ihrem Rhythmus, das bedeutet: ein paar Hundert Meter fahren, Pause...ein paar Hundert Meter fahren, Pause...Ich biete ihr an, ihr Fahrrad auch stückweise hochzufahren, doch sie lehnt etwas aufgebracht ab: Sie will es selbst schaffen!
Und sie schafft es am Ende auch! Glücklich, aber sehr erschöpft fallen wir nach dem ersten richtig anstrengenden Tag abends auf unsere Isomatten auf einem Campingplatz in Schweizer Naturpark Beverin. Noch weiß Laura nichts davon, dass der nächste Tag noch einmal die gleichen Höhenmeteranzahl besitzt...
... So ist Laura natürlich nicht sonderlich begeistert, dass es heute wieder ca. 850m nach oben geht. Doch ich beschwichtige: Die Steigungen sind nicht mehr so hochprozentig wie gestern( Ich sage immer: Alles unter zweistellig ist mit dem (Reise-)Rad gut zu machen, danach brennt der Muskel wirklich). Das stimmt auch, jedoch nicht für die letzten 6km unserer heutigen Etappe nach Disentis. Die haben es richtig in sich! Für die letzten 3 km brauchen wir noch einmal 45 Minuten! Auch ich habe hier nun häufiger geschoben. Aber auch hier können wir sagen: " Wir haben es geschafft und Laura ist immer noch den Umständen entsprechend gut drauf :)! Ich merke aber: ein Tag Pause würde uns mehr als gut tun und so bleiben wir 2 Tage in Disentis und gönnen unseren Muskeln eine verdiente Pause. Danke an Cécile, Elias und Zora für die Übernachtungsmöglichkeit :)!!!
Ich weiß, dass der heutige Pass (Lukmanierpass) die letzte wirklich große Hürde auf unserer Alpenüberquerung sein wird. Danach bin ich mir sicher: Wenn wir das jetzt auch noch schaffen, dann haben wir die Reifeprüfung des europäischen Fahrradraums bewältigt. Ich gehe aber mit einem positiven Gefühl in den Tag, da es zwar 20km nach oben geht, die Steigungen aber maximal und nur kurzzeitig bei 10% liegen. Doch als hätte es das Wetter besser gewusst, umgeben von Nebelschwaden und kälteren Temperaturen gestaltet sich der Aufstieg als sehr zäh. Laura braucht nach wenigen Hundert Metern immer wieder Pausen und scheint heute nicht den fittesten EIndruck zu machen. Ich bin innerlich immer wieder zwiegespalten zwischen meiner Sorge um Laura und dem Drang den Pass im gewohnten Tempo ohne viele kleine Pausen hochzufahren. So nerven mich die vielen kleinen Pausen, aber ich weiß, dass ich diese "negative Energie" eindämmen muss. Ich fühle mich heute fit, ich habe die Energie, ich brauche die vielen Pausen nicht, doch bei Laura sieht das eben anders aus. Der Perspektivwechsel hilft mir auf unserem langsamen Anstieg nach oben, diese negative Energie nach und nach zu verringern. Am Ende kämpft sich Laura auch wegen mir diesen Pass hoch. So entweicht mit jedem Meter nach oben ein bisschen mehr negativer Energie aus meinem Körper. Ein "Matesito" auf 2/3 des Weges gibt uns nicht nur die gemeinsame innere Ruhe, sondern auch die letzte Kraft für die verbleibenden Höhenmeter.
"Ospizio del Lucumagno 1920m!", 20km in 5 Stunden, We did it! :)
„Am Ende ist eine Beziehung auch immer ein Kompromiss.“
Was macht man in einem Sabbatjahr? Noch vor 5 Jahren hätte ich eine klare Antwort darauf gehabt: Ein lange Fahrradreise, wahrscheinlich in die Mongolei. Nun hat sich auch bei mir etwas in den letzten Jahren getan und ich lebe mit meiner wunderbareren Frau Laura zusammen. Ich lebe nicht nur mit Laura zusammen, sondern habe sogar die Möglichkeit mit ihr ein Jahr gemeinsam in großer Freiheit zu verbringen.
Was würdest du tun, wenn du ein Jahr zur freien Verfügung hast? Ich bin sicher, dass den meisten von euch unglaublich viel Dinge einfallen werden. Was würdest du tun, wenn du ein Jahr mit deinem Partner/ deiner Partnerin zu Verfügung hast? Auch hier würden dir wahrscheinlich viele Dinge einfallen, der Unterschied ist jedoch, dass man Entscheidungen nicht unabhängig von seinem Partner/Partnerin fällen kann, denn man sollte natürlich die Bedürfnisse des jeweils anderen berücksichtigen. Deswegen ist ein freies Jahr zu zweit auch immer ein Kompromiss zwischen zwei Parteien, zwei Ideen, zwei Vorstellungen. Sofern nicht beide Parteien genau die gleichen Vorstellungen besitzen, ist dies gar nicht so einfach und so gab und gibt es auch zwischen Laura und mir immer wieder Diskussionsbedarf bezüglich der Gestaltung unsere gemeinsame Zeit. Auf der einen Seite Laura u.a. mit ihrem Wunsch nach der Erkundung der Welt auf einem „normal“ komfortablen Niveau. Auf der anderen Seite ich, u.a. mit dem Wunsch, zum einen körperliche und geistige Grenzen auszutesten, und zum anderen neue Kulturen und Perspektiven kennenzulernen. Die Schnittmenge („Erkundung des Neuen“, Kulturen, Länder) ist vorhanden, die Grenze („Maß der körperlichen/geistigen Belastung“) auch. Am Ende ist eine Beziehung auch immer ein Kompromiss und so einigten wir uns für den ersten Teil des Jahres auf Folgendes:
Zuerst soll eine 3-monatige Fahrradtour Richtung Portugal gemacht werden. Laura geht hier also einen großen Schritt auf meine Bedürfnisse ein. Einen Schritt auf Laura zugehend, werden wir jedoch den Komfort im Vergleich zu meinen anderen Reisen erhöhen, das bedeutet, dass wir auf der einen Seite weniger (schnell, viel) Fahrrad fahren und auf der anderen Seite das Schlafniveau erhöhen werden (Neben dem Campen, werden wir also auch das ein oder andere Mal ein Unterkunft mit richtigem Bett aufsuchen). Es wird sich zeigen, wie sich unsere Fahrradreise und unserer Erfahrungen von meinen vorherigen unterscheidet. Ich bin gespannt, ob wir bzw. ich eine ähnliche gedankliche Tiefe wie zuvor erreichen kann.
Die darauffolgenden 3 Monate werden wir überwiegend in Argentinien verbringen. Hier sollen Lauras Bedürfnisse nach Heimat, Freunde und Familie in den Vordergrund treten, aber auch das Erkunden ihres eigenen Landes. Hier werde ich meine Bedürfnisse hinter denen von Laura anstellen, denn eigentlich habe ich mich losgesagt vom Reisen ohne Fahrrad. Die Vorzüge des Reisens mit Rad, habe ich an anderer Stelle schon thematisiert (sh. ). Aber auch hier wird es Momente geben, in denen ich meine Bedürfnisse (z.B. körperliche Betätigung und Natur) ausleben kann. Ich bin gespannt, wie die neue (alte) Form des Reisens auf mich wirken wird und welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sich im Vergleich zu meiner Wunschform des Reisens ergeben werden.
Neben diesen beiden geplanten Blöcken (Fahrradtour und Argentinien) lässt das Jahr bewusst Freiräume. Freiräume für spontane Entscheidungen, Bekanntschaften, Möglichkeiten. Darauf freue ich mich glaube ich am meisten: die Zeit dafür zu haben mich und mein Leben treiben zu lassen, Raum zu lassen für Spontanität und Eventualität. Denn der gut strukturierte, routinierte und organisierte Alltag lässt hierfür nur sehr wenig Spielraum. So kann es sein, dass ich „nur“ ein Jahr reise, dass ich in einer Kommune monatelang Gitarre lerne, dass Laura und ich auch mal länger separat etwas machen, dass ich in einem Dorf in Bolivien an einer Schule arbeite oder, dass ich in einem Fahrradgeschäft meine „Fahrradskills“ weiterentwickle. Ich weiß es nicht und das ist auch gut so. Ich begebe mich bewusst in den Raum der Unsicherheit, um nicht von vornerein Möglichkeiten zu verringern, sondern Raum zu schaffen für etwas unvorhergesehenes Neues.
Mir war es wichtig, dass wir unseren temporären Abschied aus dem Alltagsleben mit dem Fahrrad beginnen. Und so fuhren wir Ende Juli aus Gingen mit dem Fahrrad los Richtung Konstanz, unser erstes Zwischenziel. Mit dabei nur die allerwichtigsten Dinge. Ab jetzt heißt es wieder ein einfaches Leben ohne dauerhaft festes Dach über den Kopf, dafür aber die Freiheit und die Zeit zum Nachdenken und Loslassen zu haben. Mit dem Fahrrad in Deutschland zu reisen überrascht mich im Übrigen immer wieder positiv: schöne Landschaften und vor allem gute und ruhige Fahrradwege. Es macht Spaß und das scheint es nicht nur mit zu machen, sondern auch sichtbar vielen anderen Menschen. Wie man das Positive so schnell vergessen kann und jetzt wieder mehr das Auto mit all seinen negativen Auswirkungen fördern will (FDP) ist mir unbegreiflich. Die Gesellschaft gewinnt durch den Raum für Fahrradfahrern so viel an Qualität in vielerlei Hinsicht (Entlastung des Verkehrs und deren Infrastruktur, finanzieller Vorteil der Fahrradfahrer, Gesundheit durch Sport und Luftqualität, etc…), weshalb ich mich schon wundere, dass bei Teilen der Bevölkerung diese „grüne Welle“ wieder so stark in der Kritik ist.
Einzig und allein die Zunahme von e-Bikes auf den Fahrradwegen sind für mich persönlich ein wenig störend. Ich sehe die ganzen Vorteile eines e Bikes und finde das e-Bike wichtig, damit möglichst viele Menschen sich mit dem Fahrrad fortbewegen, jedoch schmälern sie im Fahrradverkehr ein für mich persönlich wichtigen Aspekt: Entschleunigung. Dies betrifft überwiegend verkehrsreichere Fahrradwege, in denen man als unmotorisierter Fahrradfahrer sehr aufmerksam sein muss, da der Verkehr nun schneller und somit auch gefährlicher uns stressiger geworden ist. Ich fand es damals am Loire-Radweg in Frankreich so angenehm, da es hier nur ganz selten e-Bikes gab. Das führte u.a. auch zu einem schönen Nebeneffekt: es machte es einfacher mit anderen Fahrradreisenden ins Gespräch zu kommen.
Trotzdem möchte ich mich für die E-Bikes aussprechen und sehe sie als wichtigen Teil einer fortschrittlicheren Gesellschaft (sofern dann auch wirklich das Auto stehen bleibt 😉). Vielleicht gibt es Zukunft mal Fahrradstraßen, die so groß sind wie reguläre Straßen, und auf denen sowohl e-Bikes (fast lane) als auch unmotorisierte Fahrräder (slow lane) Platz haben.
Jetzt aber noch ein paar Eindrücke von unserer Fahrradtour von Gingen nach Konstanz. Spontan mitgefahren ist im Übrigen mein Patenkind Ilija, der nach seinem ABI nun auch mal an der Fahrradreisenluft geschnuppert hat 😊
Nun ist es endlich soweit. Mein Sabbatjahr hat angefangen. Die letzten (Schul-)Tage waren noch einmal wild. Der Abschied vom Alten und das Aufbrechen ins Neue überschnitten sich und so bedeutete der Einstieg ins Sabbatjahr erst einmal das Gegenteil des Intendierten: zusätzliche Arbeit! Darüber hinaus führt der Beginn des Sabbatjahrs auch zu einem Zustand, der wahrscheinlich viele davor abschreckt, einen solchen oder ähnlichen Schritt zu wagen: Das Verlassen des gewohnten Lebens, der gewohnten Struktur und damit auch das Verlassen der bisher bekannten Komfortzone. Persönlich bedeutete dies für mich u.a. Folgendes: das gewohnte, strukturierte berufliche Umfeld, das zeitliche Aufgeben unserer Wohnung und das damit verbundene „Vagabundenleben“, die finanziellen Einbußen, die bestimmte Träume oder Wünsche in weiterer Ferne rücken, oder aber das Verlassen das über Jahre hinweg aufgebauten sozialen Umfelds mit all meinen Freunden und Freundinnen. Das Aufgeben der Sicherheit im Tausch für die Freiheit ist nicht jedermanns Sache und erfordert auch Mut (sh. Artikel 2018: „Mut“). Den Mut aufzubringen Lebenswege zu gehen, die nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen, ist kein einfacher. Neben Zuspruch und Bewunderung durfte ich auch eine gewisse Eifersucht, Unverständnis und Ablehnung erfahren, die es natürlich noch schwerer „abseits des Stromes“ zu schwimmen. Doch all jene, die mit dem Herzen ihren eigenen Weg gehen, kann ich nur Mut machen, diesen trotz den Widrigkeiten zu gehen. Es lohnt sich! Für mich bedeutete dieser Weg eines der wichtigsten Güter zu bekommen, die wir im Leben besitzen: Zeit! Ja, ich mache meine Arbeit nicht ungern. Es macht Spaß mit meinen Kollegen/innen im Lehrerzimmer zu scherzen, die Kinder beim Aufwachsen zuzusehen und sie zu bilden und zu erziehen. Doch das recht wenig freiraumlassende System und der fast tägliche Umgang in einem großen sozialen Gefüge, in dem am Ende immer ein gewisser Output von Lehrern* und Schülern* erwartet wird, kostet auch sehr viel Kraft und lässt und ließ mir somit auch wenig Zeit für andere Dinge. Denn es gibt viele andere Dinge, die ich auch sehr gerne tue, in denen ich mich weiterentwickeln bzw. Erfahrungen sammeln will. Des Weiteren geht es auch immer darum sein Leben, seine Ziele, sein Wirken auf den Prüfstand zu stellen. Im meinem berufsorientierten Unterricht in Klasse 10 schwebten immer drei Fragen wie ein Leitfaden über dem Schuljahr: Wer bin ich? Was kann ich? Was will ich? Ich denke, es tut gut, sich v.a. die erste und letzte Frage auch immer wieder selbst zu stellen, innezuhalten und das auf Routine und Schnelligkeit gepolte Leben anzuhalten.
Nicht nur deutschlandweit, sondern v.a. international gesehen ist es ein Luxus, den ich mich gerade erlauben kann. Dafür bin ich trotz meiner kritischen Töne gegenüber bestimmten strukturellen Problemen (dem Bundesland BAWÜ) sehr dankbar und demütig. Allgemein gilt es gerade für uns etwas demütiger und dankbarer zu werden vor dem Zustand, wie wir hier in Deutschland leben dürfen. Auch hierzu habe ich schon einen Artikel verfasst (sh. Demut). Im Übrigen sehe ich die schwindende Demut/Bescheidenheit in unserer Gesellschaft als Problem an, welches ich im Laufe der nächsten Monate in anderer Form noch einmal aufgreifen will.
Persönlich freue ich mich nun auf mein Sabbatjahr, auf die Zeit, die ich haben werde, um in die Sterne zu schauen und mir Gedanken, über die Welt, über uns und über mich zu machen. Doch was habe ich genau vor? Wird es wieder eine lange Fahrradreise geben? Inwiefern unterscheidet sich die Reise zu den vorherigen? Antworten u.a. auf diese Fragen erhaltet ihr im nächsten Artikel.
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